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Ausgabe:

1893 Nr. 15

Spalte:

374-378

Autor/Hrsg.:

Resch, Alfred

Titel/Untertitel:

Aussercanonische Paralleltexte zu den Evangelien. I. Textkritische und quellenkritische Grundlegungen 1893

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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373

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 15.

374

ev in ev Xqiotw, je nachdem von einem elvat oder d<-
xauo-ürjvai oder y.avxüoti<xi oder vr^ciog ev Xqiotw u. f. w.
die Rede ift, und es wäre nun die Aufgabe gewefen, die
verfchiedenen Verbindungen, in denen fich ev Xqiotcö besonders
bei Paulus findet, einzeln zu unterfuchen und zu
gruppiren. Es hätte fich dann herausgeftellt, dafs die
Fälle, in welchen die Formel unbildlich, rein localiter
,in Chriftus' heifst, nur einen kleinen Theil ausmachen.
Oft ift das ev, um nur die wichtigfte Gruppe zu nennen,
einfach inftrumental aufzulöfen. Nehmen wir z. B. den
Ausdruck dixauo&fjvai ev Xqiotw, fo verbindet; Paulus
dasfelbe Verbum mit ev vöiiw, ev ti?> ovoiicxtt tov xvqiov,
ev ii?) nveviiaTi tov &eov, ev zw aiiictTi Xqlotov, ev zovtoj
(Neutr.). So wenig nun etwa in dixcuwd-Pjvtu ev tuj aZiicai
Xqiotov von einer öixalcooig auf Grund unferer Vereinigung
mit dem Blute Chrifti die Rede ift, fo wenig ift es erlaubt
, die Worte dixauo-9-ijvai ev Xqiotu) mit D. fo zu
deuten, als ob es fich um eine Rechtfertigung handelt,
welche uns zu Theil wird, fofern wir uns in dem pneuma-
tifchen Chriftus als unferem Lebenselemente befinden, —
eine Erklärung, die übrigens zu ganz unpaulinifchen Con-
fequenzen hinfichtlich der Rechtfertigungslehre führen
würde. Höchft eigenthümlich findet fich D. mit diefem
Sachverhalte ab. Statt z. B. /cavxäoÜat, dixaicodrjvai ev
XqiotcÖ nach Analogie von v.avxüoiriu, dc/.aitüöxr}vai ev
v6f«i> u. f. w. zu deuten, erklärt er eine derartige Verbindung
von ev mit voiup für eine Sprachliche Nachwirkung
' der Formel ev Xqiotco; und wenn Paulus i. Cor.
15,22 ev Top Xqiotw nävreg twonoirj&yjoovzai einem ev
xei Lddafi ndvreg uno9-vi]axovoiv gegenüberstellt, fo glaubt
D. fogar direct davor warnen zu müffen, ev tu) Xqiotco
übereinftimmend mit ev tw Iddctii zu faffen, und erblickt
in letzterer Verbindung nur eine zufällige, durch Rückwirkung
des ev zcß Xqioti?) entstandene Redeweife, —
kurz, die Worte ev Xqiotw erfcheinen bei ihm als ein
Gefüge, deffen Sinn ein- für allemal feftfteht, wie der
Zufammenhang auch lautet und von welchem Begriff
das ev auch abhängt. Jedem ev Xqiotw fchiebt er die
Vorftellung von einem Sein der Gläubigen in ChriSto
unter. So deutet er feinem ,hermeneutifchen Princip' zu
Liebe Col. 2,9 folgendermafsen: ,Denn in ihm (als dem
Elemente) wohnt (Tür die Menfchen, die in ihm find) das
ganze 7tXiqwliu rrjg o^eoTTjTog owLictTi/.wg'. Phil. 2, 5 ergänzt
D. (fQovelce und erklärt: Heget diefelbe Gefinnung
in euerm Gemeindeleben (ev viilv), die ihr auch ev Xqiotcö,
d. h. als övieg ev Xqiotcö habt, — als ob der pneuma-
tifche Chriftus als ein Gebiet angefehen werden könnte,
auf dem man Gefinnungen hegt, die auch aufserhalb der
irdifchen Beziehungen und Verhältniffe, in denen man
lebt, exifiiren können. — Zwei Gründe find es hauptfächlich
, die D. dazu befiimmt haben, ev in der Verbindung
ev Xqiotcö überall eigentlich local zu faffen und
damit zugleich die Formel, wo immer fie bei Paulus vorkommt
, auf die Idee von einem Sichbefinden der Gläubigen
in ChriSo zurückzuführen. Es ift einmal die Be-
forgnifs, man imputire Paulus eine Enallage der Prä-
pofitionen, wenn man das ev gelegentlich auch übertragen,
alfo z. B. inftrumental nimmt. Aber es handelt fich in
diefem Falle durchaus nicht um eine Verwechfelung von
iv und dt«, fondern vielmehr um eine logifche Operation,
die fich ftreng in den von der localen Grundbedeutung
des ev gezogenen Grenzen hält, fofern die Urfache fehr
wohl als die Sphäre angefehen werden kann, in welcher
die Wirkung vor fich geht. — Ferner beruft fich D. auf
die Thatfache, dafs die Formel ev Xqiotu) eine originale
Schöpfung des Paulus ift; es fei daher anzunehmen, dafs
er fie auch überall in derfelben Bedeutung gebrauche.
Aber diefe Folgerung beruht auf einem Mifsverftändnifs:
Gewifs ift die Vorftellung von einem etvai ev Xqiokv
von Paulus zuerft vollzogen worden; aber nicht jedes ev
Xqioicö läfst fich bei ihm auf diefe Idee zurückführen.
Und wenn wir auch hier wieder den Appell an die ,fprach-
bildende Kraft des Chriftenthums' vernehmen müffen, fo

