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Ausgabe:

1893 Nr. 15

Spalte:

378-379

Autor/Hrsg.:

Engelbrecht, Aug.

Titel/Untertitel:

Patristische Analecten 1893

Rezensent:

Preuschen, Erwin

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 15.

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an eine ganz gründliche Unterfuchung der vorkanonifchen
Textüberlieferung fich zu machen, ehe er irgend eine
Behauptung über das Urevangelium aufftellt. Es müffen
aber noch zwei Grundfätze der Arbeit R.'s befprochen
werden. R. findet faft überall, wo eine Berührung zwifchen
den Synoptikern oder den Agrapha und derapoftolifchen
Literatur vorliegt, eine Benützung feiner ja fchon von
Paulus gekannten Quelle. S. 72—82 führt R. vorläufig
Proben der überaus ftarken Beeinfluffung der apofto-
lifchen Literatur durch feine Quelle auf. Es ift erftaunlich,
was hier dem Lefer zugemuthet wird; unter einer Fülle
von werthlofem Material mufs man das Wenige, was vielleicht
etwas beweift, fich mühfam zufammenfuchen.^ Was
hat es z. B. für einen Werth, wenn zu Mr. 14,36 ußßa o
Jcaz>'iQ Rom. 8.15 und Gal. 4,6 angeführt werden! Die
Methode R.'s ift überhaupt die, dafs er faft nirgends
zwingende Beweife führt, fondern meiftens lauter Einzelheiten
bringt, deren Beweiskraft ungefähr gleich null j
ift, in der Meinung, dafs wenn dies Verfahren nur lange
genug fortgefetzt wird, fchliefslich ein Beweis dabei heraus
kommt. So wird denn der Hauptbeweis für eine Be-
kanntfehaft des Paulus mit einer Herrenwortfammlung,
nämlich die zahlreichen Berührungen mit der efchato- |
logifchen Herrenrede in i.Theff-4und 5, 1—10 vonR. gar
nicht als folcher gefehen. Und doch kommt es, wenn man
einen Beweis literarifcher Abhängigkeit führen will, nicht
darauf an, allerlei Reminiscenzen an Herrenworte nach-
zuweifen,'fondern darauf, wie eng nebeneinander diefe
Reminiscenzen fich finden, ob etwa die Reihenfolge der 1
Herrenworte parallel der evangelifchen Ueberhefcrung j
läuft u. f. w. Ich geftehe, dafs für mich freilich auch I.
Theff. 4. und 5. nicht durchaus die Abhängigkeit des
Paulus von fchriftlich fixierten Herrenreden beweift1;.

Und nun der hebräifche Sprachcharakter, die Ueber-
fetzungsvarianten und gar die verfchiedenen Ueber-
fetzungstypen, die R. conftatirt! Auch hier herrfcht
wieder diefelbe Methode vor, es wird eigentlich nichts
bewiefen. Faft alle fynonymen Ausdrücke, die R. als
Ueberfetzungsvariantcn auffafst, beweifen zunächft gar |
nichts für den hebräifchen Charakter der Quelle, fie
könnten aus jeder beliebigen anderen Sprache flammen.
Auch gegen die ganze Ueberfetzungsmethode R.'s erflehen
die fchwerften Bedenken. Mein College A. Rahlfs, der die
betreffenden Abfchnitte mit mir durchzufehen die Güte
hatte, theilte mir feine Anficht darüber in folgender ,
Weife mit:

,Refch's Verfahren leidet, foweit es fich um wirkliche
Differenzen der griechifchen Texte handelt, befonders an
dem Fehler, dafs er es mit der Bedeutung der hebräifchen
Wörter nicht genau genug nimmt. Um den Unterfchied
von zov (JioOov avzov Lk. 10,7 und zrjg zQoyTiq, avzox
Mt. 10,10 zu erklären, führt er jenes auf iTTitt, diefes
auf in^ntt zurück (100. 123), aber Tritt heifst nicht ,Lohn', j
fonderff /Kaufpreis', daher kann wohl der Priefter, der I
feine Thora um Geld verkauft, (Mich. 3,11) oder der
Proflituierte, der fich felbft verkauft, (Deut. 23,19) einen j
Tritt bekommen, aber nicht der Arbeiter, der vielmehr
feinen ehrlich erworbenen -pi» erhält, vixüv Lk. 11,22 [
und ßhiv Mk. 3,27 Mt. 12,29 fuhrt R. (119) auf pm zurück,
aber pm heifst nie ,binden, feffeln', fondern höchftens l
(im Piel) ,umgürten und dadurch pm machen' (vgl. Nah. 2,2,
wo Dttritt p-TH im Parallelismus mit littt rp pT2S fleht).
xQtLiaoßdi und JiXrjQovo&ai bringt R. (100. 131. 132) dadurch
zufammen, dafs er jenes = rpn, diefes = dem Pual
rtS3 (Pfalm. 72,20) fetzt, aber nbn'irt tranfitiv, und rf«
heYfst wohl ,zu Ende gebracht werden', aber nicht
JzlrjQoxxSd-ai. Ueberhaupt begnügt fich Refch viel zu häufig
damit, ein hebräifches Wort aufzuweifen, das den bell
Herr Prof. Zimmer weift in einem Brief an die Redaction der
Litteraturzeitung auf die lledeutfamkeit gerade der Aufftellungen R.'s in
diefem Punkte hin. Ich kann diefelben nicht bedeutfam finden. Mit
Zimmer aber ftand mir fchon feit längerer Zeit die Bedeutung des Thefia-
lonicherbriefes in vorliegender Frage feft.

