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Ausgabe:

1893 Nr. 15

Spalte:

384-387

Autor/Hrsg.:

Hoensbroech, Graf Paul von

Titel/Untertitel:

Mein Austritt aus dem Jesuitenorden. 6. Aufl. Unveränderter Abdr. der 5. Aufl 1893

Rezensent:

Köhler, Karl

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383

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 15.

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lifche Gebiete, Reichsritterfchaften und Reichsftädte. Es
ift daher begreiflich, dafs diefe Arbeit mit vereinten
Kräften ausgeführt worden ift. Die Hauptarbeit hat dabei
der verdiente Kenner württembergifcher Kirchenge-
fchichte G. Boffert geleiftet: er hat die Gefchichte von
den älteften Zeiten bis 1303 (S. I—181) und dann wieder
das Zeitalter der Reformation (—1552) S. 250—380 bearbeitet
. Auf beiden Gebieten ift er Specialforfcher;
kennen ihn weitere theologifche Kreife auch vielleicht nur
aus feinen reformationsgefchichtlichen Arbeiten (im Verein
für Ref.-Gefch., Chriftl. Welt u. a. O.), fo kennen feine Landsleute
doch auch feine Forfchungen im Gebiete der älteren
Landeskirchengefchichte in den Württ. Vierteljahrsheften
für Landesgefch. fowie in den Blättern für württ. KGfch.
Die letzten beiden Jahrhunderte des Mittelalters hat Friedr.
Keidel, die Zeit von 1552—1800 Jul. Hartmann, das 19.
Jh. Chriftoph Kolb bearbeitet. Auch diefe Beiträge zeugen
von fehr ernfthaften Studien und von der regen wiffen-
fchaftlichen Arbeit, die den Ruhm der württembergifchen
Landeskirche bildet. Es ift mir doch zweifelhaft, ob
andere Landeskirchen gleichen Umfanges fofort über die
Arbeitskräfte verfügen könnten, die ein folches Werk
erfordert. Da das Buch nicht zunächft für den Fachgelehrten
, fondern für die weiten Kreife kirchlich Interef-
(irter gefchrieben ift, die die kirchliche Vergangenheit
ihres Landes kennen lernen wollen, fo ift ein rein erzählender
, refp. darftellender Text geboten, der nur
durch den Vv'echfel gröfseren und kleineren Druckes
Wichtigeres und weniger Wichtiges, noch häufiger aber
die allgemeinen Züge der gefchichtlichen Entwicklung
von dem ausführenden und illuftrirenden Detail unterscheidet
; daneben aber ift am Schlufs des Ganzen in fehr
compreffem Druck auf S. 695—743 eine Rechenfchaft über
die benutzten Quellen und die Hülfsliteratur gegeben,
durch welche den Intereffen wiffenfchaftlicher Benutzung
ausreichend, wenn auch ftets in knappfter Form, gedient
wird. Der Standpunkt der lutherifchen Landeskirche ift
treu gewahrt, aber mit jenem freien und weiten Blick, der
für den württemb. Pietismus ein warmherziges Verftändnifs
hat und fich auch bemüht, die bleibende Bedeutung
eines Theologen wie F. Chr. Baur weiteren Kreifen ver-
ftändlich zu machen, oder bei einem Tob. Beck ebenfo
feine Gabe wie die Schranken derfelben zu bezeichnen.
Von der wohlfeilen und unwahren Claffification der Theologen
in ,gläubige' und .ungläubige' ift hier nichts zu
finden. Der kräftigen Zeichnung des aufftrebenden Ultramontanismus
und feiner Erfolge, fowie der Schwachheit
und Nachgiebigkeit des Staates (Rümelin's Concordat v.
1857!) merkt man das unmittelbare Intereffe des bedrohten
württembergifchen Proteftantismus an.

