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Ausgabe:

1893 Nr. 26

Spalte:

647-648

Autor/Hrsg.:

Traub, Thdr.

Titel/Untertitel:

Römisch oder evangelisch? Die römische und die evangelische Lehre von den Gnadenmitteln 1893

Rezensent:

Ritschl, Otto

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647

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 26.

648

ganze Welt unter dem Gedanken der Schöpfung, Leitung !
und Vorfehung Gottes. Diefer wirkt auch durch den |
caufalen Zufammenhang der Natur zur Erreichung feiner {
Zwecke. Aber wie diefe Wirkung im Einzelnen vermittelt
in, das ift fchon nicht mehr eine Frage des reli-
giöfen Erkennens, das nur die Thatfache felbft feftftellt,
dafs Gott in der Welt feine Zwecke verfolgt und durch- j
fetzt. Wenn daher das wiffenfchaftliche Erkennen die 1
Art des in dem Naturzufammenhang anfchaulichen Wir- j
kens erforfcht und die hierbei gefundenen Gefetze als !
in ihrem Bereich allgemein gültig anerkennt, fo collidirt
es nicht mit dem religiöfen Erkennen, aufser, wie es J
fcheint, in der Frage nach den biblifchen Wundern.
Dies ift aber eine hiftorifche Frage, die mit den Mitteln
der Gefchichtswiffenfchaft zu löfen, oder, foweit diefe j
nicht ausreichen, wie fo manche andere Fragen der Wiffen- j
fchaft offen zu laffen ift. Dafs aber das wiffenfchaftliche
Erkennen neben dem religiöfen nothwendig ift, das folgt
aus dem durch die Religion erkannten und begründeten
fittlichen Zweck des Menfchen. Denn als Mittel zu deffen
Verwirklichung bedarf man der Welt und ihrer wiffen-
fchaftlichen Erkenntnifs.

Alfo Einheitlichkeit ift nicht allein dem von dem
Verf. vertretenen, fondern auch dem von ihm beftrittenen
Entwurf einer Weltanfchauung eigen. Die Entfcheidung
für die überwiegend religiöfe oder für die überwiegend
theoretifche Weltanfchauung hängt aber auch von einem
Werthurtheil ab.

Kiel. O. Ritfchl.

Traub, Stadtpfr. Thdr., Römisch oder evangelisch? Die

römifche und die evangelifche Lehre von den Gnadenmitteln
. Leipzig, Buchh. d. Ev. Bundes v. C. Braun,
1893. (VII, 197 S. gr. 8.) M. 4. -

Der Verfaffer hatte, wie er im Vorwort mittheilt,
die Abficht gehabt, in Anlehnung an die vier Hauptftücke
des römifchen Katechismus eine umfaffendere Polemik
gegen Rom zu fchreiben. Da ihm aber bisher die Zeit
dazu fehlte, legt er uns vorläufig erft einen Theil feiner
Studien, diejenigen über die Sacramentslehre, vor. Er
weift felbft darauf hin, dafs die von ihm gewählte Stoff-
eintheilung im Anfchlufs an jenen Katechismus ihre
Schattenfeiten hat. Diefe würden aber ohne Zweifel
weniger hervorgetreten fein, wenn der Verf. nicht gerade
die Sacramentslehre zuerft bearbeitet hätte. Denn diefe
fetzt ja nicht nur die Lehre von der Kirche, fondern
auch die Abgrenzung zwifchen den Begriffen der Gnade
und des Verdienstes voraus, und fpeciell die Lehre von
dem Abendmahl weift auf die Chriftologie zurück. Auf
Grund davon, was über diefe Dinge im Katholicismus
gilt, kann alfo auch erft die volle Einficht in die Tendenz
und Bedeutung des katholifchen Sacramentswefens
erreicht werden. Wenn diefes fo aber als Glied in dem
Ganzen der katholifchen Weltanfchauung betrachtet wird,
fo möchte doch wohl der Protest, den der Verf. nun
erft gegen einzelne katholifche Auffaffungen richten kann,
zufammenhängender und daher wirkfamer fein. Dazu j
kommt noch ein anderes. Die katholifche Sacramentslehre
im Ganzen und im Einzelnen wird in dem relativ
fertigen Zustande vorgeführt, der den Widerfpruch der
Reformation hervorgerufen hat, und der unfern Widerfpruch
auf die Dauer herausfordert. Wenn der Verf.
auch bei verfchiedenen Gelegenheiten auf Anfchauungen
und Einrichtungen in der alten Kirche zurückgreift, fo
hat er es doch nicht als feine Aufgabe angefehen, zu
zeigen, wie etwa das katholifche Sacramentswefen in der
Gefchichte von Anfang an geworden ift und fo hat
werden können, wie es uns nun entgegentritt. So aber
erfcheint gar manches von den gefchilderten katholifchen
Anflehten und Gebräuchen blofs als zufallig und willkürlich
, was im Zufammenhange einer genetifchen Darfteilung
, und wenn diefe auch nur als Skizze gegeben
wäre, als relativ nothwendig hätte erkannt werden können.

