Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1893 Nr. 4

Spalte:

99-101

Autor/Hrsg.:

Peiser, F. E.

Titel/Untertitel:

Die hetitischen Inschriften. Ein Versuch ihrer Entzifferung, nebst einer das weitere Studium vorbereitenden, methodisch geordneten Ausgabe 1893

Rezensent:

Jensen, Peter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

99

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 4.

IOO

und Werth des A. T.'s. dargeftellt einfchliefslich der
abenteuerlichen Märchen über die Punktation. Die Zuhilfenahme
eines mündlichen Gcfetzes, das von Mofe
flammen folle (Mifchna), und der allegorifchen Auslegung
zum Erweis der Göttlichkeit eines jeden Titelchens
wird veranfchaulicht. Es folgt ein Hinweis auf Philo und
die durch ihn beeinflufsten Kirchenväter und die Lehre
der kath. Kirche. Dem gegenüber tritt die praktifch
religiöfe Stellung der Reformatoren, die bei voller Hingabe
an die Schrift von Infallibilität nichts wiffen. Diefe
ift erft Product der nachreformatorifchen Theologie, welche
eine Irrthum ausfchliefsende Infp. und eine irrthumslofe
Ueberlieferung der irrthumslofen Schrift behauptete, ohne
dafs dies je ,Kirchenlehre' geworden fei. An dem com-
pilatorifchen Charakter der Gefchichtsbücher und ihren
Ungenauigkeiten und Widerfprüchen, an der Thatfache,
dafs z. B. Pfalmen und Hiob nicht offenbarte Wahrheit,
fondern religiöfe Erfahrungen ausfprechen, vor allem an
einem Vergleich von Kön. und Chron. wird die Unbrauch-
barkeit der orth. Infp.-Lehre für das A. T. erwiefen.
Das A. T. fei alfo verfafst von unvollkommenen Menfchen,
die irren konnten. Das mindere aber die Kraft der Schrift
zur Erweckung des rechtfertigenden Glaubens nicht.

Aus den abfchliefsenden Erörterungen ift vielleicht
das TJrtheil hervorzuheben, dafs die Lehre von der
Irrthumslofigkeit der Schrift das Verhältnifs der beiden
Principien der proteft. Kirche umkehre und den Glauben
zu einer menfchlichen Anftrengung des Fürwahrhaltens
mache. Möchte vor allem der Satz: ,Die Wahrheit offen
anerkennen, das heifst die Wahrheit am beften vertheidi-
gen' durchdringen!

Mit Erftaunen lieft man im Anhang IV der 3. Aufl.,
dafs gegen Smith im Presbyterium von Cincinnati am
17. Oct. 1892 förmliche Anklage erhoben worden ift,
u. a. weil er in dem ,Pamphlet' Bibl. Schal, etc. lehre,
dafs der h. Geift die infpirirten Schriftfteller bei Ab-
faffung der h. Schriften nicht irrthumslos gemacht habe,
und weil er damit die Infp. nicht im Sinne der h. Schrift
und des Glaubensbekenntnifses faffe. Man darf auf den
Schriftbeweis für die orthod. Infp.-Lehre nach den Gegen-
beweifen des ,Pamphlets' gefpannt fein. — Sonft bringt
der Anhang fchon in 1. Aufl. einen neuen Glaubensartikel
von der Infp. mit kurzen Kritiken von 4 fchottifchen
Profefforen und ein Verzeichnifs von Hilfsmitteln zum
Studium der einfchlägigen Fragen, aufserdem in 3. Aufl.
2 Aeufserungen von Smith über die Ordinationsgelübde
und über die Sünde des Schisma.

Das Intereffe, das die Kämpfe erregen, in die wir
hier einen Blick thun, ift um fo gröfser, je mehr fie an
unfere eigenen Kämpfe und Aufgaben gemahnen. Wegen
der Klarheit und Ueberzeugungskraft der Darftellung
aber und wegen der religiösen Wärme der Verff. möchte
man das Heft gern in die Hände unfrer Gebildeten legen,
vielleicht nach der pofitiven Seite hin ergänzt durch die
werthvollen Auffätze Haupt's über die Bedeutung der
h. Schrift für den ev. Chriften.

Warmbrunn i/Schlefien. Latrille.

Peiser, Privatdoc. F. E., Die hetitischen Inschriften. Ein

Verfuch ihrer Entzifferung, nebft einer das weitere
Studium vorbereitenden, methodifch geordneten Ausgabe
. Berlin, W. Peifer Verl., 1892. (XV, 128 u. Nachtrag
6 S. 4.) cart. M. 6. —

