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Ausgabe:

1893

Spalte:

518

Autor/Hrsg.:

Heller, S.

Titel/Untertitel:

Die echten hebräischen Melodieen. Uebersetzungen 1893

Rezensent:

Dalman, Gustaf

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 21.

518

denken unterliegt. Am ficherflen wird vorexilifcher Ur- i
fprung angenommen bei Königsliedern wie Pf. 20. 21.
28. 33. 61. 53. 72, wohin wohl auch nach Baethgen Pf.
45 zu rechnen. Dazu ftimmt aber wenig die Anfetzung
von Pf. 2 in makkabäifcher Zeit. Wenn in der That i
diefer Pfalm auf 2 Sam. 7 bafirt, fo find die makkabäifchen
Kämpfe ficherlich kein Anlafs für den Dichter, von einem i
Völkeraufftand wider Jahve und feinen Gefalbten,
der nach 2 Sam. 7 doch Davidide fein müfste, zu reden.
Nach Baethgen fcheint es freilich, als folle der Gefalbtc
noch auftreten und der Völkerfturm fich dann gegen ihn
richten. Aber das Auftreten diefes Königs hätte dann
der weisfagende Dichter doch in der That zuerft ankündigen
müffen.

Einer genaueren Unterfuchung hätte meines Erach-
tens die Frage nach dem Zwecke des Pfalters bedurft.
Dafs er ,von/Anfang an für den öffentlichen Gottesdienft
im Tempel benimmt war' (p. XXXVI), ift mit dem Namen
der Sammlung (D^bCh ISO) und der Doxologie Pf. j
106, 48 doch nicht genügend bewiefen. Auf den mufi- ,
kalifchen Vortrag deutende Beigaben finden fich nur i
bei Pf. 3—89 Die von Baethgen unvollftändig mitge- I
theilten Angaben der Rabbinen deuten für den zweiten
Tempel auf den Gebrauch nur einzelner beftimmter
Pfalmen bei gewiffen Gelegenheiten, für eine Benutzung
des ganzen Pfalters im Tempelgottesdienft bleibt wenig-
ftens für die von ihnen bezeugte Zeit kein Raum. Der
mit der Auffaffung des Pfalters als des Tempelgefangbuches
derjuden inVerbindung flehenden weitausgedehnten
Beziehung des ,Ich' der Pfalmen auf die ,Gemeinde',
welche Baethgen bei einer grofsen Reihe von Pfalmen
durchführt, werden engere Grenzen zu ziehen fein. Die
Bezeichnung Jahve's als Hirt in Pf. 23, 1 genügt doch
nicht zum Beweife dafür/ dafs der Dichter im Namen
feines Volkes redet. In Pfalm 51 kann aus den Schlufs-
verfen kein ficherer Schlufs auf das ,Ich' des Pfalms gezogen
werden, da ihre Auslage vom Opfer zu fehr danach
klingt, als habe ein Späterer den in V. 18. 19 vom
Pfalmiften ausgefprochenen Gedanken einfchränken wollen
. In Pf. 69 unterfcheidet fich der Sänger in V. 33
von den .Frommen'. Wie kann fein ,Ich' dann Perfoni-
fication der ,Gemeinde' fein? Am wenigften könnte hier
an die cultifche Gemeinde Ifraels gedacht werden, da
der Dichter in V. 9 andeutet, dafs er die Maffe feines
Volkes nicht auf feiner Seite hat. Aus den Schmähungen,
welche er um Jahve's willen erfährt, kann auch nicht
auf eine das ganze Volk treffende ,Religionsverfolgung'
gefchloffen werden. Es handelt fich nur um Situationen,
wie fie Jef. 50,6. Jerem. II, 19—21 gefchildert werden.
Wie bei Pf. 51 ift der zur übrigen Situation nicht paffende
Schlufs des Liedes (V. 36. 37) als fpäterer Zufatz abzutrennen
.

Auf die fonftige Auslegung des Pfalters, welche
durch forgfältige Rückficht auf die kritifche Herftellung
■ des Textes ausgezeichnet ift kann hier nicht weiter eingegangen
werden. Berückfichtigung hätten wohl verdient
einige Conjecturen von T. K. Abbott in Jkmia-
tkena' No. XVII. Febr. 1891 S. 65 ff. Er betrachtet u.
A. iby niro -ffiO nbSEn Pf. 40, 8 als textkritifche Rand-
gloffe zu Vj (Pf. 40, 7 oder 41, 6), Pf. 35, 14 lieft er
für y-o, Pf. 49, 8a ift ihm Gloffe zu TiDD in V. 7 (wobei
Ipi als .Preis' zu überfetzen), 49,9 TlJ> Wl Gloffe zu
V. 8b, wo -rbrp oder ibrP (cf. ibn Leben, Welt) für
bim zu lefen. Sonft fei erwähnt, dafs bei Pf. 110 nicht
erft im Mittelalter die meffianifche Deutung von den
Juden aufgegeben wurde (f. meine Schrift ,Der leidende
und der fterbende Mehlas' S. 8. 34), dafs der ,närrifche'
König des Targums zu Pf. 74, 22 gewifs nicht der den
fpäteren Juden wenig bekannte Antiochus Epiphanes,
fondern Nebukadnezar ift, und dafs ich nicht weifs,
warum der öfters (z. B. S. 222. 341. 353. 447) erwähnte
Obadja (Sforno), Reuchlin's Lehrer, von Baethgen mit
dem Titel Gaon beehrt wird. — Am Schluffe erlaube

