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Ausgabe:

1893

Spalte:

249-251

Autor/Hrsg.:

Sellin, Ernst

Titel/Untertitel:

Disputatio de origine carminum, quae primus psalterii liber continet, utrum sint condita ante exsilium babylonicum an post Judaeorum reditum e captivitate 1893

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologische Literaturzeitung,

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Kiel.

Erfcheint . Prei-j.

alle 14 Tage. Leipzig. J- C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N2: 10.

13. Mai 1893.

18. Jahrgang.

Theologifcher Jahresbericht, hrsg. von Lipfius,

II. Bd. (Harnack).
Sellin, Disputatio de origine carminum, quae

primus psalterii Uber continet (Budde).
Low, Gelammelte Schriften, 3. Bd. (Schürer).
Hatch, Griechentum und Chriftentum (Schürer).

Lindsay, The progressiveness of modern Christian
thought (Clemen).

Le Conte, Evolution, its nature, its evidences
and its relation to religious thought (Clemen).

Chadwick, Religion ohne Dogma, 1. und 2.
Folge (Wendt).

Müller, Max, Phyfifche Religion (Befier).

Gallwitz, Das Problem der Ethik in der Gegenwart
(Thoenes).

Muff, Idealismus, 2. Aufl. (Kühn).

Pfotenhauer, Die Miffionen der Jefuiten in

Paraguay (Wurm).
Notiz zur Apokalypfe des Paulus (Schürer).

Theologischer Jahresbericht. Unter Mitwirkung von Baur,
Böhringer, Dorner etc. hrsg. von R. A. Lipfius.
11. Bd., enthaltend die Literatur des Jahres 1891.
Braunfehweig, Schwetfchke & Sohn, 1892. (X, 658 S.
gr. 8.) M. 12.—

Diefer 11. Band des Jahresberichts ift noch unter
der Leitung des verewigten Lipfius erfchienen, der den
Abfchnitt ,Th< ologifche Principienlehre' felbft bearbeitet
hat. Unter den vielen Denkmälern, die er uns hinter-
laffen hat und die feinem Namen ein bleibendes Ge-
dächtnifs in der Gefchichte der Theologie ftiften, ift
diefer Jahresbericht, deffen Redaction er mit felbftver-
leugnendem Fleifse acht Jahre geführt hat, nicht das
geringfte. Er hat das Werk von Jahrgang zu Jahrgang
zu immer gröfserer Vollftändigkeit und Unparteilichkeit
geführt und ihm dabei den Charakter einer Schöpfung
der freien proteftantifchen Wiffenfchaft erhalten. Die
Mitarbeiter find diefelben geblieben wie beim 10. Band.
Der Umfang ift um faft vier Bogen gewachfen. Lüdemann
behandelt noch immer die vom Baur'fchen
Schema abweichende Vorftellung von der Entftehung
des Katholicismus als unbegreifliche Thorheit und ,Er-
fordernifs der Clique'. Unter diefem Verdict müffen
felbft völlig Unfchuldige leiden, wie Tfchirn, der m. W.
ein Schüler Weingarten's ift. Lüdemann unterfucht
jedes Buch zunächft auf die Abhängigkeit von ,Ritfehl',
der freilich allmählich felbft eine mythologifche Figur
geworden ift, für alles Unbequeme verantwortlich gemacht
wird und fo eine Art von Poftexiftenz in neuer
Thätigkeit führt. Wo L. nur einen Hauch jenes Geiftes
verfpürt oder zu verfpüren meint, fpricht er feine Ent-
rüftung oder fein Bedauern aus und betrachtet augen-
fcheinlich eine folche Beurtheilung als die für einen
freien Theologen felbftverftändliche. Möge es ihm doch
gefallen, uns endlich einmal zu fagen, was er felbft unter
Judenchriftenthum verfteht, ftatt uns mit eintöniger Ver-
driefslichkeit und unter Infinuationen immer wieder zu
verkündigen, dafs er anderer Meinung fei.

Berlin. A. Harnack.

