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Ausgabe:

1893

Spalte:

410-411

Autor/Hrsg.:

Schürer, Emil

Titel/Untertitel:

Zur Adresse des Galaterbriefes 1893

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Seite 1, Seite 2

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 16.

Er fleht theologifch auf dem Standpunkt der von
Schleiermacher ausgegangenen Vermittelungstheologie:
in feiner grundlegenden Erörterung über das Wefen des
Chrifienthums fchliefst er fich eng an Ullmann's fo betiteltes
Werk an, anderwärts citirt er Richard Rothe,
Martenfen u. A. diefer Geiftesart. Seine ftaatsrechtlichen
Gewährsmänner find Männer wie Dahlmann, v. Treitfchke,

Entwickelung in Deutfchland der Trennung von Kirche
und Staat unaufhaltfam entgegentreibe; aber er fieht darin
kein Unglück. Gewifs würde ja auch bei jener Eventualität
das evangelifche Chriftenthum und die evange-
lifche Kirche im deutfchen Vaterland nicht untergehen;
aber ein fchwerer Schaden nach beiden Seiten hin wäre
es doch, wenn die Lofung, welche ganz neuerdings wieder

Biuntfchli, Tocqueville. Die Vorfrage, ob zwifchen Politik j mit Nachdruck ausgegeben worden ift, zur Wahrheit

und Chriftenthum ein Verhältnifs" überhaupt ftattfinde
und nicht vielmehr beide ohne Berührung neben einander
hergehen, beantwortet er zutreffend. Das Chriftenthum
ift kein politifches Syftem, es giebt keine directe Auskunft
über politifche Fragen, aber es giebt die höchften
fittlichen Normen auch für alles politifche Handeln.
Chrifti Reich ift nicht von diefer Welt (bei der Erörterung
des Ausfpruchs Joh. 18, 36 wäre ein tieferes Eingehen
auf die hier einfchlagenden biblifch-theologifchen Probleme
erwünfcht gewefen), aber die Welt ift beftimmt, für
es gewonnen zu werden, und zwar nicht durch die Unterwerfung
unter ein irgend wie geartetes Gefetz, fondern
von innen heraus, vermittelft Durchdringung mit den
von Chriftus ausgehenden Lebenskräften. Erfteres ift,
wie bekannt, die Tendenz des Katholicismus; es verfteht
fich danach, dafs das Chriftenthum im Sinne des Verf.'s

würde: los vom Staat! und eine gewiffe Politik ift ja
mit Erfolg daran, ihr Gewicht zu verftärken. Das unein-
gefchränkte Lob, welches der Verf. der modernen con-
ftitutionellen Regierungsform ertheilt, hat feine Berechtigung
, wie jedes Urtheil über Werth oder Unwerth
einer Staatsform, doch nur in relativer Weife. Unter den
politifchen und focialen Verhältnifsen, wie fie in den
monarchifchen Staaten des Feftlandes zur Zeit geworden
find, ift jene Verfaffungsform die einzig mögliche und darum
heilfame; aber die Thatfache wird dadurch nicht aufgehoben
, dafs fie die Keime zu Confticten in fich trägt, für welche
es keine gefetzliche Lofung giebt, und welche vorausficht-
lich zu ihrem Untergang führen werden. Der Verf. verkennt
nicht den gewaltigen Ernft der Zeitlage, aber ihm konnte
den muthigen Glauben der modifche Peffimismus nicht
rauben. Er fchliefst mit den Sätzen: ,Es ist lange genug

überall nur als evangelifches gedacht ift. j zum Schaden des Staates und der ev. Kirche fo gewefen,

Auf jenem Wege foll auch das ftaatliche Leben zu dafs auf der einen Seite die Chriften ftanden aufserhalb

einem chriftlichen werden und liegt allein in dem Chriften- ! der politifchen Dinge, auf der andern Seite aber die

thum die Bürgfchaft für eine gedeihliche Entfaltung politifchen Lebensbewegungen ihren Verlauf für fich

desfelben. Tief beklagt darum der Verf. die dermalige , nahmen, ohne durch die Vertreter der Kirche irgend

Entfremdung der nationalen und liberalen Kreife in
Deutfchland gegenüber dem Chriftenthum. Der religiös-
patriotifche Auffchwung der Befreiungskriege ift durch
die Schuld der damals herrfchenden Kreife zu nichte
geworden, zum unberechenbaren Schaden für unfer

wie beeinflufst zu werden. Das war die tiefite Entzweiung
unferes Volks- und Staatslebens mit fich felblt. Dafs
aber in Zukunft jene beiden Seiten fich in der rechten
Weife immer mehr zufammenfchliefsen werden, das ift
unfere Hoffnung. Dann erft wird auch auf dem politifchen

nationales Leben. Statt deffen konnte der Aberglaube 1 Gebiete etwas Dauerhaftes gefchaffen werden; dann wird

aufkommen von der Solidarität chriftlicher Gläubigkeit und
politifcher Reaction.