Es kann nicht Aufgabe des Recenfenten fein, die Zu-
verläifigkeit der Darftellung in einem Buche, welches
Detailforfchungen aus der Gefchichte vieler Jahrhunderte
zufammenfafst, im Einzelnen zu prüfen. Ich kann nur
verfichern, dafs feit der Zeit, dafs ich das Buch in meiner
Bibliothek habe, ich es fchon fehr häufig als Orientir-
ungsmittel in den verfchiedenften Zeiträumen gebraucht
und ftets die Vollftändigkeit feiner Darfteilung und die
Zuverläffigkeit feiner Angaben habe conftatiren können.
Anderfeits ift es ja ein Leichtes, bei der Umfänglichkeit
des in Betracht kommenden Materials auf unbenutzt ge-
laffene Literatur hinzuweifen, z. B. für den Enthufiaften
Giftheil S. 444 auf Weingarten's Revolutionskirchen Englands
S. IOOf. oder für Männer wie Gruber (S. 486) und
Rock (S. 511) auf Göbel's Auffatz in ZhiftTh. Bd. 24 zu
verweilen. Ebenfo wird jeder gefchichtskundige Lefer
hie und da eine fchärfere Zeichnung wünfchen; ich nenne
beifpielsweife die Darftellung des Regensburger Religions-
gefpräches von 1601, welcher ein Vergleich von Stieve's
Politik Bayerns Bd. II zu wünfchen gewefen wäre, oder
die kurzen Bemerkungen über die Giefsen-Tübinger Con-
troverfe über Kenofis und Krypfis, durch welche weder
Pofition und Intereffe der Streitführenden, noch der Verlauf
der Controverfe deutlich wird. Anftatt aber folchen
Einzelheiten weiter nachzugehen, fpreche ich zwei Wün-
fche für eine neue Auflage, die ich dem trefflichen Werke
erhoffe, hier aus: der eine geht dahin, dafs zur Orientir-
ung des Lefers einige Karten beigefügt werden, welche
die Territorialverhältnifse zu verfchiedenen Zeiten veran-
fchaulichen. Sodann aber möchte ich bitten, gerade bei
der Sectirergefchichte noch ein wenig weiter den Wirkungen
nachzugehen, die Württemberger im übrigen
Deutfchland auf Separationen und dgl. ausgeübt haben.
So gut wie ein Speratus oder Eberlin, oder ein J. Andreae
auch in der Thätigkeit, die fie aufserhalb Württembergs
ausgeübt haben, im Auge behalten werden, fo würde es
gewifs auch keine Ueberfchreitung der Grenzen einer
Württ. KGfch. fein, wenn auch den religiöfen Sonderlingen,
die Württemberg häufiger als irgend ein anderes deutfches
Land erzeugt hat, und ihrer oft erft in der Ferne be-
deutfam gewordenen Einwirkung auf Andere noch etwas
mehr Raum geftattet würde. Ich hoffte z. B. vergeblich,
hier über den Württemberger Menzel, nach dem noch
heutigen Tages eine kleine Separatiftenfchaar an der
märkifch-pofener Grenze benannt wird, Auskunft zu erhalten
. Möge das Werk fo vielen Fleifses einen dankbaren
Leferkreis finden!

Kiel. G. Kawerau.

Hoensbroech, Graf Paul von, Mein Austritt aus dem Jesuitenorden
. 6. Aufl. Unveränderter Abdr. der 5. Aufl.
(6. Taufend.) [Aus: ,Preufsifche Jahrbücher', mit einem
Anhange über .Patriotismus' aus dem ,Deutfchen
Wochenblatte'.] Berlin, Walther, 1893. (44 S. gr. 8.)
M. — 80.

Die Schrift des Grafen Hoensbroech über feinen
Austritt aus dem Jefuitenorden ift den Lefern kein No-
vum. Sie hat berechtigtes Auffehen erregt, Beweis davon
ift die Thatfache, dafs fie bereits in fechster Auflage
vorliegt. Um fo weniger darf fie an diefer Stelle un-
befprochen bleiben. Der Verf. fchreibt, wie er im Eingang
fagt, mit dem Bewufstfein, dafs ihm die Feder in
die Hand gezwungen fei. ,Ich glaube mir felbft und
meiner Ehre, meiner eigenen Perfönlichkeit diefe Schrift
fchuldig zu fein'. ,Ohne eine authentifche Erklärung'
meinerseits bliebe mein Austritt nicht nur ein Räthfel,
fondern die verfchiedenften und falfcheften Deutungs-
verfuche würden gemacht und Vermuthungen aufgeftellt
werden, die in gleicher Weife für den Orden und für
mich kränkend und verleumderifch wären. Das kann und
will ich nicht dulden'. Man ift dem Verf. das Zeugnifs
. fchuldig, dafs er feinen Zweck erreicht hat. Seine er-
fichtlich vollkommen aufrichtige und ungefärbte Darftellung
giebt den überzeugenden Eindruck, dafs nur
ehrenhafte und fittlich vollwerthige Beweggründe feine
Losfagung von dem Orden herbeigeführt haben. Zwei
Thatfachen, von welchen er fich überzeugen mufste, nennt
er als die Gründe, die ihm das Verbleiben im Orden
zur inneren Unmöglichkeit gemacht haben: ,1. Der Jefui-
tismus unterdrückt, ja bis zu einen gewiffen Grad vernichtet
die Selbftftändigkeit, den Charakter, die Individualität
des Einzelnen; 2. der Jefuitismus unterdrückt,
I ja bis zu einem gewiffen Grad vernichtet das berechtigte
Nationalitätsgefühl, den berechtigten Patriotismus'. Belehrend
in hohem Mafse ift, was er über den erften Punkt
aus feinen Erfahrungen im Ordensleben zu berichten weifs.
Man bewundert die pfychologifche Kraft der Methode,
mittelft welcher der Orden in feinen Angehörigen alle
Regungen eines individuellen felbftftändigen Geifteslebens
■ zu ertödten und fie zu willenlofen Werkzeugen in der
Hand der Oberen zu bilden verfteht. Was mufs mit
einer Truppe, die nach folchem Exercierreglement gedrillt
ift, nicht auszurichten fein! Aber man erfchrickt auch
vor diefer, man möchte fagen, dämonifchen Kunft der