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Ausgabe:

1893 Nr. 2

Spalte:

39-45

Autor/Hrsg.:

Issel, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Lehre vom Reiche Gottes im Neuen Testament 1893

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 2.

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fleht noch aus. Aber ich mufs fchon gegen die fta-
tiftifchen Tabellen principielle Einwendungen machen.
Der Verfaffer hat zwar jetzt felbft darauf geachtet — in
dem einem ähnlichen Stoffe gewidmeten erften Stück
feiner Beiträge war das nicht der Fall und deshalb in 1
der Recenfion (vgl. diefe Zeitfchrift 1888, Nr. 16) von mir ]
erinnert worden — dafs in nicht wenigen Fällen eine
reinliche Entfcheidung der Frage nach dem reflexiven i
oder paffiven Sinn einer Niphalform gar nicht möglich
ift. Aber er hält gegen meine Einrede in der eben angeführten
Recenfion daran feft, dafs eine durchgängige j
Textkritik feines Materiales nicht möglich fei, und beruft
fleh dafür auf Lagarde. Indeffen herrfcht unter den
Kennern nur eine Stimme darüber, dafs Lagarde, obwohl
er das Meine dazu beigetragen hat, der altteftamentlichen j
Textkritik die Wege zu ebnen, weit über das Ziel hinaus-
fchiefst, wenn er verlangt, diefe Arbeit fo lange ruhen
zu laffen, bis nicht nur von allen Recenflonen der grie-
chifchenUeberfetzung,fondern auch von den orientalifchen
Verflonen verläfsliche Ausgaben vorlägen. Namentlich
Wellhaufen's Text der Bücher Samuelis ift die glänzendfte ;
Widerlegung jener Lagarde'fchen Thefe, die fleh denken
läfst. Aber das ift immer noch geringfügig gegenüber
den Grundfätzen, die den Verfaffer bei der Gruppirung
der Literaturperioden geleitet haben. Man höre und
ftaune! Von den vier Perioden, die er unterfcheidet
(I bis 700, II bis 600, III exilifch, IV nachexilifch), weift
er Canticum, Joel und Zach 9—14 zur erften und nicht,
wo fie hingehören, zur vierten. Er wirft das ganze Buch
Jefaia und das ganze Buch Jeremia aufser 51. 52 in einen
Hut, ebenfo macht er es mit Samuelis, Königen und im
wefentlichen auch mit Judicum. Wenn der Verfaffer nicht
zu ganz verkehrten oder wenigftens unbrauchbaren End- i
ergebnifsen kommen will, fo mufs er diefe Vertheilung
neu machen. Diefe Arbeit ift freilich aufserordentlich
complicirt und fetzt eine gründliche Vertrautheit mit der
Compofition der hiftorifchenBücher und,der prophetifchen
Literatur voraus. Alle diefe Bedenken fallen aber den
Dank nicht verkürzen, der dem Verfaffer für feine mühevolle
und theilweife doch recht brauchbare Statiftik gebührt
.

Strafsburg i. Elf. Friedrich Schwally.

1. Issel, Pfr. Ernft, Die Lehre vom Reiche Gottes im Neuen
Testament. Eine von der Haager Gefellfchaft zur Verteidigung
der chriftlichen Religion gekrönte Preisschrift
. Leiden, Brill, 1891. (VIII, 191 S. gr.8.) M.3.50.

2. Schmoller, Dek. Pfr. Otto, Die Lehre vom Reiche
Gottes in den Schriften des Neuen Testaments. Bearbeitung
einer von der Haager Gefellfchaft zur Verteidigung
der chriftlichen Religion geftellten Aufgabe.
Leiden, Brill, 1891. (VII, 219 S. gr. 8.) M. 3.50.

3. Weiss, Prof. Lic. Johs., Die Predigt Jesu vom Reiche
Gottes. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's Verl.,
1892. (67 S. gr. 8.) M. 1.40.

Seitdem A. Ritfehl den Begriff des Gottesreiches
in den Mittelpunkt feines Syftems geftellt hat. hat die
Frage nach der Bedeutung diefes Begriffes im N. T. behenderes
Intereffe bekommen. Die Haager Gefellfchaft
zur Vertheidigung der chriftl. Religion hatte diefe Frage
für 1889 als Preisfrage geftellt. Die Aufgabe hat zwei
Bearbeitungen gefunden, beide preisgekrönt, von Pfarrer
Iffel in Eichftetten und Dekan Schmoller in Derendingen.

Die Arbeiten fordern zur Vergleichung auf. Iffel's
Unterfuchung ruht auf fleifsigem Studium moderner Exe-
geten — er hat fleh vornehmlich an H. Holtzmann an-
gefchloffen — und ift im ganzen gewandt gefchrieben;
manchmal klingt Ritfchl'fches Wortgefüge nach. — Iffel's
Arbeit ift im wefentlichen eine Durchfchnittsleiftung.