ich mir den Vorfchlag, das vielgedeutete übp durch das
griechifche oelig ,spatium inter lineas1, zu erklären.
Darauf weift das didtpalfia der LXX, und Auguftin's
Vorfchlag griechifcher Deutung des Worts (f. Baethgen,
p. XV) wird darauf zurückgehen.

Leipzig. Guftaf Dalman.

Heller, S., Die echten hebräischen Melodieen. Ueber-
fetzungen. Aus dem Nachlaffe hrsg. von Prof. Dr.
Dav. Kaufmann. Trier, S. Mayer, 1893. (XXIV,
284 S. 8.) M. 4.—; geb. M. 5.—

Der am 8. Januar 1890 verftorbene jüdifche Schrift-
fteller und Dichter, Seligmann Heller, mir bekannt durch
feine Dichtung .Ahasverus' und feine Schrift ,Zur Cha-
rakteriftik der Schriften und Schriftfteller des Neuen
Teftaments' (beides 1866 erfchienen) hatte eine Sammlung
von 203 Ueberfetzungen von hebräifchen Gedichten aus
dem Mittelalter hinterlaffen. Sie wird unverändert, ohne
den Verfuch einer chronologifchen oder fachlichen
Ordnung von D. Kaufmann mitgetheilt. Jehuda ha-Lewi
ift mit 86 Liedern vertreten, Salomo ibn Gabirol mit 15.
Abraham ibn Efra mit 13. Der ältefte Dichter, von dem
Lieder mitgetheilt werden, ift Eleazar ben Kalir um 800
(feltfamer Weife S. 36 als Kallir bezeichnet), der jüngfte
Ifrael Naggara um 1600. Salvatore de Benedetti verzichtete
bei der Herausgabe des ,Canzionero sacro di
Gtuda Lcvitd* (Pifa 1871) auf eine Ueberfetzung der
Lieder in gebundener Form, weil eine genaue Wiedergabe
des Originals dann undurchführbar fein würde, und
es ift in der That unmöglich, die im hebräifchen Original
eng zufammen gedrängten Gedanken der jüdifchen
Dichter mit ihren zahllofen Anfpielungen an Bibelftellen
in den kurzen Verszeilen einer modernen europäifchen
Sprache völlig wiederzugeben. Doch ift es Heller ungleich
beffer als feinen deutfehen Vorgängern auf dem gleichen
Gebiet M. Sachs, S. J. Kämpf, A. Geiger, L. Zunz gelungen
, die alten hebräifchen Dichtungen nachzuempfinden
und auch in der Form ihnen einen entfprechenden Ausdruck
zu verleihen. Ueber Einzelheiten der Auffaffung
mit dem Dichter zu rechten, wäre hier zwecklos.

Leipzig. Guftaf Dalman.

Jolley, Alfred J., The synoptic problem for English readers.
London, Macmillan & Co., 1893. (VIII, 124 S. 8.)
geb. 3 s.

Eine durchaus populär gehaltene Anleitung zum
Studium der fynoptifchen Frage. Dafs hier wirkliche,
nicht blofs fcheinbare Räthfel vorliegen, wird an einzelnen
augenfälligen Thatfachen, zumal an den Wider-
fprüchen der Geburts- und Auferftehungsgefchichte.
dargethan. ,Den Evangeliften ift es um Religion, nicht
um Gefchichte zu thun, und wir müffen uns immer daran
erinnern, was fo viele Zeitgenoffen, die über die
Evangelien fchreiben und reden, vergeffen, dafs fie im
erften, nicht im neunzehnten Jahrhundert lebten' (S. 34).
Die Löfung des literarifchen wie des gefchichtlichen
Problems fcheint dem Verfaffer von B. Weifs gegeben,
deffen ,apoftolifche Quelle' S. 40—85 in ausführlicher
Reproduction zum Ausdruck kommt. Da wir ein deut-
fches Seitenftück dazu nicht befitzen, dürfte darin für
uns der Hauptwerth vorliegender Schrift beftehen. Im
Uebrigen hören wir, dafs diefe vielleicht von Matthäus
herrührende Quelle für die Chriften in Judäa beftimmt
war und um 66—68 (wegen Marc. 13, i4=Matth. 24, 15)
aramäifch gefchrieben, fbfort aber auch ins Griechifche
überfetzt und von Marcus mit petrinifchen Traditionen
combinirt wurde; unfer erfter und unfer dritter Evangelift
fchreiben unabhängig von einander, benutzen aber beide
die Quelle wie den Marcus, Lucas überdies noch ein