treffenden griechifchen Wörtern ungefähr oder auch nicht
einmal ungefähr entfpricht. Damit ift aber nichts bewiefen.
Refch müfste folche Wörter aufzeigen, die einerfeits in
den Zufammenhang der vorausgefetzten hebräifchen
Quelle pafsten und andrerfeits von Ueberfetzern, die des
Hebräifchen kundig waren, auch wirklich in diefer und
jener Weife überfetzt werden konnten. Man darf fich
doch die Ueberfetzer nicht wie im 19. Jahrh. lebende
Stümper denken, die den ihnen vorliegenden Hieroglyphen
mit irgend einem fchlechten Lexikon zu Leibe rückten
und froh waren, wenn fie aus ihnen nur irgend einen
annehmbaren Sinn heraus bekamen.'

Einigermafsen einleuchtend war mir nur eine Stelle:
wenn es Luk. 21,35 "J1 ^«/t's heifst und in der Parallele
1. Theff. 5,3 ojg codlv, fo fcheint hier ein Verlefen von
53H und bpn ftattgefunden zu haben (Refch 105, nach
Ma'rfhall). Aber auch Act. 2,24 liegt ein ähnliches Ver-
fehen zu Grunde, ohne dafs hier ein hebräifcher Urtext
angenommen werden könnte. Das Operieren mit Ueber-
fetzungsvarianten ift ein fehr gefährliches. Wir können
es noch erleben, dals man mit Hülfe von Ueberfetzungs-
varianten und Conjecturen beginnen wird, alle möglichen
Disharmonien unferer evangelifchen Berichteauszugleichen.
Wenn man hier fucht, fo wird man ficher finden. Hier
liegt aufserdem noch ein tieferer Fehler vor: Hält man
denn wirklich unfere Synoptiker für folche Stümper und
Sclaven ihrer Vorlage, dafs fie überhaupt keines eigenen
Wortes mehr fähig waren! Sie haben alle eine ziemlich ftark
ausgeprägte Individualität. Aber viele Kritiker fcheinen
das Gegentheil anzunehmen, die einen fchalten Quellen
auf Quellen ein, um mit jeder Originalität der Schriitfteller
letzter Hand aufzuräumen, die andern arbeiten mitUeber-
fetzungsvarianten, und das Refultat ift abfolute Willkür.

Was endlich die Ueberfetzungstypen anbetrifft, fo
kann ich wohl auf Einzelnes verzichten. Der paulinifch-
lukanifche Typus wird fich wohl immer noch auf eine Abhängigkeit
des Lukas von Paulus zurückführen laffen.
Und beim alexandrinifchen Typus warte ich auf anderen
und befferen Beweis (142 h). Diefe Probleme find nicht
fpruchreif, werden es wohl niemals fein.

Ich möchte zum Schlufs dem verehrten Herrn Ver-
faffer wünfehen, dafs er von der vergeblichen Arbeit
am Urevangelium abliefse. Ich darf dies vielleicht fagen,
da ich mich ebenfalls lange mit denfelben Problemen
abgemüht, um am Ende die Vergeblichkeit diefer Arbeit
zu erkennen. Wollte doch R. fich darauf befchränken,
uns Bild und Gefchichte des vorkanonifchen Textes zu
liefern. Zu diefer Arbeit wäre er wie kein anderer berufen
. Der folgenden Sammlung der aufserkanonifchen
Evangelienparallelen werden alle F"achgenoffen mit Freude
und Spannung entgegenfehen. Denn ich glaube, dafs fo
unb. nimmt die im Anfang erwähnte Abgrenzung der
Sammlung R.'s erfcheint, diefe bei den textkritifchen
Grundfätzen des Verfaffers einen einheitlichen Werth erhalten
wird. Nur kann ich mich nach den Proben, die
Refch gegeben, der Furcht nicht entfchlagen, dafs R.' diefelbe
mit unnöthigemBallall überladen möge. Doch immerhin
ift hier ein zu viel beffer, als ein zu wenig.

Göttingen. Wilhelm Bouffet.

Engelbrecht, Aug., Patristische Analecten. Wien, Brze-
zowsky & Söhne, 1892. (Leipzig, Fock.) (100 S. gr. 8 )
M. 2.—

Der Verf. hat feine .Analekten' felbft (S. 3) als Epile-
gomena zu feiner Ausgabe der Werke des Fauftus und
Ruricius bezeichnet. Dafs dabei Ruricius in ziemlich
ausgedehntem Mafse zu Worte kommt, entfpricht zwar
nicht im minderten dem Werthe, den feine Brieffammlune
in theologifcher Hinficht befitzt, aber es ift dem fore-
famen Herausgeber nicht zu verdenken, wenn er feinen
Autor heb gewinnt, und er hat dem fpröden Stoffe

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