Auch in der Anlage. Er befolgt die — wie es fcheint
— vielfach als ,die wiffenfehaftliche' geltende Methode,
bei jeder wichtigeren Stelle den ganzen Zufammenhang
zu erörtern, auch wenn diefer für die Erklärung des
einen Wortes oder Gedankens, auf die es in der Unterfuchung
ankommen follte, ziemlich gleichgültig ift. — Diefe
Methode ift nicht ,hiftorifch'. Denn in der biblifch-theo-
logifchen Unterfuchung foll nicht der literarifche Zufammenhang
, in dem die Gedanken zufällig auf uns gekommen
find, fondern der innere Zufammenhang, den die
Gedanken urfprünglich im Geifte des Schriftftellers oder
des Zeitalters hatten, erörtert werden. Der Forfcher foll
den Theil des literarifchen Ganzen, auf den es ankommt,
mit ficherem Griffe herausgreifen können. Die Iffel'fche
Methode fcheint charakteriftifch zu fein für eine Zeit, in
der die literarifchen Fragen und Methoden die religions-
gefchichtlichen bei weitem überwuchern. — Aber auch
von diefer Methode abgefehen, hat es Iffel nicht überall
verftanden, die Frage zu ftellen und die Aufgabe feilzuhalten
. Er hat es feiten zu präcifen Formulirungen
gebracht und eine grofse Fülle von Beobachtungen mit-
getheilt, die ftreng genommen liors d'oeuvre find.

Schmoller bietet einen durchaus originellen Verfuch,
in energifch - concentrirtem Nachdenken die einzelnen
,Merkmale' des .Begriffes' feftzuftellen 19. Die etwas
fchwerfällige Form feiner Darftellung ift der Fehler feiner
Tugend, des Strebens nach vollftändiger und genauer
Umfchreibung des Begriffes. — Wenn es zwei Mittel giebt,
durch die man fleh eines N. T.-liehen .Begriffes' bemächtigen
kann, die Analyfe des Begriffes einerfeits, die unmittelbar
vergegenwärtigende Anfchauung andererfeits,
fo hat fleh Schmoller nur des einen bedient. Faft ängft-
lich fchliefst er die Anfchauung aus, um fleh nur auf den
Verftand zu verlaffen. Er befchreibt das Gottesreich
wie ein Forfchungsreifender, der fleh auf ein unbekanntes
Terrain wagt, nicht wie der Führer, der den Fremden auf
den wohlvertrauten Pfaden der Heimath geleitet. Aber,
wenn man auch über diefer Art noch eine höhere fleh
vorftellen kann, fo wird man doch den wackeren, uncr-
fchrockenen Pfadfinder mit Sympathie auf feinem fchwie-
rigen Wege begleiten.

Auch in den Refultaten find beide Arbeiten mög-
lichft verfchieden.

Es ift nicht leicht, Iffel's Aufftellungen, die nicht
immer bis zur letzten Klarheit durchgedrungen find, getreu
wieder zu geben. — Ritfehl gegenüber conftatirt
auch Iffel, dafs das Gottesreich bei Jefu zunächft nicht
ein ethifcher, fondern ein religiöfer Begriff ift. Es be-
i deutet nicht etwa den .Bruderbund der Chriften' 65,
überhaupt nicht eine .Gemeinfchaft fittlicher Beziehungen'
64, nichts, was .durch Menfchenentfchlufs und Kunlt zu-
ftande kommt' 73. Sondern es ift ein .religiöfer Begrifft
51, es .kommt ganz und gar durch Gott zuftande' 73.
Gott giebt es, und Menfchen können es nur empfangen
| 60. — Daneben aber Hellt Iffel die Behauptung: Das
Gottesreich fei zugleich auch eine .Aufgabe, an deren
Löfung die Menfchen arbeiten' 83. Die logifche Unmöglichkeit
, dafs Menfchen zur Aufgabe erhalten, was
doch ganz und gar durch Gott gefchehen foll, ift — wie
es fcheint — Iffel nicht klar geworden. Er hat fleh die
Sache fo zurecht gelegt: Das Gottesreich ift ,die Herrfchaft
Gottes in den Gemüthern' 184. ,In der demüthigen,
vertrauensvollen Unterordnung unter den in Jefus offenbaren
Gott und in der dienenden Nächftenliebe gehört
man dem Reiche Gottes an' 185. ,Diefe Gefinnung follen
die Jünger ausbreiten, damit das Gottesreich in der
Welt wachfe' 185. — Hienach fcheint das fittliche Leben
ein Theil des Gottesreiches felbft zu fein, andererfeits behauptet
Iffel, die Gerechtigkeit fei ,die Bedingung für
das Eingehen in das Gottesreich' 83; auch hier klafft
ein Widerfpruch, den Iffel nicht bemerkt hat. — Ebenfo
wenig klar ift Iffel's Stellung in der Frage, ob das Gottes-
reich für Jefus überhaupt oder wenigftens zunächft ein