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Ausgabe: | 1893 Nr. 3 |
Spalte: | 76-79 |
Autor/Hrsg.: | Krumbacher, Karl |
Titel/Untertitel: | Studien zu den Legenden des h. Theodosios 1893 |
Rezensent: | Dräseke, Johannes |
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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 3.
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wie das Aethiopifche zeigt. Endlich 31, 1 wird
rexzag erläutert durch den Zufatz zn •/.aXovfiernv Oaggav,
was auch irgend ein hebräifches Wort fein mufs (Dillmann
^"ll). — Ein eigenthümliches Zufammentreffen ift
es, dafs' gerade jetzt, wo wir ein fo wichtiges neues
Hülfsmittel für die Reconftruction des urfprünglichen
Textes empfangen haben, eine hebräifche Ueberfetzung
des Buches von einem jüdifchen Gelehrten herausgegeben
worden ift (Das Buch Henoch aus dem Aethiopifchen
in die urfprünglich hebräifche Abfaffungsfprache zurück-
überfetzt, mit einer Einleitung und Noten verfehen, von
Lazarus Goldfchmidt, Berlin 1892). Sie ift leider nun
für Cap. 1—32 bereits antiquirt. Nach einer Notiz in der
Revue des etudes juives t. XXIV, 1892 305 bereitet
Halevy eine neue hebräifcheUeberfetzung vor. Uebrigens
fcheinen mir die Formen &ovxa, IVIavöoßaga, Baßdrjga
eine aramäifche Vorlage wahrfcheinlicher zu machen als
eine hebräifche.
In Betreff der Compofition des Buches zeigt der
neue Text, dafs die Zufammenfügung fremdartiger Be-
ftandtheile zu einem Ganzen nicht erft in die Zeit der
äthiopifchen Textüberlieferung fällt. Alles was man aus
inneren Gründen verfchiedenen Bearbeitern zuweifen mufs,
findet fich (abgefehen von Kleinigkeiten) im griechifchen
Text bereits ebenfo wie im äthiopifchen aneinander gereiht
. Für die genauere Ermittelung des Vorftellungs-
kreifes aber ift die Auffindung des griechifchen Textes
nicht unwichtig, fchon um der Terminologie willen. So
ift es von Intereffe, dafs in der Befchreibung des vierfach
getheilten Aufenthaltsortes der Verdorbenen (Cap. 22) die
abgefchiedenen Seelen in der Regel nvevuaza genannt
werden (22, 7: zovzo zo nvEviiä saziv zo a^süfröv ano
'LdßsX, 22, 9: Tri nvsv/naza zwv vexgwv, za nvevfiaza zwv
dr/.aicov, 22, II: zwv y.azrjgct/.isvwv nvevfiatiov, 22, 13:
znig 7rveviiaaiv zwv civirgwnwv). Einzelne Ausleger des
erften Petrusbriefes haben die Beziehung von I Petri 3, 19
auf die Höllenfahrt auch aus dem Grunde abgelehnt,
weil die Verdorbenen niemals nvtviiaza genannt würden.
Dem konnte man freilich fchon bisher einige Belegdellen
entgegenhalten, aber keine fo treffende wie den jetzigen
griechifchen Text von Henoch 22; denn Dillmann's Ueberfetzung
gebraucht vorwiegend den Ausdruck .Seelen1,
läfst alfo den Terminus der griechifchen Vorlage zweifelhaft
. Das genannte Capitel (22) wird überhaupt erd
jetzt durch den griechifchen Text einigermafsen deutlich.
Der Verlader unterfcheidet in dem Aufenthaltsort der
abgefchiedenen Seelen, wo fie bis zum grofsen Gericht
bleiben, vier Abtheilungen (22, 1), drei dunkle und eine
helle (22, 2: zgzig avzwv a/.ozeivol xai eig rpwisivoc, diefe
Worte fehlen im Aethiopifchen). Die helle Abtheilung
id für die Gerechten (22, 9). Die drei dunkeln: 1) für
die Sünder, welche in diefem Leben noch keine Strafe
empfangen haben (22, 10—11); 2) für diejenigen, welche
in den Tagen der Sünder getödtet wurden und um
Rache bitten (22, 12), alfo für Gerechte, deren Loos aber
noch ein unerfreuliches id, weil fie noch nicht Genug-
thuung erhalten haben; 3) für die gewöhnlichen Sünder
(22, 13), d. h. diejenigen, welche fchon in diefem Leben
Strafe empfangen haben. Sie kommen nicht ins Gericht,
bleiben aber an dem dunkeln Ort (01; ziiiwgrftziaovzm iv
z)uEQtt zrtg xgiaewg ovde 11p iiezeyeg&cöaiv ivrei&ev). Dafs
die beiden letzteren Kategorien zu unterfcheiden find,
konnte nach dem äthiopifchen Texte kaum erkannt werden.
