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Ausgabe:

1893

Spalte:

617-619

Autor/Hrsg.:

Heussner, Alfr.

Titel/Untertitel:

Die altchristlichen Orpheusdarstellungen 1893

Rezensent:

Dopffel, Hermann

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Ineologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 25.

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aufgelebt, wie wir zu V. 2 gefagt haben. Zur Zeit der
Eroberung von Konftantinopel war noch ganz Europa
katholifch, feither ift die Hälfte von der Kirche abgefallen
, und auch in den katholifchen Ländern ift die Zahl
der Ungläubigen grofs. Wie dem Teufel diefe grofse
Verführung gelungen fei, zeigt gründlich Mgr. Gaume
u. f. w.' (S. 719E). VII. Das neue Jerufalem. 21—22, 5
(S. 729—768). ,Auf die Reinigung folgt die Verklärung
der Natur, welche hier befchrieben wird' (S. 731). Der
Schlufs 22, 6—21 (S. 768—783) (Beftätigung des in der
Apokalypfe Gefagten'. — Obwohl es intereffant wäre,
dem grofsen Feind des Rationalismus im Einzelnen
nachzuweifen, dafs er als Exeget in rationaliftifcher Weife
die biblifchen Vorftellungen modernifirt, glaube ich
doch meine Anzeige noch wirkungsvoller zu fchliefsen,
wenn ich aus dem reichen Schatz von gelegentlichen
Bemerkungen, die der Verfaffer fo erfrifchend einftreut,
einige Goldkörner ausfehreibe. Nicht übel fagt er zu
2, 20: ,Der Engel von Thyatira ift immerhin beffer als
die Liberalen unferer Tage, die blofs für fich Freiheit
wollen, andern aber keine geftatten: jedoch ift er zu
liberal' (S. 184). Man meint aber nicht einen Pater
O. S. B.y fondern einen feufzenden Pater familias zu
hören bei den Worten zu dcrfelben Stelle: ,Und
überhaupt weifs man, dafs Weiber gerne regieren, auch
wo fie nicht follten' (S. 185). Wie Tiefenthal fich den
echten Liberalismus denkt, das deutet er zu 2, 15 an:
,Es ift in der That abnorm, wenn unter dem chriftlichen
Volke Ketzer wohnen. Das fühlten fo viele hl. Bifchöfe,
wie z. B. ein hl. Ildephons, ein hl. Karl Borromeo, ein
hl. Franz von Sales und darum liefsen fie es fich fo viel
Mühe koften, um die Ketzerei auszurotten' (S. 173). Wie finnig
ift anderfeits feine Liebe zu Centrumsleuten: ,Sieben,
zwölf und vier bezeichnen das Vollendete. Daher fallen
wir in 7, 1 vier Engel an den vier Ecken der Erde, welche
die vier Winde halten (Windhorfte)' (S. 561). Durch das
ganze Werk klingt ftets wieder die Anschauung, dafs
die ,Apokalypfe, das Troftbuch der Kirche angefichts
der heidnifchen Verfolgung', .fpeziell für unfere Zeit, wo
Lebensanfchauungen, Handel und Wandel, Politik und
Regierung, Ehe und Familie, Wiffenfchaften und Künfte
heidnisch find'(S. 142), fehr praktifch ift und dem Studium
empfohlen werden mufs. Auch ich meine, dafs chriftlichen
Theologen heilfam ift, die Apokalypfe zu ftudiren.
Aber fich zum Zweck diefes Studiums für gutes Geld
das dicke Buch von Tiefenthal zu kaufen, dazu kann ich
niemand rathen.

St. Goar a/Rhein. Everling.

Heussner, Alfr., Die altchristlichen Orpheusdarstellungen.

Leipz. Inaug.-Diff. Caffel, Königsftr. 47, beim Verfaffer
, 1893. (44 S. gr. 8.)
Der die Leier fpielende Orpheus erfcheint auf alt-
chriftlichem Boden in 3 Katakombengemälden, zweimal
als Centraibild an der Decke, einmal an der Rückwand
eines Arcofoliums. 2 diefer Bilder (in dem Cömeterium
der Domitilla) zeigen ihn umgeben von allerlei wilden
und zahmen Thieren, eines (in S. Callifto) inmitten von
2 Schafen. Dazu kommen als ficher chriftlich noch hinzu
2 Sarkophage, auf denen die Zuhörerfchaft, abgefehen
von 1 oder 2 Vögeln, ebenfalls auf Schafe reducirt ift.
Wie kommt Orpheus zu folcherEhre in der altchriftlichen
Kunft? Darauf giebt Heufsner eine neue Antwort. Seine
Ausführungen find intereffant und bekunden eine nicht
blofs oberflächliche Befchäftigung mit dem einfehlägigen
monumentalen und literarischen Material. Heufsner ift
mit V. Schultze einig in der Verwerfung der herkömmlichen
Erklärung, die in Orpheus Chriftus fymbolifirt
fieht. Aber auch der Schultzefchen Auffaffung, wornach
O. als Vorläufer und Prophet des Chriftenthums darge-
(tellt wurde, kann er nicht beitreten, fucht jedoch die

