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Ausgabe:

1893 Nr. 19

Spalte:

469-473

Autor/Hrsg.:

Nestle, Eberhard

Titel/Untertitel:

Marginalien und Materialien 1893

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 19.

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in der Chronik vorkommt, fo ift Ri IO, 12 die alterte
Belegftelle, diefe gehört aber der deuteronomirtifchen Bearbeitung
an, die in den Anfang des 5. Jahrh. vor Chr.
zu fetzen irt. Mit einer ganz verblüffenden Logik zieht
Hommel hieraus den ,gewiffen' Schlufs (S. 5.), dafs in
der Erinnerung der Hebräer die Minder fchon in den
alterten Zeiten eine Rolle fpielten, was allein fchon ins
zweite vorchrirtliche Jahrtaufend führe.

Dabei habe ich die Richtigkeit der Hommel fchen
Deutung noch gar nicht angetaftet. Aber auch das hat
zu gefchehen. Allerdings ift auch mit ihm die verbreitete
Beziehung von Maon auf den Ort Maan bei Petra
aufzugeben, da dem Contexte gemäfs ein bekannteres Volk
genannt gewefen fein mufs. Aber eben von den Minäern
findet fich im Alt. Teft. keine Spur, dagegen bei den LXX
die ganz einwandfreie LA. Maöiafi. Dabei follte man fich
beruhigen. Den paar Stellen der Chronik, in denen pj>tt
vorkommt, mifst felbft H. weniger Werth bei. Aber auch
da ift die LA. nicht überall ficher. II Chron. 26,7
liegt es wegen v. 8 Anfang nahe, in Q^aiytt eine naheliegende
Verfchreibung aus aiDlzW zu erblicken und I Chron.
4,41 fcheint D^ltwn nicht Eigenname, fondern Appelativ
zu fein und Wohnungen, Schlupfwinkel zu bedeuten.

Eine andere Entdeckung Hommel's, die nach feiner
Meinung ,neue und ungeahnte Perfpectiven für die Reli-
gionsgefchichte eröffnet* (S. 31), ift die Gleichfetzung von
lichjanifch JSlb mit hebr. "lb Levit. Während D. H.
Müller, Epigraphifche Denkmäler aus Arabien, Wien 1889,
(Separatabdruck aus dem 37. Bande der Denkfchriften
der philof.-hiftorifchen Claffe der kaif. Akademie d. Wiff.
S. 114) fich der vorfichtigen Wendung bedient: ,es fcheint
mir nicht allzu gewagt, die Vermuthung auszufprechen,
dafs unter ]SOb und pufft .Priefter' bezw. .Priefterin' des
(Gottes) Wadd zu verftehen feien', nimmt das H. gleich
als baare Münze und fagt: ,Müller hat richtig das inter-
reffante pfft als Priefter gedeutet'. Thatfächlich ift, was
Müller vorbringt, durchaus hinfällig, der Text verlangt
diefe Deutung nicht zwingend, und auf der Infchrift Euting
35 (S. 45) ift fie geradezu finnlos. Aber auch die Dialekte
geben keinen Anhalt; was Müller und Hommel an Etymologien
leiften, ift unerhört.

Aber felbft zugegeben, jene Deutung von
wäre richtig, fo würde nichts dcftoweniger die Gleichung
l^lb = "lb mit allem Nachdrucke zurückzuweifen fein, denn
der Name "»lb als Gentilicium ift älter als der felbe Name
für den Priefter. Man lefe Genefis 49,6 ff. und vergleiche
hierzu die Ausführungen Wellhaufen's in den Prolegomena
150 und Stade's in feiner Gefchichte.

Leider kann auch bei den zahlreichen Ausführungen
Hommel's, denen man mit Intereffe und Zuftimmung folgen
mufs, die Freude keine ungetrübte fein. Die unfelige per-
fönliche Polemik, die theilweife als eine Fortfetzung von
Zeitungsgezänke erfcheint, ift unerträglich. Im Uebrigen
fcheint mir das Breittreten gerade eben auftauchender
wiffenfchaftlicher Streitfragen in den Tagesblättern eine
Unfitte zu fein, gegen die nicht lebhaft genug proteftirt
werden kann.

Strafsburg i. E. Schwally.

Nestle, Eberh., Marginalien und Materialien. Tübingen,
Heckenhauer, 1893. (XI, 94, 83, 35, 143 u. 27 S. gr. 8.)
M. 10. —

Die erften Seiten des Vorwortes und manche gelegentliche
Bemerkungen im weiteren Verlaufe machen
diefes Buch zum Denkmal eines wenn nicht gebrochenen
fo doch geknickten Gelehrtenlebens. Neftle hat es fich
nicht vertagen können, fein fchweres und von ihm be-
fonders fchwer empfundenes Gefchick, nach 2jähriger
akademifcher Wirkfamkeit wieder in die alte Laufbahn
zuruckgewiefen zu werden, hier vor die Oeffentlichkeit
zu bringen. Zu Zeugen aufgerufen ehren wir den tiefen
Schmerz eines Mannes, der offenbar nirgends als in der

Luft der reinen Gelehrfamkeit zu athmen vermag. Ohne
uns ein Urtheil anzumafsen, ohne irgend welchen weiteren
Blick in die Acten als den hier eröffneten, können wir
doch die Frage nicht unterdrücken, ob man in Tübingen
einen Mann, der fo viel veröffentlicht hatte, deffen
Bildungsgang vom erften Anfang ab offen vor den Augen
der mafsgebenden Perfönlichkeiten lag, nicht genau
genug kannte, um ein fo fchmerzhaftes Experiment am
lebenden Object auf die eine oder die andere Weife zu
vermeiden.