Die hittitifche Frage ift die Luftballonfrage der
vorderafiatifchen Palaeographie und Linguiftik. Von Zeit
zu Zeit tauchen mehr oder weniger anfpruchsvolle Ver-
fuche zu ihrer Löfung auf, um vor dem Worte der vernünftigen
Kritik bald fpurlos zu verfchwinden. Leider
hat der jüngfte Verfuch von Peifer nicht mehr Anfpruch
auf Unfterblichkeit. Sein öog /rot nov arm find aufser der
fog. Bilingue des Tarrik(?)dimme(?) vor Allem die im Palafte

des Sanherib zuKuyunjik gefundenen .hittitifchen' Siegellegenden
. Unter der ftillfchweigenden Vorausfetzung,
dafs diefe von tributzahlenden Königen herrühren, die
zu Sanherib's Zeit lebten, dafs fie lediglich einen pho-
netifch gefchriebenen Perfonennamen enthalten, dafs
die in den Infchriften Tiglatpilefer's III. und Sargon's
genannten .hittitifchen' Furften fammt und fonders noch,
und nur diefe, zu Sanherib's Zeit gelebt haben, dafs
in zweien der genannten Layard'fchen Legenden mit je
vier Zeichen, von denen das letzte der einen entweder
= dem erften oder = dem dritten der anderen ift, weil
nach Peifer allen Legenden Namen der von Sargon
und Tiglatpilefer III. genannten hittitifchen Fürften ent-
fprechen follen, lediglich die Namen Piflri (Pi-fi-ir-ri)
und Kustaspi (Ku-us-tas-pi) zu lefen fein können,
dafs dort nur Ku-us-tas-pi und Pi-fi-ir-ri, nicht
aber etwa auch Kus-ta-as-pi und Pi-fi-i-ri gefchrie-
ben flehen kann, ermittelt Peifer die Zeichen für ku, us,.
tas, pi, si, ir und ri, auf denen er dann weiter baut. Aber
alle diefe Vorausfetzungen find doch nur Möglichkeiten,
z. Th. recht unwahrfcheinliche, wie die, auf denen fufsend
Peifer aus der Legende des Tarrik(?) dimme (?) den
,wahrfcheinlichen' Lautwerth me für ein gewiffes
Zeichen gewinnt, den er ein paar Seiten weiter als
weitere, allerdings ziemlich belanglofe, Vorausfetzung für
feine Schlufsfolgerungen aus den Siegellegenden als .benimmt
' anfleht! Wer fagt uns denn, dafs die Infchriften.
von Königen herftammen, wer, dafs fle benimmt aus
der Zeit Sanherib's flammen, wer, dafs fie lediglich Perfonennamen
und zwar phonetifch gefchriebene enthalten
? Spricht nicht der Umftand, dafs eine der acht
Legenden nur aus einem Zeichen befteht, ganz aufser-
ordentlich ftark dagegen? Wie konnte Peifer überfehen,
dafs aufser der von ihm gewählten Combination Kustaspi
und Pifiri auch Tarhunazi (Tar-hu-na-zi) und
Gunzinanu (Gu-un-zi-nanu), fowie Pifiri (Pi-fi-i-ri)
und Ambaridi (Am-ba-ri-di) fleh hätten verwenden
laffen? Wer lehrt endlich, dafs gerade fo, wie Peifer will,
abzutrennen ift, und nicht etwa fo: Kus-ta-as-pi und
Pi-fi-i-ri etc. Da das Buch den Nachweis vermiffen
läfst, dafs die von Peifer eruirten bez. ftatuirten Laut-
werthe fleh fonft irgendwie als möglich oder wahrfchein-
lich äufsern, vielmehr jeder kühldenkende Lefer aus den
verfuchten Beweisführungen und den fogenannten Re-
fultaten die Unmöglichkeit herauslefen mufs, damit Etwas
anzufangen (dies gilt auch von der Einleitung und dem
Nachtrag), fo ift der ganze Entzifferungsverfuch mit all
den fleh daran anfchliefsenden, fprunghaft gewonnenen
.Ergebnifsen' trotz des darauf verwandten, leider fehr
unkritifchen Scharffinns als gefcheitert zu betrachten,
ebenfo natürlich der daran geknüpfte, mit alleiniger
Hülfe des modernen Türkifchen geführte Nachweis einer
Verwandtfchaft des Peifer'fchen Hittitifchen mit dem
Türkifchen. Die hübfehen von der Hand Frl. Bona
Peifer's, der auch das Buch in Dankbarkeit gewidmet ift,
angefertigten Copien der Infchriften wären nützlicher
geworden, falls fie von Peifer mit gröfserer Sorgfalt
vorgezeichnet wären. Sehr flüchtig ift namentlich die Copie
von Jerabis I. Zum Schlufs möchte ich nicht unter-
laffen, hervorzuheben, dafs fich Peifer durch feine Arbeit
um die Paläographie diefer Infchriften manches Verdienft
erworben hat.

Die hittitifche Frage wird noch manche unnütze
Arbeit verurfachen, noch weniger werthvoll als die Pei-
fer'fche, die immerhin das Verdienft hat, auf Etwas den
Finger gelegt zu haben, das fich einmal im Bunde mit
anderen Texten als Bafis für eine Entzifferung wird ver-
werthen laffen. Aber langfam, menfehlich langfam, und
nicht im göttlichen Sturmfehritt wird dies vermuthlich
fchwierigfte aller Hindernifse für den Erforfcher des
Orients zu nehmen fein.

Marburg im November 1892. P. Jenfen.