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Ausgabe:

1893 Nr. 19

Spalte:

468-469

Autor/Hrsg.:

Hommel, Fritz

Titel/Untertitel:

Aufsätze und Abhandlungen arabistisch-semitologischen Inhalts. 1. Hälfte 1893

Rezensent:

Schwally, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 19.

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zenden Gebiete gewiefen und wird namentlich das Ver-
hältnifs der Religion zu den philofophifchen Beflrebungen
einigermafsen durchfchauen müffen. Die ewigen Grundlagen
aber der Philofophie bleiben die fchöpferifchen
Thaten der Griechen, nach ihrer Tiefe fowohl wie nach
der Vollftändigkeit und Durchfichtigkeit, in welcher die
Probleme der Reihe nach dort hervortreten. Gomperz'
Darfteilung nun möchte ich allen Lefern diefer Zeitung
empfehlen. Indem fie ftch ,an den weiteren Kreis der
Gebildeten wendet', bleibt fie ebenfo frei vom Compen-
dienftile wie von verfchwommener Breite; denn fie ift
in ihrer Ausführlichkeit klar und knapp. Aus jeder
Seite aber fpricht ferner nicht nur eine gründliche Kennt-
nifs des Gegenftandes, fondern auch eine innere An-
fchauung von der Gefammtentwickelung der Hellenen,
aus der fich die philofophifchen Probleme abzweigen
und durch welche die Art ihrer Löfung bedingt ift. So
wird das Vertrauen auf feine Sachlichkeit, das der Ver-
faffer von Seiten der Lefer allerdings ernftlich in An-
fpruch nimmt, infofern er alle und jede literarifche
Nach weifung unterlaffen hat, ihm von den meiften ge-
wifs zu Theil werden.

Eine genauere Analyfe des Inhalts geftattet der
Raum diefer Zeitung erft dann, wenn der erfte Band
vollftändig erfchienen fein wird, der mit der grofsen
Aufklärungsperiode abfchliefsen foll; die vorliegenden
fechs Bogen brechen mitten in der Darftellung der Py-
thagoreer ab. Das ganze Werk aber ift auf drei Bände
von zufammen etwa 75 Bogen berechnet, von denen
der zweite Plato und Ariftoteles, der dritte die nach-
ariftotelifche Philofophie enthalten wird. ■—■ Für heute
befchränke ich mich daher auf die Hervorhebung eines
Mangels, der durchgehends in der Behandlungsweife des
Buches hervortritt.

In dem Beftreben nach Anfchaulichkeit vergleicht
und mifst der Verf. die Vergangenheit an den in unferer
Gegenwart herrfchenden Gedanken. Dadurch wird feine
Auffaffung jedoch oft wohl zu rational und modern.
Der Charakter jener erften naiven Conceptionen wenig-
ftens, die aus einem ganz anderen Culturboden hervortreten
und von dem Verftande noch wenig zerfetzt find,
wird doch in etwas verwifcht, wenn man z. B. ,unfere
Wärmetheorie', unfere ,fociologifche Einficht' gegen fie
hält: die von ihren Schöpfern behauptete höhere Realität
jener alten Lehren bleibt unverftanden, fowie das
ihnen nothwendig noch anhaftende Symbolifiren durch
eine zu grelle Beleuchtung zurücktritt. Zugleich aber
erweckt der Verf. durch folches ausdrückliche Meffen
gar leicht die ungehörige und unbehagliche Nebenftim-
mung, wie wir felbft es zuletzt doch fo herrlich weit
gebracht. Heifst es nun aber z. B. S. 96, die Pythagoreer
,nahmen die Lehre des Thomas Hobbes vorweg', fo
erfcheint diefer Mann wenigftens in diefer beftimmten
Lehre gar leicht als eine moderne Autorität, ja als etwas
Abfolutes, da eine nichtsfagende Anführung bei Gomperz
ausgefchloffen ift.

Und fo hat der in der That wohl allzu moderne
Sinn des Verf. auch fachlich einer reinen Auffaffung der
Vergangenheit da gefchadet, wo diefelbe von der na-
turaliftifchen Grundrichtung unferer Tage am weiteften
abliegt. ,Die kraufe Lehre' der Pythagoreer, durch harmonische
Mifchung der Gegenfätze der Urmonas, des
Begrenzten und Unbegrenzten, entftünden die das Wefen
aller Dinge ausmachenden Zahlen, ift ihm nichts als ein
frühzeitiger Nebel, der bereits den .alternden Plato' um-
fpann und über zahlreiche fpeculative Richtungen der
Folgezeit fein Dunkel gebreitet hat. ,Als die ermattende
alte Welt um den Beginn unferer Zeitrechnung die
Mehrzahl der pofitiven Syfteme in eins zufammenzog,
da hat der Neupythagoreismus zu diefem Brei die Zu-
that der Myftik beigefteuert, jene Würze, welche das
wenig fchmackhafte Gericht dem überreizten Gaumen
einer abgefpannten Epoche allein geniefsbar machen

