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Ausgabe:

1893

Spalte:

91-92

Autor/Hrsg.:

Göler, Ernst August von

Titel/Untertitel:

An einem geschichtlichen Wendepunkt 1893

Rezensent:

Fricke, D.

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 3.

92

Schlaraffia politica. Gefchichte der Dichtungen vom heften
Staate. Leipzig, Grunow, 1892. (V, 318 S. 8.) M. 2. —

Ein höchft intereffantes und lefenswerthes Buch. Der
ungenannte Verfaffer fchreibt im leichten Unterhaltungstone
, wodurch das Buch angenehm lesbar wird; aber er
verfügt, wie die Quellenangaben in den Anmerkungen
zeigen, über das Material zu einem umfangreichen gelehrten
Werke. Die Arbeit ruht auf ausgedehnten und
eingehenden Studien. In buntem Wechfel wird uns eine
lange Reihe von Schriftwerken alter und neuer Zeiten vorgeführt
von Platon's Republik und der Utopia des Thomas
Morus an bis zu Bellamy's ,Rückblick aus dem Jahr
2000' und Hertzka's ,Freiland'. Es find manche halb oder
ganz verfchollene darunter, aber kein einziges unbedeutendes
. Alle kommen darin überein, dafs fie das Ideal
eines Staatswefens fchildern, in welchem das goldene
Zeitalter herrfcht. Die einzelnen Werke werden mit den
gefchichtlichen und Kulturverhältnifsen der jedesmaligen
Entftehungszeit in Beziehung gefetzt und aus denfelben
verftändlich gemacht. Gegenüber manchen verwunderlichen
und beforglichen Erfcheinungen der neueften Zeit,
wie die beiden obengenannten, giebt des Verf.'s Ge-
fchichtsdarftellung die, wenn man fo will, beruhigende
Erkenntnifs, dafs auch hier Alles fchon dagewefen ift.
Das Suchen nach den Infein der Seligen oder nach
dem Schlaraffenland, wie es der deutfche Volkswitz
nennt, ift fo alt wie die Sehnfucht des Menfchenherzens
nach Glück und Frieden. Aber ebenfo alt und unausrottbar
fcheint die dabei ftets wiederkehrende Verkennung
unumftöfslicher fittlicher und wirthfchaftlicher Grund-
geletze. Ueberall der verhängnifsvolle Wahn, dafs eine
allgemeine fittliche Wiedergeburt fich von felbft ein-
ftellen werde bei einer gründlichen Umkehr der focialen
Verhältnifse. Lafter und Verbrechen find nicht Schuld
der Menfchen, fondern des ungefunden Zuftandes der
Gefellfchaft, daher denn als Univerfalheilmittel in den
meiften diefer Utopien die Gütergemeinfchaft erfcheint.
In natürlicher Folge davon ift meift auch die Ehe be-
feitigt. Eine treffende Kritik giebt der Verf. im Schlufs-
abfchnitt. Sehr beachtenswerth ift der in den Ab-
fchnitten über den Sonnenftaat des Dominikaners
Campanella und den Jefuitenftaat in Paraguay gegebene
Nachweis der Wahlverwandtfchaft zwifchen gewiffen
communiftifchen und katholifchen Ideen. Es fei dem
Buche ein zahlreicher Leferkreis gewünfcht. Als Fundgrube
für populäre Vorträge wird es fich vortrefflich
eignen.

Darmftadt. K. Köhler.

Göler, Ernft Aug. Frhr. v., An einem geschichtlichen Wendepunkt
. Heilbronn, Salzer, 1892. (58 S. 8.) M. 1.—

Mit grofsem Intereffe habe ich die kleine Schrift
durchgelefen. Sie ift ebenfo fchön in ihrer ruhigen Form,
wie ernft und tief in der Charakeriftik der Zeit, in welcher
der Verf., ohne Kleinmuth, eine Zeit der religiöfen
und kirchlichen Krifis erften Ranges fieht. Sie kann nach
ihm nur mit der Krifis zur Zeit des Kommens Chrifti
und der Reformation verglichen werden. Er vergleicht
die drei Zeiten mit wägender Prüfung, lichtvoller Gegen-
überftellung und unparteiifcher Beurtheilung. Die Gegenwart
mit ihrer zunehmenden Verwirrung und Drohung
erfcheint ihm numerifch vorwiegend als ,Chriftliches
Heidenthum', fie hat innerhalb der Mafien in Haus, Staat
und Leben Gott eliminirr, nicht blofs der Dilettantismus
der atheiftifchen Socialdemokratie. Er ruft zur Einkehr
und Prüfung, zum lebendigen Gott der Schrift, zur
freien Innerlichkeit des Glaubens, durch den die Reformatoren
, vor Allem Luther, die Welt mitfammt dem
Papftthum, das blofs ,Welt' und Weltmacht noch ift, fich
zu Füfsen zwang. Ohne Parteitreiben und blofs äufserlich
gefetzliches Dogmenwefen müffen wir unferes ganzen

Volkes Leben wieder zu durchdringen fuchen mit
Gott und mit Chrifto ob viele ob wenige, nur in Furcht
vor Gott, nicht vor Menfchen, — eine andere Zuverficht,
die Krifis in Kirche und Staat fiegreich zu beftehen,
giebt es nicht. — Hätten wir viele Laien wie den Verf., fo
wäre nichts zu fürchten. Aber gerade die Gebildeten,
einfchliefslichunferer Staatsmänner und Volksvertretungen,
flehen im grofsen Durchfchnitt mit einem Indifferentismus
, mit einer Indolenz und Gedankenlofigkeit den
grofsen, zur Entfcheidung drängenden Fragen des
Höchften gegenüber, wie kaum jemals zuvor. Das ift
unfere Gefahr! Der ernfte Verfaffer fucht fie mit zu be-
fchwören. Er fchont auch die Theologen durchaus nicht.
Wir emfehlen die nach Form und Inhalt fchöne Schrift.

Leipzig. D. Fricke.

Berichtigungen.

Auf Erfuchen des Herrn Dr. Franz Hülskamp zu Münfter i/W. berichtige
ich meine Angabe in Nr. I, dafs Bedenken über die theologifche
Urtheilsfähigkeit des Verfaffers der ,Gefchichte der chriftlich-lateinifchen
Foefie' bisher nur im Theol. Jahresbericht gemacht worden feien, dahin,
dafs bereits Suitbert Bäumer O. B. im .Katholik' (1892, I. Band, S.
279 ff. vgl. auch Litern. Handw. 1892, Nr. 3, Sp. 96/97) fich ähnlich
geäufsert hat.

Giefsen. G. Krüger.

Die englifche Ueberfetzung des Werks des Herrn D. Theol. E. P € t a v e 1,
Le Probihne de Cimmorialite, ift nicht in America erfchienen, fondern in
London, bei Elliot Stock; Ueberfetzer ift Herr Frederick Ash Freer.
(Th. Lztg. 1891, Num. 20; 1892, Num. 24).

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Bibliographie

von Bibliothekar Dr. Johannes Müller.

Berlin W., OpcrnplaU, Königl. Bibliothek.

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