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Ausgabe:

1893

Spalte:

55-57

Autor/Hrsg.:

Rabaut, Paul

Titel/Untertitel:

Ses lettres à divers 1744 - 1794 avec notes par Charles Dardier. 2 vols 1893

Rezensent:

Schott, Theodor

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Rabaut, Paul, Ses lettres ä Antoine Court 1739—1755 avec
notes par A. Picheral-Dardier et une preface par Ch.
Dardier. 2 vols. Paris, Grassart, 1884. (LVII, 396 u.
491 S. 8.)

Rabaut, Paul, Ses lettres ä divers 1744—1794 avec notes
par Charles Dardier. 2 vols. Paris, Grafsart, 1891.
(XLVIII, 474 u. 498 S. 8.)

Wer fich mit der Gefchichte des franzöfifchen Pro-
teftantismus im 18. Jahrhundert befchäftigt, wird fchmerz-
lich vermiffen, dafs über die II. Periode diefer intereffanten
Gefchichte und über die zweite Hauptperfon in derfelben,
über Paul Rabaut, kein folch treffliches Werk vorhanden
ift, wie über die Zeit von 1715 —1760 und den Helden
derfelben A. Court; hier hat E. Hugues in Antoine Court,
llistoire de la restauration du Protestantisme en France
au XVIIF siede. 1. 2. II. Edit. Paris 1872 nicht blofs
ein grundlegendes Werk gegeben, fondern eines, das für
lange Zeit genügen wird, wenn auch einzelne kleinere
Abfchnitte durch neuere Forfchungen Verbefferungen
erfahren können. P. Rabaut (geb. 1718 gelt. 1794) ift
noch nicht fo glücklich. Wohl haben Borrel und Bridel
kleinere Lebensfkizzen des merkwürdigen Mannes veröffentlicht
, auch eine englifche kurze Biographie ift vorhanden
, und in einem vielgelefenen religiöfen Roman ift
er als Hauptperfon verherrlicht [Bungener, Trois sermons
sous Louis XV.) ,aber eine Lebensbefchreibung, wie fie
der Mann verdient, aus den reichlich fiiefsenden Quellen
gefchöpft, welche feiner umfaffenden fegensreichen Wirk-
famkeit gerecht würde, giebt es meines Wiffens bis jetzt
noch nicht. Und doch war er einer der eifrigften Geift-
lichen der ,Wüfte', der das von A. Court fo glücklich angefangene
Werk der Wiederherftellung des franzöfifchen
Proteftantismus ebenfo eifrig als befonnen und ebenfo
erfolgreich unter Verfolgungen und Mühen fortfetzte,
von welchen man fich in unferer Zeit kaum einen Begriff
macht, der hochgeachtete Hirte einer weit zerftreuten Heerde,
die er zum Worte Gottes fammelte und für die er bei König
und Regierung, bei Privatleuten und fremden Herrfchern
eintrat, ohne läffig und verdroffen zu werden, das Haupt
und der Apoftel der Proteftanten in Languedoc, wie ihn
einmal der Marfchall Thomond, Commandant in jener
Gegend, charakterifirte. Für fo wichtig hielt die Regierung
feine Perfon, dafs fie nicht blofs einen fehr hohen Preis
auf feinen Kopf fetzte, fondern ihn, wie er felbft einmal
fcherzend fchreibt, ,mit dem Rade bedrohte', während
gewöhnliche Geiftliche einfach gehenkt wurden. In feine
Amtsthätigkeit fällt, um nur einiges zu erwähnen, die
grofse Verfolgung, die von 1745—1753 fich erftreckte,
die Hinrichtung von Jean Calas (1762), fowie die immer
mehr fich zeigende Duldung, das Toleranzedict
Ludwig's XVI (1787), ja auch die Stürme der Revolution
gingen an dem ehrwürdigen Manne nicht fpurlos vorüber.
Ein zärtlicher Familienvater, ein aufopfernder Gatte war
er ein chriftlicher Held im beften Sinne des Wortes. Die
vorliegenden Publicationen bieten nun die nothwendigen
Bausteine zu einer Biographie, es giebt keine Seite von
Rabaut's Leben und Thätigkeit, welche nicht durch fie
erhellt würde; von feinem 20. Jahre an bis zu feinem Lebensende
zieht fich der Faden diefer Correfpondenz fort (leider
auch nur einBruchtheil derzahllofen Briefe,Bittfchriften
u. f. w., welche der nimmermüden Feder entftrömten), aber
fie umfafst nicht blofs fein ganzes Leben, fondern auch
die Gefchichte der Kirche, welcher er diente, des Glaubens,
welchen er bekannte. Die Nöthen der einzelnen Gemeinden
und der Kirche fchlugen gerade fo mächtig an
fein warmes Herz, wie die Bedrängnifse und Verfolgungen,
welche über einzelneGemeindeglieder ergingen, der ganze
nie aufhörende Kampf mit der Staatsgewalt und dem
katholifchen Clerus zieht ebenfo anfchaulich an uns vorüber
, wie die inneren Gegenfätze, welche das proteftan-
tifcheGemeinwefen bewegen, und die Zerwürfniffc, welche

feinen Beftand erfchüttern. Fügt man zu diefem .täglichen
Angelaufenwerden" noch hinzu die Anfprüche,
welche Frau und Kinder an ihn machten, die Sorgfalt, mit
welcher er die Lüken feiner theologifchen Ausbildung zu
ergänzen fuchte, fowie alle die rein menfchlichen Beziehungen
, wie fie in einem vielfeitigen Briefwechfel fich
aufdrängen, fo läfst fich leicht ermeffen, welche reiche
Fundgrube für jene Zeit vor uns ausgebreitet ift. —

