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Ausgabe:

1893

Spalte:

641-644

Autor/Hrsg.:

Siebeck, Hermann

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Religionsphilosophie 1893

Rezensent:

Glogau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1S93. Nr. 26. 642

können. Ein Fachmann im engern Sinne, der in Möller's
z. T. veralteten Rahmen (vgl. die Anzeige der erften
Aufl. in diefer Zeitung 1892 Nr. 2 und Jülicher in den
Gotting. Gel. Anzeigen 1892 Nr. 19) eine Neubearbeitung
übernommen hätte, wäre fchwerlich gefunden;
jedenfalls hätte er längere Zeit gebraucht, als das buch-
händlerifche Intereffe erheifchte. Ein mechanifcher Neudruck
wäre dem Verleger mit Recht verübelt worden,
denn infolge der Krankheit des Verf.'s war die Zahl der
bei der Correctur flehen gebliebenen Verfehen in der
I. Aufl. keine geringe. Die Löfung der Schwierigkeiten,
die man gefunden hat, ift die denkbar günftigfte. Dem
Collegen des verewigten Verfaffers, der den Neudruck
überwacht hat, wird niemand die Verantwortung aufbürden
, die ein Fachmann übernähme; zugleich wird
aber jeder geliehen, dafs aufserhalb des Kreifes der
berufsmäfsigen Kirchenhiftoriker wenige eine gleiche
Vertrautheit mit kirchcnhiftorifcher Arbeit und eine
gleiche Belefenheit der Aufgabe hätten entgegenbringen
können. Dafs an der Anlage und Stoffvertheilung des
Buches nichts geändert ift, erfcheint fo völlig berechtigt;
die Aufgabe der ,redactionellen Leitung' der neuen Ausgabe
konnte gar nicht anders beftimmt werden, als
Kawerau lie aufgefafst hat: ,Verfehen, die bei der Nieder-
fchrift wie bei der Correctur unbemerkt geblieben waren,
möglichft auszumerzen und die feither erfchienene Literatur
in den dem Zweck des Buches entfprechenden
Grenzen nachzutragen und deren Ergebnifse thunlichtt
zn berückfichtigen'. Die Ausführung entfpricht diefer
Ankündigung. Im Grofsen und Ganzen ift das Buch
dasfelbe geblieben. Der Text ift nur um 6 Seiten ge-
wachfen. Aber wie das Regifter in auffälligfter Weife
die forgfältig beffernde Hand des Herausgebers verräth
— es ift mehr als 4 Seiten ftärker, als das der erften
Auflage —, fo ift, wenn auch verborgener, die felbftlofe
Arbeit pietätvollen Befferns mannigfach zu beobachten.
1 >afs man fie überall da bemerkt, wo die Recenfionen
der 1. Aufl. fie als wünfchenswerth hatten erfcheinen
laffen, ift felbftverftändlich. Aber nicht hier allein trifft
man fie an. Freilich find nicht alle Verfehen der 1. Aufl.
richtig geftellt — beifpielsweife führe ich an: S. 22
jiriyij, ftatt: nrjyi); S. 286 Anm. 1: 12. Sept., ftatt: 5. Sept.
(Potth. 9693); S. 335 Anm.: venialiorwn, ftatt: venalium
(Preger I, 462); S. 382: Correggio, ftatt: Concorrcggio
(nur letzteres liegt bei Monza, erfteres bei Reggio); S. 394:
l.ombres . . . 1156 ftatt: Lombers ... 1165 (concilium j
I.mnbrariense, Manfi XXII, 158); S. 405 Z. 8: 1250, ftatt
1*56 (Empoli, Bulla*. Aug. Nr. 18); 442: 18. Juli 1338,
ftatt 15. Juli 1338 —; allein dies ift fo begreiflich, dafs
niemand mit dem Herrn Herausgeber rechten kann.
Es ift ihm vielmehr herzlich dafür zu danken, dafs er
nicht nur das Buch des von allen feinen Fachgenoffen
hochgefchätzten Möller dem buchhändlerifchen Markte
erhalten hat, bis es durch ein moderneres wirklich ab-
gelöft wird, vielmehr auch in weitgehendem Mafse die
Verfehen gebeffert hat, die zumeift nur der letzten Krankheit
des fonft fo peinlich forgfältigen Verfaffers ihr
Dafein verdankten.

Halle a. S. Friedrich Loofs.

Siebeck, Prof. Dr. Herrn., Lehrbuch der Religionsphilosophie.

Freiburg i/B., J. C. B. Mohr, 1893. (XIV, 456 S.
gr. 8.) M. 10. —; geb. M. 12. 50.