Die Klage über das erfahrene Unrecht fügt zu dem
Stempel, den dies merkwürdige Buch an fich trägt, noch
den letzten und bezeichnendften Zug hinzu, den peinlich-
peifönlichen, pathologifch - felbftbiographifchen. Jener
Stempel läfst fich für den Kundigen mit einem einzigen
Worte bezeichnen: es ift ,lagardifch'. Lagardifch vom
Titel bis zur letzten Unterschrift, im äufseren Gewände
wie in der fchriftftellerifchen Form, nach feinem Inhalte
im Ganzen wie im Einzelnen, in Thefe und Antithefe.
Der Titel fpricht für fich, ebenfo der bunte Inhalt. Im
übrigen genügt es zu zeigen, wie gerade die äufserlichen
Eigenheiten de Lagarde'fcher Bücher hier nachgeahmt
und übertrieben werden. Das jedem bekannte ,fn fugam
vacui1 bringt S.(X), ferner aber in gefälliger Variation
A. 93 ,Um das Blatt nicht leer zu laffen', B. 81 ,Um das
Blatt zu füllen', obendrein lauter Bemerkungen, die zu
dem Gegenftande der vorhergehenden Abhandlung gehören
. De Lagarde pflegte in feiner fpäteren Zeit den
Pag, an dem der Druck abgefchloffen war, am Ende
eines Buches anzumerken, zuletzt auch wohl am Ende
eines jeden Bogens. Neftle merkt nicht nur bei faft
allen Auffätzen, die in diefem Bande enthalten find,
genau die Zeit ihrer Entftehung an, unterfcheidet auch
wohl (vgl. C. S. 3 Anm.) durch Klammern fpätere Zufätze
von der datirten Grundfchrift; fondern im erften Theile
verzeichnet er durch Unterfchrift den Geburtstag einer
jeden einzelnen Randbemerkung mit wenigen Ausnahmen
in weit über 100 Daten, fodafs die Goethe-Forfchung
mit Neid zu dem hier für Neftle erreichten Ideal emporblicken
wird, fein Schaffen von einem Tag zum andern
verfolgen und feftlegen zu können. — Man darf wohl
fragen, ob es gefchmackvoll ift, fo fehr auf feine Eigenart
zu verzichten und vollftändig in die abgelegte Hülle
einer andern, obendrein fo höchft eigenartigen Perfönlich-
keit zu fchlüpfen; ob es klug gehandelt ift, dem Lefer
immer wieder ins Gedächtnifs zu rufen, dafs der Verf.
am Mafse de Lagarde's gemeffen fein will.

Indeffen, fo unerfreulich dadurch die äufsere Er-
fcheinung wird, der Inhalt des Bandes bleibt doch, was
er ift. Er wird — wie die buchhändlerifchen Anzeigen be-
weifen, um die einzelnen Theile auch einzeln abgeben
zu können — durch neue Seitenzählung, wie oben angedeutet
, in 5 Abfchnitte zerlegt. Die erften 94 Seiten
bilden die Marginalien, felbft wieder in eine Reihe
von Abfchnitten und Abhandlungen zerfallend. Die vier
folgenden Abfchnitte, zu denen der Gefammttitel Materialien
(vgl. S.(X)) fehlt, behandeln die dem Epiphanius
zugefchriebenen Vitae prophetarmn in doppelter griechi-
fcher Recenfion (83 S.); Nigri, Böhm und Pellican.
Ein Beitrag zur Anfangsgefchichte des hebräifchen Sprach-
ftudiums in Deutfchland (35 S.); Bengel als Gelehrter.
Ein Bild für unfere Tage (143 S.) Ein Jubiläum der
lateinifchen Bibel. Zum 9. November 1892 (27 S.).

Die letzte Arbeit fällt nicht unter den Titel des
Buches, auch fehlt auf Seite VII für fie allein jede Rechtfertigung
des Namens ,Materialien'. Wir haben es hier
mit einer flott gefchriebenen, gemeinverftändlichen, mit
gelehrtem Ballaft nicht überladenen Skizze der Gefchichte
der lateinifchen Bibel zu thun, die jeder Gebildete mit
Vergnügen lefen wird. Aber auch viele Theologen und
felbft Bibelforfcher, die fich hier, wie der Unterzeichnete,
in viel höherem Grade als outsider bekennen müffen|
als der Verf. (vgl. die Schlufsbemerkung), werden den

*