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Ausgabe:

1893 Nr. 14

Spalte:

349-352

Autor/Hrsg.:

Schaefer, Aloys

Titel/Untertitel:

Die Bücher des Neuen Testamentes, erklärt. 3. Bd.: Der Brief Pauli an die Römer 1893

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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349

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 14.

350

bundenheit des Urtheils im Gegenfatze zu den ,advanced
critics'.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Schaefer, Prof. Dr. Aloys, Die Bücher des Neuen Testamentes
, erklärt. III. Bd.: Der Brief Pauli an die Römer.
Münfter i.W., Afchendorff, 1891. (XII, 420 S. gr. 8.)
M. 6.50.

Unter obigem Titel liegt uns eine den III. Band
feiner /Erklärung der Bücher des N. T.'s' bildende Auslegung
des Königs der N.T.lichen Briefe durch den
katholifchen Theologie-Profeffor Schäfer zu Münfter
i. W. vor. Es hat für evangelifche Lefer ein ganz
befonderes Intereffe und zugleich einen eigenthümlichen
Reiz, zu beobachten, wie ein durch die römifch-triden-
tinifche Lehre, Tradition und Praxis zu gebundener
Marfch-Route genöthigter Gelehrter der .Schwefterkirche'
fich mit einer N.T.lichen Schrift auseinanderfetzt, die
ein fortlaufender Proteft gegen jene Ueberlieferung
heifsen mufs.

Unfer Autor vollzieht nun diefe Auseinanderfetzung
in der für eine fo verzweifelte Situation denkbar ge-
fchickteften Manier, indem er mit der unbefangenften
Miene von der Welt alle wefentlichen Punkte der rö-
mifchen Lehr- und Lebens-Anfchauung dem Apoftel
Paulus in den Koffer packt und ihm, zur Erbauung
der Lefer, die anmuthenden Züge eines gut katholifch
empfindenden Chriftenmenfchen und Kirchenvaters verleiht
. Schäfer erreicht diefes Refultat in der Regel nicht
— wie zu feiner Ehre gefagt werden mufs — durch
directe Verdrehung des Textes, obgleich es auch hieran
bei ihm nicht fehlt, vielmehr meiftens durch künftlich
vor- oder ein- oder nachgefchobene Vorausfetzungen, Vorbehalte
und Folgerungen, alfo durch die virtuos geübte
Auffchliefsung von vorher verdeckten Ausfchlupf-Pfört-
chen an Stellen, wo weniger fcharffichtige (proteftantifche)
Augen nur jeder Flucht fpottende dichte Umfaffungs-
Mauern erblicken können.

Gleich in der fonft fauber und anregend gefchrie-
benen Einleitung (p. 1—33) tritt diefc fchlimme Kunft
zu Tage. Aller gefchichtlichen Wirklichkeit und Möglichkeit
und insbefondere unferem darüber ein tödtliches
Schweigen beobachtenden Römerbriefe felbft zum Trotz
wird der Apoftel Petrus zum ,eigentlichen Begründer
der römifchen Gemeinde' gemacht (p. 6). Diefe Annahme
ift nicht nur an fich ,mehr als wahrfcheinlich' (denn
,wie follte man fich auch wirklich vorftellen können, dafs

eine fo herrlich erblühte---Gemeinde bis dahin einer

apoftolifchen Autorität entbehrt hätte?' — Aber z. B.:
Antiochia? Act. n, 19—24), fondern fie wird auch durch
die ,übereinftimmende (??) Tradition aller (??) Kirchen des
Erdkreifes' beftätigt (vgl. p. 7—9). Da nun aber ,der Schwerpunkt
der Frage in den biblifchen Nachrichten felbft
liegt' (p. 9) und aus den paulinifchen Briefen ein gefährliches
argumentum e silentio erwächft, fo fucht Sch.
diefen unwiderleglichen Einwand durch die Erwägung
zu entkräften, dafs die Zuftimmung zur Tradition über
Petri römifchen Aufenthalt durchaus nicht die Annahme
in fich fchiefst, dafs Petrus Rom nicht wieder
verlaffen habe (p. 9). Allein wird durch diefe echt rö-
mifche Naivität etwa die Frage beantwortet, wie ein
Paulus die Stirne haben konnte, an der ,Thatfache' der
Stifter-Würde Petri im Briefe an ,deffen geftiftete Gemeinde
' mit eifigem Todtfchweigen vorüberzugehen?
Und andererfeits, wird der paulinifche Grundfatz vom
Nicht-Bauenwollen auf fremdem Grunde (Rom 1, 8—13;
15, 20—22) vielleicht durch die geradezu kindifche Infi-
nuation, Paulus habe ,bei Rom hiervon eine Ausnahme
machen wollen' (p. 4; vgl. p. 58), aus der Welt gefchafft?