Sellin, Cand. theol. Dr. Ernlt, Disputatio de origine carminum
, quae primus psalterii über continet, utrum fmt
condita ante exsilium babylonicum an post Judaeorum
reditum e captivitate. Leipzig, Deichert Nachf., 1892.
(VI, 129 S. gr. 8.) M. 2.—

Es ift keine geringe Zumuthung für den Lefer, fich
durch die 129 Seiten diefes Buches durchzuquälen, da es
in einem Latein gefchrieben ift, für das die fchöne Bildung
,terrzMissi»ius' S. 30 als typifch gelten mag. Obgleich

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alle Spuren davon entfernt find, unterliegt es wohl
keinem Zweifel, dafs wir es mit einer Doctordiffertation zu
thun haben. Möchten doch die Facultäten, die den Zopf
der lateinifchen Sprache fefthalten, fie wenigftens gleichzeitig
unter den Prüfungsftoff aufnehmen und nur folche
Arbeiten zulaffen, die den befcheidenften Anforderungen
nach diefer Richtung Genüge thun. Täufcht nicht alles,
fo ift diefe Arbeit mühfam aus einer deutfehen Urfchrift
ins Lateinifche überfetzt; man fieht nicht ein, warum
nicht etwa der erfte Theil zur Befriedigung akademifcher
Anfprüche lateinifch, dann das Ganze deutfeh veröffentlicht
wurde. Wenn nun die Arbeit ziemlich fpurlos vorüberginge
, dürfte fich der Verf. nicht wundern.

Was das Buch will, läfst die Auffchrift bereits er-
rathen; es foll bewiefen werden, dafs die grofse
Mehrzahl der Pfalmen des erften Buches der
vorexilifchen Zeit entflammen; durchgängig wendet
fich die Beweisführung gegen Reufs, Wellhaufen, Stade,
Smend, Giefebrecht, unter den Aelteren Geiger und
Olshaufen. Zu beklagen ift, dafs laut der Erklärung der
letzten Seite Cheyne's umfaffendes Buch nicht mehr benutzt
werden konnte.

Der Gang der Beweisführung, von dem ungelenken,
rein formalen Schema des Inhaltsverzeichnifses befreit,
ift folgender: 1) die Beftimmung (cultifche Abzielung
oder nicht?) und „das Ich der Pfalmen" (S. 13—40),
2) die politifch-fociaien (S. 40 — 67), 3) die religions-
gefchichtlichen Vorausfetzungen (S.67—94), 4) die fprach-
gefchichtlichen Merkmale (S. 94—109), 5) die literarge-
fchichtlichen Anzeichen (Wiederholung und Benutzung)
(S. 110—127), 6) die Auslagen der Ueberlieferung. Man
fieht, eine umfaffende und wohlgegliederte Behandlung
der Frage. Das unglaubliche Verfahren, das Strack vor-
gefchlagen hat, weilt der Verf. mit fchlagenden Gründen
ab (S. 9 f.); von der Ueberlieferung ift er foweit unabhängig
, dafs er die Unbeweisbarkeit der davidifchen Ab-
faffung auch nur eines einzigen Pfalmen und die Unver-
bindlichkeit fämmtlicher Verfaffernamen unumwunden
eingefteht (S. 10 f.). Auch das mufs man billigen, dafs der
Verf. die der fynoptifchen Behandlung zu unterziehende
Gruppe nicht nach inneren Merkmalen zufammenftellt,
fondern fie fich von der Gefchichte der Pfalmenfamm-
lung bieten läfst in Geftalt ihres erften Buches (vgl.
S. 11 f.).

Von einer eingehenderen Beurtheilung der Ergeb-
nifse darf hier abgefehen werden, weil der Berichterftatter
vieles von dem wiederholen müfste, was er hier f. Z.
über Cheyne's Origin of the Pf alter ausgeführt hat. Der-
felbe Mangel, der dort hervorgehoben wurde, dafs die
Gefchichte, die das ganze Buch und jeder einzelne Pfalm
hinter fich hat, nicht berückfichtigt wird (trotz des allgemeinen
Zugeftändnifses S. 128), dafs die Geftalt, in der