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Ausgabe:

1893 Nr. 12

Spalte:

309-310

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Worum handelt es sich in dem Streit um das Apostolikum? Mit besonderer Rücksicht auf D. Cremers Streitschrift beantwortet 1893

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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309 Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 12. 310

unfere Kenntnifs von der damaligen Lage in Deutfchland
in der mannigfachften Hinficht erweitert wird. In der
That trifft dies bei den Depefchen Morone's zu. Was
wir aus ihnen über die katholifche Liga und ihr Ver-
hältnifs zu dem Herzog Heinrich von Sachfen, über die
Geneigtheit der geiftlichen Fürften, von Rom abzufallen,
über die Armuth an Capacitäten unter den katholifchen
Gelehrten, über die Lage in Ungarn und andere Dinge
erfahren, ift gewifs geeignet, unfer Intereffe im höchften
Grade in Anfpruch zu nehmen. Leider aber ift die
Verwerthung diefer Nachrichten aufserordentlich dadurch
erfchwert, dafs der Text, den der Bearbeiter nicht nach den
Originalen, die im Staatsarchiv zu Neapel liegen, fondern
nach den im Vatikanifchen Archiv vorhandenen Original-
concepten oder Copien giebt, durchaus unzuverläffig
ift und von Lefe- und Druckfehlern wimmelt. Baumgarten
, der fich die Collation.einer einzigen Depefche Morone
's aus Rom verfchaffte, hat auf dritthalb Seiten nicht
weniger als 76 Lefefehler gezählt, von denen die meiften
das Verftändnifs allerdings nicht berühren, manche aber
dafselbe erfchweren oder auch ganz unmöglich machen.
Fügen wir hinzu, dafs es dem Bearbeiter aufserdem
begegnet, dafs er von Morone herrührende Depefchen,
trotzdem der Text hierüber keinen Zweifel geblattet, als
von ihm und Aleander gemeinfam verfafst anführt
(vgl. Nr. 9 und 10), dafs er eine andere Depefche (Nr. 55)
in einer Form giebt, die abfolut unverftändlich ift, dafs
dasRegifter vollftändig fyftemlos angefertigt ift und weder
Ortsnamen noch auch die häufiger vorkommenden Perfo-
nennamen enthält, fo wird man geliehen müffen, dafs
die Publication nur in fehr unvollkommener Weife den
an eine folche Arbeit zu Hellenden Anforderungen genügt
. Bei Benutzung derfelben ift jedenfalls die äufserfte
Vorficht geboten.

Weimar. H. Virck.

Thieme, Pnvatdoz. Lic, Dr., Aus der Geschichte des Apostolikums
. Ein Vortrag. Leipzig, Dörffling & Franke,
l893- (32 S. 8.) M. —.50.

Die in Th.'s Brofchüre enthaltenen Mittheilungen,
welche er am 1. December 1892 im studentifchen Gu-
ftav-Adolf-Verein zu Leipzig gemacht, beziehen fich nicht
auf die Entftehungsgcfchichte des Ap., fondern auf die
Gefchichte der Beurtheilung und Verwerthung defselben.
Das Auftreten Lorenzo Valla's gegen die Ueberlieferung,
die Zweifel von Erasmus, die Aeufserungen der Gegner
Luthers über die Anerkennung des Ap. durch den Reformator
, die merkwürdigen Schickfale des Ap. im
fynkretiftifchen Streit, welcher wegen der praktifchen
Unionsbeftrebungen des fich auf das Ap. berufenden
Calixt's dem Bekenntnifs bei den ftreng confeffionellen
Theologen feiner Zeit bedeutend gefchadet hat, diefe
verfchiedenen Bilder führt der Verf. in lebendigen
Zügen vor, ohne auf eine fachliche Kritik naher einzugehen
. Th. erhebt nicht den Anfpruch, Neues zu
bieten; einzelne Bemerkungen, die in feine Darfteilung
eingeflochten find, verdienen aber beachtet zu werden, fo
z. B. Seite 27: /Vorn dogmengefchichtlichen Standpunkt
aus wird man diefe orthodoxe Kritik des Apoftolicums
(durch Kalov), die für feine Unechtheit Valla und Erasmus
zu Zeugen anruft, theilweife richtiger finden muffen
als das „Ausftreichen" der Reformatoren'.

Strafsburg i. E. _ p- Lobftein.