Im Uebrigen befpricht Sch. die einleitenden Fragen
nüchtern und mit gefundem Urtheil. Nur beipflichten

kann ihm Ref., wenn Sch. auf Grund der Brief-Daten zwar
keine Mehrheit, aber ein immerhin anfehnliches Vorhandenfein
von Judenchriften in der römifchen Gemeinde
ftatuirt (p. 14). Recht befonnen ift auch die theil-
weife an Holtzmann's Anfchauung erinnernde Art, wie
Sch. den Zweck des fo ganz aus P.' gottgeordnetem
Berufe herausgewachfenen Römerbriefesbeftimmt. Da
P. in gradezu entfchuldigender Weife fein Schreiben nach
Rom (nur) mit feiner univerfellen Miffion für die
Heiden rechtfertigt, fo können die Römer felbft ihm
weder direct noch indirect Anlafs dazu geboten haben.
Vielmehr fühlt fich der Apoftel dem grofsen Völker-
Mittelpunkte, der Stätte der Entfcheidungen zwifchen
Kreuz und zwifchen Heidenthum, d.i. Rom gegenüber
ganz befonders als ein Schuldner; und er will, da er
vorerft noch nicht perfönlich eingreifen kann, einftweilen
bri eflich feinem univerfaliftifchen Evangelium (mit feiner
eigenartigen Lehre von der Nothwendigkeit wie Macht
der Gnade) den Boden bereiten. Ultra-confervativ ift der
Verf. in der Frage der Integrität des R. Br., infofern
nicht nur cp. 15, fondern — mit äufserft fchwachen
Gründen — auch cp. 16 als paulinifch vertheidigt
(p. 21—24), und die gute Phoebe zur Gelegenheits-Brief-
botin nach Rom ernannt wird (p. 15). Dankenswerth dagegen
ift und indirect auch werthvoll für das exege-
tifche Verftändnifs des Br. die gut orientirende ausführliche
Berichterftattung über Lebensgang und Miffions-
arbeit des P. vom ephef inifchen Aufenthalt (der Ent-
ltehungszeit des Br.) bis zur Ankunft in Rom, ,dem er-
fehnten Ziel desApoftelsbei feinerWirkfamkeit',(p. 24—33).

Was nun die Auslegung des R. Br. betrifft, fo
ftellt Sch. — ähnlich wie Godet in feinen Commentaren
— feiner in ununterbrochenem Zufammenhange fortlaufenden
Exegefe regelmäfsig eine genaue Ueberfetzung
des in Form von Fufsnoten kritifch geachteten Textes
voran. Leider wieder fehr beeinträchtigt wird der grofse
Vortheil diefer exeget. Methode durch die unfäglich
I kritiklofe Art, wie der Verf., mit Ausnahme des Eingangs
(1, 1—17) und des Schluffes (15, 14—16, 27) des Br.,
immer nur die doch ganz zufällig gebildeten Capitel
als wirkliche Abfchnitte behandelt und in Ueberfetzung
wie Erklärung für fich nimmt. Ein klares Bild von der
Gliederung des Textes kann fo nicht entftehen.

Im Allgemeinen geht Sch. bei feiner Exegefe gründlich
, befonnen und forgfältig zu Werk; er wägt ruhig,
nüchtern und leidenfchaftslos ab und befleifsigt fich in
feiner Gedanken-Entwicklung einer knappen Faffung und
erfreulichen Kürze. Nur da, wo das confeffionelle Intereffe
mitfpricht, d. h. wo das katholifche Dogma oder
die Tradition feiner Kirche mit den Brief-Ausfagen in
Conflict geräth, begiebt fich unfer Exeget auf Pfade, die
merkwürdigerweife zuletzt — alle nach Rom führen.
Einige claffifche Beifpiele mögen diefe bedenkliche Kunft
Sch.'s, durch plötzlichen Couliffen-Wechfel, durch Ver-
fenkungen und Verfchiebungen und andere Regie-Kunft-
ftücke die exegetifchen Ergebnifse verfchwinden zu
machen oder in majorem ecclesiae gloriam ihrer Spitze
zu berauben, in's Licht ftellen. In der Stelle I,i6f. wird
vor jeder eigentlichen Unterfuchung ganz beiläufig
(vgl. p. 60) die .Rechtfertigung' als .Befreiung von der
Sünde und als pofitive Heiligung und endliche Be-
feligung' (p. 60) definirt, und nach dem ßecept: ,Schnel-
j ligkeit ift keine Hexerei' ift die Gleichung: Evangelium
I (als dvvafiig Ü-eoe) = der Menfch gewordene Gottesfohn
I (als Inhalt der ,Kraft' und .Gerechtigkeit' Gottes) = das
j geheimnifsvolle Leben Chrifti in feiner Kirche (als feinem
! myftifchem Leibe) vollzogen (p. 62 ff.). Was es mit diefem
,geheimnifsvollen Leben Chrifti in feinen Gliedern' (p. 139)
[ auf fich habe, erfahren wir dann fchliefslich noch auf
S. 66, Anm. 3: ,So ift Jef. Chriftus das Sacramentum

vj'j el-oxrj, —--(fo) ift die Euchariftie, die reale

! Gegenwart des Sohnes Gottes und in Ihm der Gerechtigkeit
Gottes, der Urgrund aller den Menfchen