konnte' (S. 88). Wer fo fpricht, der verfteht etwas ganz
anderes unter Gefchichte wie meine Wenigkeit: er hat
keine Achtung weder vor Plato, noch vor den grofsen
Strömungen, die durch die Jahrhunderte gehen, wie fremdartig
fie uns zunächft erfcheinen mögen; noch endlich
kennt er und weifs er ihre modernen Analoga Z.B.Bruno
und Leibniz zu fchätzen. Viel mehr aber als zu verur-
theilen, gilt es, meine ich, den berechtigten Zug auch
mitten in der Abirrung und dem Ueberfchwang zu er-
faffen, wenn man folchen grandiofen Erfcheinungen wie
der fpäteren Speculation und den Anfängen des dogma-
tifchen Chriftenthums gerecht werden will. Da nun aber
G. hier den fpringenden Punkt nicht erfafst hat, fo kann
er die feinen Gegenftand abfchliefsende und alle Folgezeit
beherrfchende Theofophie der Neuplatoniker eben
nur ,mehr fummarifch' zu behandeln verfprechen. Und
doch ift für das innere Verftändnifs diefer fchon manches
gefchehen. Ich will aus der letzten Zeit nur an H. v.
Kleift und Hermann Friedrich Mueller erinnern.

Im Gegenfatz aber zu folchem ,Nebel' erfcheint
dem Verf. wie gefagt z. B. unfere ,fociologifche Einficht'
als ein helles Licht. Verglichen etwa mit der fog. Deut-
fchen Theologie, einem der edelften Abfenker des Neu-
platonismus, der lebenfchaffend durch die Jahrhunderte
geht, würde ich meinerfeits diefe nur einen matten
Schimmer nennen, der hoffentlich tieferer Einficht bald
weichen wird. Das bezeichnet wohl am Beften die
Weite unferes fachlichen Gegenfatzes. Nur kann ich
aus der vorliegenden erften Lieferung noch nicht er-
meffen, wo derfelbe recht eigentlich beginnen mag. Die
bald zu erwartende Schilderung Demokrit's und der grie-
chifchen Encyklopaediften wird jedenfalls wohl ein
Glanzpunkt des Werkes werden.

Kiel. Guftav Glogau.

Hommel, Prof. Dr. Fritz, Aufsätze und Abhandlungen ara-
bistisch -semitologischen Inhalts. 1. Hälfte. München,
Lukafchik, 1892. (128 S. gr. 8.) M. 8.—

Unter diefem etwas wunderlichen Titel veröffentlicht
der gefchäftige Herr Verf. eine Reihe von Auffätzen,
1. zu den arabifchen Infchriften von el Öla 1—51, 2. die
Kaffide des Abid ibn al-Abras 52—92, 3. die fprach-
gefchichtliche Stellung des Babylonifchen zum Weft-
femitifchen 92 — 123 und Nachträgliches zum Reiche von
Main 124—128. — Nr. 1 enthält zugleich eine Reihe von
Beiträgen zur fabäifchen Grammatik und Lexikographie,
wie auch einen Excurs über das Reich von Main und
einen über die banu Lihjän, S. 97 ff. handelt von der Gefchichte
des Granatapfelbaumes, Oelbaumes, Feigenbaumes
und Weinftocks. —

Die Gelehrfamkeit und Vielfeitigkeit des Verfs. ift
erftaunlich, darum ift in diefer Schrift aufserordentlich viel
Belehrung und Anregung zu finden. Freilich mufs hinzugefügt
werden; dafs diefe Vorzüge nur für den Lefer in
Betracht kommen, der einen gehörigen Fond von Judicium
mitbringt; denn in dem Buche ift felbft gar nicht feiten
fremden und eigenen Meinungen gegenüber ein bedenklicher
Mangel an kritifcher Schärfe zu conftatiren. Um den
Beweis hierfür zu erbringen, wäre es eigentlich geboten, das
gefammte Detail forgfältig durchzunehmen. Da dies aber
weit über den geblatteten Raum hinausgehen würde,
mufs ich mich auf zwei Gegenftände befchränken, auf
die der Verf. den gröfsten Werth legt, in denen nicht
nur philologifche, fondern auch hiftorifche Methode zur
Anwendung kommt, und für die gleichzeitig auch bei
dem Leferkreife diefer Zeitung am meiften Verftändnifs
vorausgefetzt werden darf.

Ein fehr wichtiges Argument für das Alter der minä-
ifchen Cultur fieht Hommel in der Thatfache, dafs die
Minäer fchon im alten Teftamente erwähnt find, indem
er den Judicum 10, 12 vorkommenden Völkernamen
Jiya auf die Minäer deutet. Da das Wort 3553 nur noch