hätte es eines folchen wahrlich nicht bedurft, um die
Entftehung einer fo regelrechten präpofitionellen Ausdrucksweife
begreiflich zu machen. Paulus folgt vielmehr
auch hier durchaus nur den fprachlichen Gefetzen, die
für ihn auf dem Boden der helleniftifchen Gräcität mafs-
gebend waren.

D.'s Refultat wird fich alfo m. M. n. eine ftarke Einschränkung
gefallen laffen müffen. Indefs behält die
Arbeit trotzdem ihre Bedeutung. Vor allem wird hier
die Art und Weife, wie fich Paulus das Verhältnifs der
Gläubigen zu dem erhöhten Chriftus gedacht hat, unter
Heranziehung der nveviia -Vorftellung fchärfer beftimmt,
als gewöhnlich gefchieht. Auch die forgfältig gearbeiteten
Liften über ev mit dem Dativus einer Perfon in der
Profangräcität und befonders bei den LXX werden
Manchem willkommen fein. Und wenn die Arbeit auch
gerade von einem grammatikalifchen Fehler beherrfcht
ift, der für das Refultat der Unterfuchung verhängnifsvoll
geworden ift, fo bietet uns der Verf. doch auf der anderen
Seite in dem Rahmen diefer Specialftudie eine ganze
Reihe von trefflichen methodologifchen Gefichtspunkten,
deren Beobachtung fich Niemand entziehen kann, der
zu einem geficherten gefchichtlichen Verftändnifs neu-
tcftamentlicher fprachlicher Erfcheinungen gelangen will.

Königsberg. Adolf Link.

Resch, Alfr., Aussercanonische Paralleltexte zu den Evangelien
. I. Textkritifche und quellenkritifche Grundlegungen
. [Texte u. Unterfuchgn. z. Gefchichte der
altchriftl. Literatur, hrsg. v. O. v. Gebhardt u. A. Har-
nack, X. Bd., 1. Hft.J Leipzig, Hinrichs, 1893. (VII,
160 S. gr. 8.) M. 5.—

Von dem geplanten Werk einer Sammlung aufser-
kanonifcher Paralleltexte zu den Evangelien bietet Refch
uns zunächft die textkritifchen und quellenkritifchen Grundlegungen
. Nachdem er in den ,Agrapha' im wefent-
lichen — kleine Inconfequenzen find wohl vorgekommen,
eine Sammlung von Herrenworten gegeben, die fich in
unfern kanonischen Evangelien fonft nicht finden, fo
liegt hier der Beginn der viel umfaffenderen und gewaltigeren
Arbeit einer Zufammenftellung fämmtlicher aufser-
kanonifcher Paralleltexte zu den Evangelien vor. Unter
diefen verlieht Refch die gefammte Ueberlieferung von
Herrenworten, bei der eine ,erhebliche' Abweichung von
der kanonifchen Textgeftalt ftattfindet, ganz abgefehen
davon, wie letztere fich erklären mag. Ehe geurteilt
werden kann, ob damit eine deutliche Demarcationslinie
für feine Sammlung gegeben ift, mufs zunächft feftgeftellt
werden, was R. unter kanonifcher Textgeftalt verlieht. —
Der Text des neuteftamentlichen Kanons hat in feinem
Evangelientheil nach R. (18 ff.) eine dreifache Epoche
durchlaufen. Die erde Epoche fällt mit der Zufammenftellung
unferer Evangelien in einen Kanon zufammen
in die erfte (?) Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Die
zweite ift markiert durch die textkritifchen Arbeiten des
Origenes, die jedoch zu keiner eigentlichen Text-
recenfion führten. Dann mufs mit der Fixierung des
Kanons eine endgültige Fixierung des Textes vor fich
gegangen fein, die fich an die Namen des Leucius
(= Lucian) und Hefychius anknüpft. Es wäre zu
wünfchen gewefen, dafs Refch noch die Frage geftreift,
ob und wie die zweite und dritte Epoche für ihn zu-
fammenhängen, und fich deutlicher darüber erklärt hätte,
ob er in der dritten Epoche eine oder mehrere Recen-
fionen annimmt. Unerwähnt hätte ferner der Name des
Pamphilus nicht bleiben dürfen, des directen Fortfetzers
der Arbeiten des Origenes, der ebenfalls allem Anfchein
nach eine Textrevifion des neuen Teftaments veranftaltet
hat. Hochbedeutfam aber ift, dafs Refch der dritten
Textepoche des neuen Teftaments unfere fämmtlichen
griechifchen Hdfchr., alfo auch Bx, mit alleiniger Aus-