Löfung in einer Richtung, nach welcher Schultze durch
eine feiner Deutung beigefügte Bemerkung gewiefen
hatte. Heufsner findet den von ihm poftulirten Anfchlufs
des chriftlichen Orpheusbildes an die Bedeutung des O.
auf heidnifchem Boden in der Verbindung des Namens
des O. mit der Unfterblichkeitsidee. Er weift hin auf
die .orphifchen' Schriften, befonders aber auf die Beziehung
des O. zu den bacchifchen Myfterien, welchen er
die Bedeutung vindicirt, dafs fie allein auf heidnifchem
Boden für das 2. Jahrhundert ,die religiöfe Vertretung
einer wirklichen Unfterblichkeit' geboten haben. Diefe
Bedeutung des Orpheusnamens bahnte nach Heufsner
dem Bild des Heros den Weg in den chriftl. Gräbcr-
fchmuck. Und wenn Schultze den von den Chriften gemalten
Propheten Orpheus nebenbei auch ,den fepulcral-
fymbolifchen Charakter der nach ihm genannten Myfterien
bewahren' liefs, fo fucht H. in der letzteren Beziehung
das eigentlich mafsgebende Moment. In dem Typus des
O. zwifchen den Schafen fieht H. den von der altchriftl.
Kunft felbft an die Hand gegebenen Schlüffel für das
Räthfel des chriftl. Orpheusbildes; denn diefe Transformation
deute dadurch, dafs fie fich an eine Darfteilung
von fepulcralem Gehalt, den ,guten Hirten' (eine von II.
mit Unrecht verworfene Bezeichnung), anlehne, an, dafs
auch O. in fepulcralem Sinn verftanden werden müffe ').

Diefe neue Deutung empfiehlt fich dadurch, dafs fie
in dem Bild ein Ausdrucksmittel von fepulcralen Gedanken
fieht, die ja unzweifelhaft für den altchriftl.
Gräberfchmuck in erfter Linie beftimmend waren. Die
Chriften dachten an ihren Gräbern ans Leben und
brachten das auch zum Ausdruck. Aber der Anficht
H.'s fleht vor allem im Weg, dafs eine fepulcrale Bedeutung
des von den Chriften übernommenen Orpheusbildes
auf heidnifchem Boden, wenn je nachweisbar,
jedenfalls nicht geläufig war, zumal in der für unfere
chriftl. Bildwerke in Betracht kommenden Zeit. Dafs
erft die Chriften die fepulcrale Bedeutung auf Grund der
fonft vorhandenen Beziehung feines Namens zur Unfterblichkeitsidee
an das Bild des O. geheftet haben, ift zum
voraus unwahrscheinlich. Wie ganz anders ift es bei
Eros und Pfyche, deren fepulcrale Anwendung der heidnifchen
Kunftfprache geläufig war! Wenn bei den
bacchifchen Myfterien der Name des O. für das populäre
Bewufstfein je noch eine Bedeutung gehabt hat, fo ift
doch das Bild des O. dem bacchifchen Bilderkreis, der
für die Chriften des 2. Jahrhunderts in Betracht kommt,
fremd. Die Hauptinftanzen aber gegen H. dürften fein:
1) Es erfcheint kaum denkbar, dafs Chriften die Central-
idee eines fepulcralen Vorftcllungskreifes Reminiscenzen
aus heidnifchen Myfterien entnommen haben. 2) Die
Anficht, dafs beim chriftl. Orpheusbild O. felbft, und
nicht als Symbol, gemeint fei, überfchätzt das — literarisch
ja freilich nachweisbare — Intereffe, das die
Chriften an der Perfon des O. genommen haben. Man
bedenke doch, dafs in der Mitte der Deckengemälde am
häufigften Chriftus felbft, meift unter dem Bild des guten
Hirten erfcheint! Der Rolle, welche die Symbolik in der
älteften chriftl. Kunft fpielt, entfpricht es, wenn man in
O. ein Symbol, und zwar — fo auffallend es uns vorkommen
mag — Chrifti, oder vielmehr der von ihm ausgehenden
Wirkungen fieht. In den römifchen Orpheusbildern
haben wir einen Beweis zu fehen, dafs ähnliche
Gedanken, wie fie Clemens AI. ausgefprochen hat, auch
in Rom umgingen, nur mit schwächerer Betonung des
gegenfätzlichen Verhältnifses zwifchen O. und Chriftus.

1) Die eingehenden und wohl Uberlegten Bemerkungen Zucker's
über die chriftl. Orpheusbilder (in den Gott. Gel. Anz. 1889, S. 324fr.)
hätten es verdient, von H. berückfichtigt zu werden. Freilich ift das Er-
gebnifs Zucker's, der die Bilder theils als rein decorativ erweifen, theils
durch individuelle Beziehung auf den am betreffenden Ort Beftatteten erklären
will, völlig abzuweifen. Um in eine Linie mit den kleinen Land-
fchaften der Decke in Domitilla geftellt zu werden, ift das Orpheusbild
doch zu inhaltreich und zu dominirend.

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