Abgefehen von diefen Nachtheilen in der Subftruction
des Werkes find aber die einzelnen Unterfuchungen felbft
gründlich und forgfam, und die Darstellung ift übersichtlich
und klar. Namentlich ift auch die neuere und neueste
katholifche Literatur in ausgiebiger Weife berücksichtigt
worden. Die proteftantifche Auffaffung von den Sacra-
menten wird foweit entwickelt, als fich auf fie der Widerfpruch
des Verf.'s gegen die katholifche Anfchauung
stützt. Diefe Befchränkung, derzufolge z. B. die pro-
teftantifchen Theorien über das Abendmahl und deren
Differenz übergangen werden, ift durch die polemifche
Abficht des Werkes auch vollauf gerechtfertigt.

Im Einzelnen möge folgendes zur Berichtigung und
Ergänzung von Angaben des Verf.'s bemerkt werden.
Sein Satz, dafs ein Sacrament der Bufse bei uns Protestanten
nicht anerkannt werde (S. 30), ift nur in Betreff
der letzten 200 Jahre richtig. Denn die deutfehen Reformatoren
haben thatfächlich die Bufse weiter als Sacrament
anerkannt {Apol. 4, 60; 5, 41; 7, 4) und vollzogen, und
erft gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann diefe Einrichtung
zu verfallen. — Die Lehre von dem character
indelebüis der Taufe und der Ordination ift nicht erft im
Mittelalter aufgekommen (S. 13 f. 117), fondern, wenn
auch noch nicht mit dem Adjectiv indelebilis, fo doch
der Sache nach, von Auguftin aufgebracht worden (vgl.
Reuter, Auguftinifche Studien, S. 264 f.). — Die von dem
Verf. angeführte Stelle über das Fronleichnamsfest (Can.
et decr. conc. Trid. Sess. 13. cap. 5) wiederholt nur den
fchon 1264 in der Bulle Urban's IV. ausgefprochenen
Gedanken: Licet igitur hoc memoriale sacramentum in
quotidianis missarum solemniis frequentetur, conveniens
tarnen arbitramur et dignum, ut de ipso scmcl saltem in
anno, ad confnndendam specialiter haerettcoruin perfidiam
et insaniam, memoria sotemnior et celebrior habeatur (bei
Giefeler, II, 2. S. 449, Anm. 16).

Kiel. O. Ritfchl.

Kübel, Rob., Über den Unterschied zwischen der positiven
und der liberalen Richtung in der modernen Theologie.

2., völlig neu bearb, Aufl. München, Beck, 1893. (IX,
334 S. gr. 8.) M. 4. —; geb. M. 5. -

,Wehe einer Kirche, die in fich folche Geister tragen
mufs, die fich haffen und zum Tod bekämpfen müffen;
wohl einer Kirche, die recht viele verfchiedene, mannigfaltige
Geifter hegt und walten läfst, aber folche, die alle
dem einen Quell entflammt find und der einen Kraft
und Norm, dem einen Herrn dienen, Christo und dem
ewigen Leben'. Mit diefen zweifellos richtigen Worten
fchliefst der Verf. feine Unterfuchung. Die Frage ift,
ob die ev. Kirche der Gegenwart fich in dem erfteren
Fall befinde oder in dem zweiten. Erwägt man die eingehende
Betrachtung, welche der Verf. dem Gegenfatz
der beiden in unterer Kirche fich zur Zeit gegenüber
flehenden Richtungen, genannt liberal und pofitiv, zu
Theil werden läfst, fo fcheint es, dafs man fich nur im
erfteren Sinne entfeheiden könne. Er kommt darauf
hinaus, dafs nicht blofs ein Unterfchied der theologifchen
Auffaffung, fondern ein wefenhafter religiöfer Gegenfatz
bestehe. In der That find die Differenzen, die fich allenthalben
ergeben, fo zahlreich und tief, dafs die beforg-
liche Frage nicht abzuweifen ift, ob bei folcher Verfchie-
denheit der Geifter ein Zufammengehen in einer und
derfelben kirchlichen Gemeinfchaft auf die Dauer möglich
fei. Und es ift gut, dafs darüber kein Geheimnifs
bestehe; ein Verfchweigen und Verhüllen vorhandener
Widerfprüche ift niemals der Weg zum Frieden. Aber
das Vorhandenfein ausfchliefsender Gegenfätze ift m. E.
nirgends erwiefen. Es zeigt fich fchon darin, dafs zwei
in fich einheitliche, je auf einem erkennbaren Princip