Lods knüpft an diefes intereffante Capitel und ähnliche
Stellen die richtige Bemerkung, dafs die Vordellungen
des Verfaffers, namentlich in Betreff des Lebens nach
dem Tode, fich fehr wefentlich von den altteftament-
lichen unterfcheiden (S. LXIII ff.). Er geht aber doch zu
weit, wenn er in feiner letzten Anmerkung (S. 198) meint,
dafs die Glaubenswelt des alten Ifrael hier fchon beinahe
vollftändig {presque entieremcni) umgebildet fei .durch
den neuen Glauben an das künftige Leben', fo dafs die
Vorftellung von einem noch auf Erden, jenfeits des
.rothen' Meeres vorhandenen Paradkfe einer der wenigen
Punkte fei, welche der Strom noch nicht berührt habe.
Thatfächlich nimmt die Grundfchrift des Buches Henoch
eine Mittelftellung ein zwifchen dem altteftamentlichen
und dem zur Zeit Chrifti herrfchenden Vorftellungskreife.
In fehr wefentlichen Punkten ift erfterer noch feilgehalten.
Gott felbft kommt zum Gericht (1, 3—9. 25, 3). Die
Seligkeit ift eine diesfeitige (1,8. 5,7—9. 10, 16—II, 2.
Cap. 24—25). Nicht auf ein ewiges, fondern auf ein
langes Leben find die Hoffnungen des Verfaffers gerichtet
(5, 9. 10,9—10. IO, 17. 25,6: tfovpv nleinva Ür]aovzca
hil yrjg r]v tL~r]Oav oi nazigsg am). Das Gehinnom, in
welchem die Irechen Sünder gerichtet werden, ift noch
ein Thal bei Jerufalem (Cap. 26—27); das Paradies eine
herrliche Gegend jenfeits des rothen, d. h. des perfifch-
indifchen Meeres (Cap. 32). Die Art, wie der Verfaffer
fich hier überall noch im Rahmen der altteftamentlichen
Anfchauungen bewegt, ift zugleich eine fichere Beftätigung
des jüdifchen Urfprungs diefer Stücke.
Kiel. E. Schürer.
Krumbacher, Karl, Studien zu den Legenden des h. Theo-
dosios. [Aus: ,Sitzungsber. der k. bayer. Akad. d. Wiff.'|
München, [G. Franz' Verl.], 1892. (S. 219—379. gr. 8.)
Vor zwei Jahren erfchien Ufener's von allen Seiten
freudig begrüfste Schrift ,Der heilige Theodofios,
Schriften des Theodoros und Kyrillos' (Leipzig,
B. G. Teubner, 1890). Derfelbe veröffentlichte darin auf
Grund eines dem Anfange des XI. Jahrhunderts ange-
hörigen Cod. Laur. zwei Lebensbefchreibungen des als
Büfser und Kloftergründer der Paläftinifchen Einöde
berühmten Kappadociers Theodofios. Verfaffer der
erften ift der uns fonft unbekannte Paläftinenfer Theodoros
, ein grammatifch und rhetorifch gründlich ge-
fchulter Mann und Infaffe des Klofters des h. Theodofios,
der in Folge diefer feiner Eigenfchaften vom Archi-
mandriten Sophronios mit der Abfaffung der Gedächt-
nifsrede auf den Gründer des Klofters beauftragt, diefe
für die erfte Jahresfeier des Todestages des Theodofios,
11. Januar 530, abfafste, aber wohl erft fpäter herausgab,
ein Werk, das mit allen feinen Vorzügen und Schwächen
von Ufener als ,ein vollendetes, typifches Denkmal ihrer
Zeit und der damaligen Beredtfamkeit' bezeichnet worden
ift. Von ganz anderer Art find die wenigen Seiten,
welche Kyrillos demfelben Theodofios gewidmet hat.
Aus Skythopolis in Galiläa ftammend und durch den
h. Sabas 543 für das mönchifche Leben beftimmt und
! gewonnen, hat er, dem rhetorifch feingebildeten Theodoros
gegenüber fich des Mangels an weltlicher Schulbildung
wohl bewufst und mit einer ihn ehrenden
Befcheidenheit von feiner fprachlichen Ungewandtheit
redend, durch feinen fchlichten Wahrheitsfinn, feine Treue
und fcharfe Beobachtungsgabe für die gefchichtliche
Kunde des Mönchs- und Einfiedlerwefens des 6. Jahrhunderts
unvergleichlich viel mehr geleiftet, als Männer
vom Schlage des Theodoros. Der Text war von Ufener
in mufterhaft fauberer Geftalt vorgelegt, und die Theologen
hatten allen Grund, diefer fchönen Leiftung fich
zu freuen. Und zwar galt dies zunächft von dem Inhalt;
die fprachliche Form der beiden Schriftwerke konnte
erft fehr in zweiter und dritter Linie in Betracht kommen.
Eröffneten uns doch diefe Schriften zum erften Male
einen unerwartet hellen Blick in die ftürmifchen Zeiten
nach der Chalkedonifchen Kirchenverfammlung, in die
Verfuche der Parteien, ihrer Glaubensanficht zum Siege
zu verhelfen, und in die Mafsregeln der Staatsgewalt,
zwifchen den ftörrifch und rechthaberifch Hadernden
Frieden zu ftiften. Nehmen wir dazu die Fülle feiner
fprachlicher Beobachtungen und Erläuterungen, fowie
gefchichtlicher Ausführungen, mit denen Ufener feine
Textausgabe begleitete, fo kann man in der That fragen,