Dies Buch zu charakterifiren ift einerfeits eine leichte,
andererfeits eine recht fchwierige Aufgabe, je nachdem
man allein den Inhalt als folchen heraushebt oder auch
deffen befondere Geftaltung in's Auge fafst. Ein ernfter,
ringender Geift tritt uns aus dem Ganzen entgegen, den
fein Gegenftand in der Tiefe nachhaltig ergriffen und
nach all' feinen Richtungen langfam bewältigt hat. Die
peinliche Gewiffenhaftigkeit aber und die kühle Ruhe,
mit welcher der Verfaffer nun jedesmal fich bei der einzelnen
Frage fefthalten läfst, und, um bei der zarten
und heute cinigermafsen fuspecten Natur des hochwichtigen
Gegenftandes nur ja nichts zu erfchleichen, die
Ergebnifse feiner Erwägung in möglichfter Nüchternheit
und Zurückhaltung formt, hat doch wohl dem reinen
Eindruck gefchadet und namentlich der Jugend das
Lefen des Buches erfchwert, für die es in erfter Linie
beftimmt ift. Denn über der Abftraction, welche die
einzelnen Gefichtspunkte, Theile und Theile der Theile
je für fich heraushebt, fie als gefonderte Begriffe gehaltet
und gegen einander abwägt, zeigt fich dem Lefer die
lebendige Totalanfchauung menfchlichen Dafeins und
menfchlichen Ringens, die jene mefsen und der fie
gemeinfam gerecht werden wollen, doch einigermafsen
getrübt. Dem Kenner aber werden in diefer forgfältigen
logifchen Cifelirung der Vor- und Sonderfragen in dem
Manne unfchwer noch die unausrottbaren Neigungen des
Jünglings erkennbar. Siebeck nämlich hat in den Diftinctio-
nen und Operationen des Herbartifchen Philofophirens,
die mit Beftimmtheit und zugleich grofser Sicherheit den
Umkreis menfchlicher Wahrheit zu umfchreiben und zu
fixiren meinen, die erfte Nahrung feines felbftändigen
Denkens gefunden. Obwohl er nun diefe logifche In-
cruftirung feiner Weltanfchauung längft im Principe
durchbrochen hat und zu einer weit unmittelbareren
Anfchauung des gefchichtlichen Geiftes gelangt ift, fo
läfst es feine Gewiffenhaftigkeit auch heute nicht zu,
die Umwege und Reflexionen, auf welchen und durcii
welche die .Wiffenfchafft jene werthvolle Anfchauung
erwirbt, hinterher als ein entbehrlich gewordenes Ge-
rüfte von fich abzufcheiden, um den Gegenftand allein
in feinem ureigenen Leben frei nachfchaffend als ein
eigenartiges Ganze zu entfalten. Das ovx avev ov und ov
tvexcc fliefsen ihm immer noch in einander. Erft die nachträgliche
Zufammenfafiung S. 442—447 legt dann die
volle Meinung des Verf.'s mit Deutlichkeit und Schärfe
vor Augen. Diefem Inhalte nun, meine ich, wird jeder
urtheilsfähige Lefer dankbar zuftimmen müffen. Er aber
bildet in der That wohl das priiis, von dem alles Einzelne
abhängig ift, das S. zertheilt in feinen Darlegungen uns
vorführt. —

Der Raum diefer Zeitung läfst es nicht zu, den be-
fonderen Unterfuchungen, die im Ganzen überall wohl
begründet find, zuftimmend oder auch ablehnend zu
folgen. Ich befchränke mich vielmehr auf eine allgemeine
Inhaltsangabe des Werkes. Nur meine ich allerdings
, dafs S.'s Begriffe die letzten Gegenfätze zu fcharf
ausprägen, indem fie Unterfchiede, wie: weltlich — über-
wcltlich, naturhaft — geiftig, und ebenfo die einzelnen
Culturbeftrebungen unvermittelt von den dunkelen und
oft verfchlungenen Grundimpulfen ablöfen, in denen das

Frühere und das Spätere noch innig verbunden ift. _

Das Werk alfo hat .Begriff, Inhalt und Wahrheit' der
Religion zum Gegenftande; fo zwar, dafs der erfte Thcil
S. 1—326 das Wefen und die Entwickelung, der zweite
S. 327—447 die Wahrheit der Religion behandelt. In
der von mir angedeuteten Weife aber wird in dem erften
Abfchnitte des erften Theiles (S. 1—42) zunächft die
Stellung der Religion im Culturleben beftimmt und damit
der Unterfchied einer Bejahung und Verneinung des
Weltlichen und der Hinweis auf das Ueberweltliche erreicht
(S. 1 — 30). Als die Aufgabe und Methode der
Religionsphilofophie ergiebt es fich dann, die Religion
als Thatfache zu begründen und zu begreifen; ihre
Wurzel im menfchlichen Wefen, ihre Entwickelung und
damit endlich ihre Bedeutung und Berechtigung aufzuzeigen
— wobei dieExiftenz des Ueberweltlichen zwar
direct unerweisbar bleibe, indirect aber und für die prak-
tifchen Beziehungen genügend durch den Nachweis der
Hlrgänzungsbedürftigkeit des Culturlebens geführt werden
könne (S. 31—42).

Der zweite Abfchnitt des erften Theiles (S. 43
— 162) giebt nun den hiftorifchen Plntwickelungsgang der

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