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Ausgabe:

1893 Nr. 10

Spalte:

265-266

Autor/Hrsg.:

Muff, Chr.

Titel/Untertitel:

Idealismus. 2., wesentlich verm. Aufl 1893

Rezensent:

Kühn, Bernhard

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265

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 10.

266

Ethik können überzeugend nicht genannt werden. Denn
nicht das ift mit dem unbedingten Soll, von dem diefe
redet, gemeint, dafs im Gewiffen eine fchon entwickelte
fittliche Gefetzgebung vorhanden fei, fondern nur dies,
dafs durchs Gewiffen jeder neuerkannte fittliche Inhalt
feine unverbrüchliche Auctorität empfängt. Und wenn
z. B. Zeller a. a. O. S. 179 fagt, dafs die fittlichen Vor-
fchriften zwar ihren Inhalt aus der Erfahrung fchöpfen,
dafs aber ihre verpflichtende Kraft auf allgemeinen, von
jeder Erfahrung unabhängigen Gefetzen des menfchlichen
Geiftes beruhen mufs, fo hat er diefen Satz durch die
voraufgehenden Darlegungen, wie mir fcheint, gegenüber
der Güterethik vollkommen gerechtfertigt. Ueberdies
fpricht auch der Verf. felber von einem inftinctiven Er-
fahrungsgrundfatze bezüglicher Art; mir will es fcheinen,
dafs er in diefem etwas dunkeln Ausdrucke, was er bekämpft
, indirect felbft anerkennt.

Der mir zu Gebote flehende Raum erlaubt es nicht,
eine auch nur kurze Skizze des Inhalts der übrigen
Capitel des Gallwitz'fchen Buches zu geben. Es genüge,
in wenigen Sätzen den jedesmaligen Unterfuchungsertrag
kurz zu bezeichnen.

Zwifchen natürlich und fittlich wird nur ein relativer,
quantitativer Gegenfatz anerkannt; die natürliche Stufe
könne ebenfogut eine höhere als eine tiefere fein. —
Der individuelle Willenszweck fei für den einzelnen der
letzte Zweck. — Die Befchreibung der fittlichen Aufgabe als
Glaube an Chriftus ift fchon oben mitgetheilt. — Was die
Einzigartigkeit Chrifti anlangt, von der das letzte Capitel
handelt, fo fpricht fie nach dem Verf. darin fich aus, dafs
die Sittengefetze, die Jefus aufgeftellt habe, infofern fie
den immanenten Zwecken der Natur entfprächen und
durch dieEntwicklung des natürlichen Lebens gefördert(t)
würden, Naturgefetze feien.

Zum Schluffe will ich dem Verf, gern bezeugen,
dafs die meiften feiner Ausführungen, obfchon fie zu
ftarkem Widerfpruch Veraniaffung geben, den Charakter
grofser Frifche und Selbftändigkeit haben und in der
ethifchen Literatur der Gegenwart erfrifchend wirken
können.

Lennep. Lic. Dr. Thönes.

Muff, Gymn.-Dir. Prof. Dr. Chr., Idealismus. 2., wefentlich
verm. Aufl. Halle a./S., Mühlmann's Verl., 1892. (XI.,
230 S. gr. 8.) M. 4.-

Diefe fehr intereffante populär-philofophifche Studie
ift nicht fowohl ein eigentliches Lehrbuch, als vielmehr
eine jener anregenden und aufklärenden Erörterungen
über wiffenfchaftliche Dinge, wie fie unfer Zeitalter in
fo grofser Zahl hervorbringt: man wendet fleh weniger
an die Gelehrten, um in den Gang der wiffenfehaft-
lichen Unterfuchung einzugreifen, als an die gröfsere
Menge der fogenannten Gebildeten, um fie an der gelehrten
Denkarbeit theilnehmen zu laffen. Aber nicht
alle derartigen Schriften find von fo edler Gefinnung
getragen und beruhen auf fo gereiftem Urtheil, wie die
vorliegende: es ift die wohlbekannte Höhenluft des
chriftlichen Humanismus, wie fie von vielen Gliedern des
deutfehen Gelehrtenftandes in ihrer Jugend geathmet
worden ift, die uns auf Schritt und Tritt umweht, wenn
wir dem Verfaffer bei feiner Gedankenentwickelung
folgen. Es bedarf demnach keiner weitläufigen Ausein-
anderfetzung, was fich der Verfaffer unter Idealismus
denkt und wie er ihn zu Materialismus und Naturalismus
i" Gegenfatz Hellt. Diefe ,Denk- und Anfchauungsweife,
welche an Ideale als an die höchften Lebensmächte
glaubt und lieh in ihren Dienft ftellt', wird nun in den
vier hauptfächlichften Bethätigungsweifen des Menfchen-
geift.es aufgezeigt. Ideal ift alles religiöfe Fühlen und
Glauben, aber freilich mit fehr verfchiedenen Graden
des Auffchwungs und der Erkenntnifs. Es darf nicht