Herrmann, Prof. D. W., Worum handelt es sich in dem
Streit um das Apostolikum? Mit befonderer Rückficht
auf D. Cremers Streitfchrift beantwortet. [Hefte zur
.Chriftl. Welt', Nr. 4.] Leipzig, Grunow, 1893. (36 S.
gr. 8.) M. —.40.
Die Schrift Herrmann's befteht aus zwei Theilen,
über welche Ref. ein fehr ungleiches Urtheil ausfprechen

mufs. Der erfte Theil ,Das Apoftolikum und der
evangelifche Chrift' bringt das durch Herrmann mit
unermüdlichem Eifer und ftets bewunderungswürdiger
Frifche vertretene evangelifche Verftändnifs des Heilsglaubens
zur Geltung, indem er aus dem im reforma-
torifchen Sinne gefafsten Glauben die in dem gegenwärtigen
Symbolftreite mafsgebenden Folgerungen zu
ziehen unternimmt; dem Gedankengange und den Er-
gebnifsen des Verf.'s dürfte wohl kein evangelifcher
Chrift feine freudige Zuftimmung verfagen. Viel weniger
befriedigend fcheint mir der zweite Theil: ,Das Apoftolikum
und die Verpflichtung der evangelifchen
I Geiftlichen'. Wenn H. urtheilt, dafs der Erlafs des
I Oberkirchenraths vom 25. November 1892 gerade fo,
wie er ift, unanfechtbar ift, wenn er den Generalfuperin-
J tendenten die Befugnifs überlaffen will, den angehenden
; Geiftlichen darauf zu prüfen, ob das von letzterem ab-
j gelegte perfönliche Bekenntnifs wirklich ein Wort des
| Glaubens fei, wenn er in dem hohen Würdenträger der
Kirche den Chriften von dem Theologen und Privatmann
j ftreng unterfcheidet, jenem alle Gewalt überträgt, diefen
aller Macht entkleidet, fo find mir offen geftanden, ange-
fichts unferer kirchlichen und theologifchen Nothlage,
jene idealiftifch optimiftifche Beurtheilung und der durch
diefelbe eingegebene praktifche Vorfchlag geradezu unbegreiflich
. Wenn manche Gegner H.'s ihn in harten Worten
des diplomatifchenLeifetretens angeklagt haben, fo ift dies
allerdings eine mit dem Judicium cariiatis unvereinbare
, ftreng abzuweifende Verdächtigung, allein dafs
ein fo fcharffinniger Beobachter der Zeichen der Zeit,
ein fo feiner Kenner der Schäden unferer evangelifchen
Kirche, zu einem Mittel greifen möchte, welches nur
dann heilbringend wäre, wenn ein jeder Kirchenfürft eine
lebendige Verkörperung des von Herrmann fo fchön
und mannhaft vertretenen reformatorifchen Glaubens fein
würde, das fcheint mir eine verhängnifsvolle Selbft-
täufchung. Wie die Dinge liegen, ift die wenn auch
mangelhaft geübte Handhabung einer unperfönlichen, in
ftatutarifcher Paragraphenform gefafsten Kirchenordnung
m. E. noch das geringere Uebel, und die Stellung des Geiftlichen
einer folchen gegenüber mufs ich für ficherer,
gefahrlofer und felbft würdiger halten, als die, welche
der Verfaffer fchildert oder anftrebt.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Kawerau, Gull., C. H. Spurgeon, ein Prediger von Gottes
Gnaden. Hamburg, Schriften-Niederlage des chriftl.
Vereins junger Männer, 1892. (70 S. 8.) M. —.80.

Von kundiger Hand wird uns in diefem erweiterten
Vortrag das Bild des am 31. Januar 1892 entfchlafenen
Baptiftenpredigers in feiner Eigenthümlichkeit als Prediger
gezeichnet. Spurgeon fleht in der Gefchichte der Predigt
einzig da; mit feinen Erfolgen in einer 34jährigen Thätig-
keit hält kein Prediger einen Vergleich aus. Er war kein
Rhetor, kein Modeprediger, das Geheimnifs feiner Kraft
war das alte einfache Evangelium von Jefus Chriftus, dem
Heiland der Sünder. Allerdings in englifchem und'inde-
pendentiftifchem Gewände, mit dem Einfchlag alter ftarrer
calvinifcher Theologie, aber Leben aus Gott zeugend,
weil aus Leben in Gott geboren, fo erficht es feine
Siege. In Spurgeon's Perfönlichkeit mifcht fich der Inde-
pendentismus feiner Eltern und deffen Gegnerfchaft gegen
Rom und die anglikanifche Kirche, mit dem Methodismus
feiner Bekehrung, fo dafs er als Zeichen gefegneter Predigt
plötzliche Bekehrungen fordert, mit dem Baptismus feiner
UeberzeugungunddeffenftrengerVerurtheilungderKinder-
taufe. Und doch gilt dem praktifch weitherzigen Chriften
der Vatername an den Stirnen der Gotteskinder, die er in
allen Denominationen fieht, unendlich mehr als der Name
irgend einer Confeffion. Spurgeon ift nicht Laienprediger
aber theologifcher Autodidakt, der jedoch bis an fein
Lebensende forgfältige theologifche Studien trieb. Seine