Die beiden erften Bände enthalten die Correfpondenz
mit Antoine Court; es war ein fchönes Band des
Vertrauens, welches den um 22. Jahre jüngeren Rabaut an
den älteren Genoffen feffelte; vom erften Briefe an (Februar
1739) wo er das heifse Verlangen ausfpricht, den Mann
kennen zu lernen, den alle Proteftanten des Landes lob-
preifen, bis zu dem letzten der Sammlung (9. Mai 1755)
ift diefe Anhänglichkeit diefelbe geblieben, der .verehrte
Herr' ift der Freund und Gevattermann geworden, dem
er alles berichtet und von dem er jeden Rath annimmt,
und der feinerfeits neidlos auf die Erfolge des jüngeren Ge-

! fährten herabblickt. Wohlfehlen diejahre 1755—60 (Court

! ftarb 12. Juni 1760), aber fie bilden keine grofse Lücke, da
Court durch den Tod feiner innigft geliebten Frau in feiner
Kraft gebrochen war und die Correfpondenz offenbar nur
fehr fcliwach fortgefetzt wurde. Sämmtliche Briefe flammen
aus den Papieren Courts, deren 118 Bände zu den werthvollsten
Schätzen der Genfer Bibliothek gehören; die Orthographie
ift im Allgemeinen beibehalten, die Unterfchrift lautet
freilich nicht immer P. Rabaut, fondern zeigt, wie auch
die Adreffe, allerlei Uebernamen (noms de guerre); man
war nie ficher, ob die Briefe nicht aufgefangen und geöffnet
wurden. Es bedarf auch fonft oft förmilcher Erklärungen
, wenn die Verfammlungen als .Märkte', die
Predigt als ,Waare' u. f. w. bezeichnet werden, lauter
Vorfichtsmafsregeln in diefen gefährlichen Zeiten der
Verfolgung. —

Einen etwas anderen Charakter trägt die II. Sammlung
; aufser einigen Briefen an A.Court find ihre Adreffaten
CourtdeGebelin,derSohn undNachfolgervonAntoine, geiftliche
Collegen ,in derWüfte' wiePradel, H. Cavalier, Racine,
befonders aber der Theologe Chiron in Genf, bei dem die
3 Söhne Rabaut's erzogen wurden, der aber auch fonft den

j regften Antheil nahm an den Schickfalen feiner Glaubensbrüder
in Frankreich. Daneben manche hohe Herren wie
der Intendant Le Nain, der Herzog von Fitz James, Turgot,
Lafayette und andere. Auch hier bilden die grofsen
und kleinen Vorkommnifse in Haus und Gemeinde, in
Frankreich und dem übrigen Europa den Inhalt, und
wenn man von dem einfachen Geiftlichen der Wüfte
keine hochfiiegenden Gedanken erwarten darf, fo berührt

j dafür das gefunde gerade Urtheil, die lebendige Frömmigkeit
um fo wohlthuender. Bis zu feinem Lebensende
ift der rothe Föden, welcher die ganze Correfpondenz

1 durchzieht, die Sorge für feine Kirche; die ganze Tragik
feines Lebens kommt in den letzten Zeilen, die uns hier
geboten werden, zu Tage (22. Februar 1794), und die an
den öffentlichen Ankläger' gerichtet find, ,ein alter kranker
und unglücklicher Greis, deffen ganzes Leben dazu beftimmt
fcheint, eine Beute der Verfolgungen zu werden'. — Aus
einem Briefwechfel Einzelnheiten anzuführen, ift nicht gut
möglich; ein Punkt darf aber nicht unerwähnt bleiben,
es ift das Project, welches J. F. Armand, Caplan der hol-
ländifchen Gefandtfchaft zu Paris in den Jahren 1779—1783,
zum Urheber hatte und welches auf eine der Regierung
angenehme, aber für die Hugenotten kaum annehmbare
Weife die erfehnte Duldung herbeiführen follte; nämlich
Schaffung des Civilftandes für die bisher Verfehmten,
verbunden mit Aufgeben des öffentlichen Gottesdienftes.
Diefe in vielen Briefen befprochene Epifode, welche
grofse Aufregung in der Kirche verurfachte, ift hier zum
Erftenmal bekannt gegeben. Sehr dankenswerth find
einige Beilagen z. B. der Brief von Rabaut-St. Etienne,
dem älteften Sohne von Paul R., an das Confiftorium zu
Bordeaux Februar 1788. — Erhöht wird der Werth des