Wunder nehmen, dafs der humaniftifche Gelehrte auf
diefem Gebiete zwar dem Chriltenthum die Palme zuerkannt
und die Angriffe gegen feinen Idealgehalt kräftig
zurückweift, aber mit Vorliebe doch bei der griechifchen
Mythologie verweilt und deren ideale Gedanken von den
erften Anfängen bis zum Höhepnnkt ihrer Ausgeftaltung
weitläufig entwickelt. Das Capitel, welches vom Idealismus
in der Wiffenfchaft handelt, bietet eine zwar fehr
kurze, aber klare und fcharfe Ueberficht über den Ent-
wickelungsgang der Philofophie, die trotz aller Lehrbücher
über deren Gefchichte eine felbftändige und be-
achtenswerthe Bedeutung beanfprucht, und fchliefst mit
einer durchaus anerkennenden Kritik der modernen
Naturwiffenfchaft, deren Streben auch als ideal bezeichnet
wird, natürlich im Gegenfatz zu allen materaliftifchen Folgerungen
, die an ihre Ergebnifse angeknüpft werden. Die
zweite Hälfte des Buches ift der ethifch-äfthetifchen Betrachtung
des Idealismus gewidmet. Hier nehmen wir
manches gern mit in den Kauf, was in Lehrbüchern und
auch in dichterifchen Darftellungen längft gegeben ift,
z. B. die Entwickelnng der Begriffe Freundfchaft und
Liebe; denn Alles, was der Verfaffer fagt, auch die kurz
gehaltenen Abfchätzungen der verfchiedenen Lebensberufe
auf ihren idealen Werth, ift lebensvoll dargeftellt
und in einer Weife aus den verfchiedenen Gebieten der
Gefchichtswiffenfchaft bereichert, dafs felbft der Fachmann
feine Freude daran haben kann. Ein Hauptvorzug
des Buches ift die beftändige Berückfichtigung der Gegenwart
mit ihren Beftrebungen und Leiftungen. Der Verfaffer
ift nichts weniger als blofser Stubengelehrter; er ift
mit dem geiftigen Leben feines Volkes ebenfo vertraut
wie mit der Cultur der Griechen, und verharrt auch in
diefer Beziehung auf dem mafsvollen, aber feft gegründeten
Optimismus, der von feiner ganzen Weltauffaffung
geboten ift. Wir empfehlen das Werk, deffen zweite
Aaflage namentlich in Sachen der neueften Angriffe geg-
nerifcher Richtungen ftarke Vermehrung erfahren hat,
auch dem theologifchen Leferkreis als eine reife Frucht
langjähriger Studien, und es wird dem Genufs bei der
Leetüre keinen Eintrag thun, dafs allerdings ein gewiffes
Bedürfnifs nach ftrengerer fyftematifcher Eingliederung
der chriftlichen Gedanken in das Ganze der Entwickelung
unbefriedigt bleibt.

Dresden. Dr. phil. B. Kühn.

Pfotenhauer, Paft. J., Die Missionen der Jesuiten in
Paraguay. Ein Bild aus der älteren römifchen
Mifflonsthätigkeit, zugleich eine Antwort auf die
Frage nach dem Werte römifcher Miffion, fowie ein
Beitrag zur Gefchichte Südamerikas. Nach den
Quellen zufammengeftellt. 1. u. 2. Tl. Gütersloh,
Bertelsmann, 1891. (gr. 8.) M. 7.60.

Inhalt: 1. Gefchichtlicher Teil. (281 S.) M. 4.—. — 2. Die
Reduktionen und das Leben in denfelben. (223 S. m. 1 Karte.)
M. 3.60.

Wenn heutzutage von ultramontaner Seite die
Jefuiten angepriefen werden als die bellen Aerzte für
die focialen Schäden, fo haben wir ein befonderes Inter-
effe, die Gefchichte ihrer Miffionen in Paraguay näher
anzufehen, wo fie ihre Ideen von Miffion und Cultur,
von Kirche und Staat felbftändig entfalten konnten,
wie fonft nirgends, und der Verfaffer ift für diefe Arbeit
befonders vorbereitet, da er in Warneck's Allgem.
Miffionszeitfchr. 1888 die römifche Miffion am Kongo
nach den Quellen dargeftellt hat, eine Miffion, die ebenfalls
ein klägliches Ende genommen. Von der Kongo-
Miffion fagt er: ,eine plumpere und brutalere Miffion
hat es wohl kaum je gegeben' (I, S. 4), von der Para-
guay-Mifflon: ,die Väter der Gefellfchaft Jefu find be-
fliffen, uns zu zeigen, welch fein fchillernd Gewand man