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Ausgabe:

1893 Nr. 9

Spalte:

244

Autor/Hrsg.:

Schürer, Emil

Titel/Untertitel:

Zum Cureton‘schen Syrer 1893

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243

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 9.

244

bürg kam, der dort vor ihm fchon eingeführten Liturgie
anbequemt, und dasfelbe habe er gethan, als er 1541
wieder nach Genf kam, er habe auf die Durchführung
feiner eigenen Gedanken verzichtet und im Wefentlichen
die Liturgie beftehen laffen, wie fie durch Farel fchon
eingeführt gewefen fei. Er findet diefes Verfahren
höchft charakteriftifch für Calvin und nennt es geradezu
fein liturgifches Princip; denn diefes Princip fei nichts
anderes als die Freiheit. Nun will ich gar nicht beftreiten,
dafs Calvin in liturgifchen Dingen fehr weitherzig war, und
man wird zugeben müffen, dafs die vorliegende Schrift
fehr gewichtige Belege dafür beibringt; aber fo ganz
pafliv, wie es nach ihrer Darfteilung den Anfchein gewinnt
, hat er fich doch nicht verhalten. In Strafsburg
allerdings fcheint eine fehr ftarke Anbequemung oder
Entlehnung vorzuliegen. Zwar die Gottesdienftordnung
der franzöfifchen Gemeinde, an die Doumergue zunächft
denkt, ift uns nur ungenügend bekannt. Denn der Bericht
eines zeitgenöffifchen Theilnehmers, Gerard Rouffel,
der brieflich darüber erzählt, verbürgt doch keine Voll-
ftändigkeit, und wenn ich das daraus Entnommene mit
der Calvinifchen Ordnung vergleiche, fo finde ich keine
andere Aehnlichkeit, als dafs beidemale Pfalmengefang,
Gebet und Predigt vorkommt. Aber eine weitgehende
Aehnlichkeit befteht allerdings zwifchen der Gottesdienftordnung
der deutfchen Gemeinde von 1534 (Daniel,
cod. lit. II, 137) und dem Gange des Gottesdienstes, wie
ihn die Agende Calvin's vorfchreibt. Denn als folche
betrachtet Doumergue wohl mit Recht: Lamaniere de faire
prieres aux eglises francaises etc., die 1542 erfchienen
und 1878 durch Douen wieder veröffentlicht worden
ift. Wenn auch Calvin damals nicht mehr in Strafsburg
war und nicht felbft der Herausgeber diefer Agende ift,
ftellt fie doch jedenfalls den Zuftand dar, wie er durch
ihn geworden war. Beide Ordnungen haben nun Folgendes
vollftändig gemeinfam: 1. Am Altar oder Abend-
mahlstifch: Sündenbekenntnifs, Abfolution , Salutatio
(Der Herr fei mit euch! ohne Antwort der Gemeinde),
Collecte. 2. Auf der Kanzel: Gebet mit Vaterunfer,
Text, Predigt, Fürbittengebet, aaronitifcher Segen. Die
Calvinifche Agende fchiebt nur noch die Abfingung der
beiden Tafeln des Dekalogs ein, von denen eigenthüm-
licher Weife die eine der Salutatio vorausgeht, die
andere ihr nachfolgt, und fchliefst an das Fürbittengebet
, das in der deutfchen Agende als Litanei behandelt
ift, eine kurze Erklärung des Vaterunfers an:
/V vünistre explique en bref Voraison dominicale. (Man
vergl. dieParaphrafe des Vaterunfers in Luther's Deutfcher
Meffe.) Es fcheint alfo allerdings, dafs fich Calvin an
die in der deutfchen Gemeinde Strafsburgs eingeführte
und von da wohl auch in die franzöfifche übergegangene
Liturgie fehr eng angefchloffen hat, und die öfters fich;
findende Annahme, dafs er eine ganz neue Gottesdienft-.
Ordnung nach eigenen Principien oder nach einer1
,logifchen Idee' gefchaffen habe, erweift fich nicht als
haltbar. — Denn auch in Genf fchuf er nichts Neues.
Zwar kann ich D. nicht Recht geben, wenn er behauptet
, er habe fich einfach an die von Farel fchon
getroffenen Anordnungen anbequemt. Das Einzige, was
in diefer Beziehung gefagt werden kann, ift, dafs er die
Abfolution, die er in Strafsburg auf die ,offene Schuld'
hatte folgen laffen, in Genf geftrichen hat. Er erklärt
auch felbft bei einer fpäteren Gelegenheit, dafs er das
widerwillig und nur aus Opportunitätsgründen gethan
habe. Im übrigen hat er die ganze Gottesdienftordnung
umgeftellt, hat die ,offene Schuld' an den Anfang gefetzt
, während Farel ihr den Platz hinter der Predigt
beftimmt hatte, hat das Credo weggelaffen und den
Pfalmengefang eingeführt. Kann man das eine Anbequemung
heifsen? Wenn D. letztere auch darin
findet, dafs er den Dekalog weggelaffen habe, fo hat
er überfehen, dafs derfelbe nach feinen eigenen Angaben
auch in der Liturgie Farel's vorkommt, und dafs die