Von diefen Gefichtspunkten aus werden die grofsen,
das politifche Leben der Gegenwart bewegenden Princip-
fragen: Legitimität, Recht zum Widerftand, Revolution,
confervative und liberale Richtung, ftaatliche Centralifation
und Selbftverwaltung, Freiheit, Gleichheit, Nationalität
und Internationalität, ideale und Realpolitik, erörtert.
Fein- und fcharffinnig weifs der Vef. überall zwifchen den
Extremen einen die Gegenfätze nicht verhüllenden, aber
überwindenden höheren Standpunkt zu finden, von wo
aus diefelben nicht als fich ausfchliefsend, fondern als

In einem kleinen Auffatz in den Jahrbb. für prot.
Theol. XVIII, 1892, S. 460—474, habe ich auf Grund der
fich einander fordernd und ergänzend erkannt werden. Infchriften nachgewiefen, dafs die Landfchaft Galatien

eine chriftlich-nationale Reformpartei, die ebenfo confer-
vativ als liberal auftreten wird, ohne der falfchen Verquickung
des Religiöfen und Politifchen zu verfallen, mehr
Boden und Bedeutung gewinnen. Das ift unfere Hoffnung
für die Zukunft Deutfchlands'. Selig find, die nicht
fehen und doch glauben 1

Darmftadt. K. Köhler.

Zur Adresse des Galaterbriefes.

An den fittlichen Principien des Chrifienthums gemeffen, | zwar geraume Zeit hindurch mit Pifidien und Lyka-
findet der Verf. in den politifchen Forderungen der Gegen- onien unter einem Statthalter vereinigt war dafs aber
wart durchweg einen berechtigten Kern; das Urtheil trotzdem der Name Galatien nie auf diefe füdlichen
geht fchliefslich überall darauf hinaus, dafs das Chriften- ! Landfchaften übertragen worden ift. Gerade in der ee
thum, die Sache richtig verftanden, nicht dawider fei. j nauen Titulatur der Statthalter werden ftets Pifidien und"
Man mufs faft überall zuftimmen; doch möchte man nicht , Lykaonien neben Galatien genannt. Ein amtlicher
fowohl nachgewiefen fehen, was das Chriftenthum auf Sprachgebrauch, wonach der Begriff Galatia auch die
politifchem Gebiet gelten laffe und, feines Wefens unbe- i Landfchaften Pifidien und Lykaonien umfafst hätte hat
fchadet, fich gefallen laffen könne, fondern was es pofitiv nicht exiftirt'. Diefem Auffatz und einer Gelegentlichen
fordert und aus feinem fittlichen Geilte hervortreibt. Man Bemerkung in der Theol. Literaturzeitung ^80.2 a68 hat
kann in der That, wie F. J. Stahl gethan hat, von dem der englifche Archäologe Ramfay in feinem Werke' The
Proteftantismus als politifchem Pnncip reden, nur foll Church in the Roman Empire betöre A D 170 (London
es von einer richtigeren Einficht in das Wefen desfelben 1893) eine drei Seiten lange Anmerkung gewidmet
aus gefchehen, als dort zu finden. - Wohlthuend berührt (p. 13-15), in welcher er leine volle EntrüftuV über
die hoffnungsfreudige Stimmung, welche durch die Be- meine Verkehrtheit ausfpricht When 1 read such
trachtungen des Verf.'s hindurchgeht. Er zweifelt nicht, Statement I fall into despair Cp 13) Er behauptet dann
trotz alledem, dafs die Menfchheit im Vorwärtsfchreiten ■ dafs ich nur eine kleine Auswahl von Infchriften behandle
zum Befferen begriffen ift, er glaubt an die Zukunft als ob fie den officiellen Sprachgebrauch darfteilten
Deutfchlands. Man wird vielleicht feine Beurtheilung während die überwältigende Mehrzahl der Stellen welche
der Dinge optimiftifch finden; aber es ift ein Optimismus, die ganze Provinz durch den Namen Galatien bezeichnen
an welchem man fich gegenüber der peffimiftifch galligen von mir völlig unbeachtet blieben (treattng a small sele
Stimmung, welche um fich zu greifen angefangen hat, tton qf tnscriptions as if they represcnted the officiat „J
erfreuen kann. Vielleicht dafs er von feinem Standpunkt while the overwhelming majority ot passaees ' / ■/'
über manche Erfcheinungen der Gegenwart zu günftig describe the entire province by the neme Galaf
urtheilt. Er ift der Meinung, dafs die kirchenpolitifche j entirely disregarded by htm). Das klingt ja voll