Weglaffung fonach allerdings eine Abweichung von der
Strafsburger, aber zugleich auch von der Genfer Ordnung
bildet. Aber wenn auch eine Anbequemung an
Farel fich nicht nachweifen läfst, fo find doch die Genfer
Anordnungen Calvin's von 1542 nichts Neues, es liegt
nicht eine felbftändige Conftruction aus eigenen Principien
in ihnen vor, fie bilden nur die Uebertragung der
Strafsburger Einrichtungen auf Genfer Verhältniffe. Dabei
mag übrigens bemerkt werden, dafs man fich hüten
mufs, in der Strafsburger Ausgabe der Agende Calvin's
vom J. 1545 eine verbefferte Ausgabe oder Fortbildung
feiner Genfer Agende zu fehen, ein Irrthum, in den ich
felbft auch in meiner Schrift über den prot. Cultus
(Augsburg 1890) feinerzeit verfallen bin. Wir haben
vielmehr im einen Fall den Genfer Ritus und im andern
den Strafsburger vor uns, die beide auf Calvin zurückgehe
wenn auch die letztgenannte Ausgabe nicht durch
ihn felbft, fondern durch Garnier beforgt ift, der hierbei
an der Genfer Agende diejenigen Veränderungen vornahm
, die ihr Gebrauch in Strafsburg erheifchte. Richtig
ift jedoch, was auch D. hervorhebt, dafs wir in der Strafsburger
Form den getreueren Ausdruck der liturgifchen
Anfchauungen Calvin's zu erkennen haben. —- Von Druckfehlern
notire ich nur, dafs das Citat aus Calv. opp. auf
S. 265 nicht IV, 198, fondern VI, 197 lauten mufs.

Augsburg. J. Hans.

Zum Cureton'schen Syrer.

Die Notiz in der vorigen Nummer der Theol. Litztg.
(col. 220) ift nach directen Mittheilungen, welche R. H arris
mir hat zukommen laffen, dahin zu ergänzen und zu be-
1 richtigen, dafs zunächft auf Grund der Photographien,
welche die beiden Damen nach Cambridge brachten,
dort von Bensly und Burkitt die nahe Verwandtfchaft
des Textes mit dem des Cureton'fchen Syrer's entdeckt
worden ift. Da die Handfchrift ein Palimpfeft ift und
der urfprüngliche Evangelientext auf den Photographien
nicht hinreichend lesbar war, ging im December des
vorigen Jahres eine neue Expedition nach dem Sinai,
beftehend aus den beiden Damen und den Herren
Harris, Bensly und Burkitt. Die letzteren drei
haben dann den Text entziffert und abgefchneben,
während die Damen Kataloge der fyrifchen und arabi-
fchen Handfchriften anfertigten.

E. Schürer.

Bibliographie

von Bibliothekar Dr. Johannes Müller.

Berlin W., Opernplatz. Königl. Bibliothek.

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Inhalt: Das Oeuteronomium u. die Bücher Jofua u. Richter m. i (färb.) Karte
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