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Ausgabe:

1893 Nr. 9

Spalte:

238-242

Autor/Hrsg.:

Althaus, Paul

Titel/Untertitel:

Die historischen und dogmatischen Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie 1893

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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237 Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 9. 238

Allerdings mufs auch fchon der Titel die Auf-
merkfamkeit fpannen. Zwar nicht um deswillen, weil
der Gedanke, dafs das Naturgefetz auch in der Geiftes-
welt herrfche, in unterer von allerlei philofophifchen
Meinungen durchfchwirrten Zeit noch nicht ausgefprochen
worden wäre. Haben doch dafür befonders die Materia-
liften fchon feit den fünfziger Jahren mehr als ausreichend
geforgt! Aber dafs diefer Gedanke von einem Manne
ausgefprochen wird, der keineswegs, wie fchon die erften
Blätter feines Buches bezeugen, dem religiöfen Nihilismus
zugethan ift, fondern das Chriftenthum vertheidigen will,
mufs Chriften wie Nichtchriften zu näherem Zufehen lebhafte
Veranlaffung geben.

Was aber bietet nun die Drummond'fche Schrift
näher? Auf diefe Frage giebt der Verfaffer felbft im
Vorworte die Antwort: ,Die eigentliche Aufgabe, die ich
mir gehellt habe, kann in einem Satze ausgedrückt
werden: »Ift nicht die Annahme begründet, dafs viele
Gefetze der geiftigen Welt, von welchen man bisher der
Meinung war, fie gehörten einer dem Naturreiche ganz
fremden Sphäre an, einfach die Gefetze der Naturwelt
find? Können wir die Naturgefetze oder irgend eins von
ihnen in der geiftigen Welt wiederfinden?«' (S. III u. IV).

Drummond bejaht diefe Frage dahin, dafs das Naturgefetz
auch im Bereiche der geiftigen Dinge walte, und
der Hauptzweck feines Buches fei der Nachweis, dafs
fchon jetzt für einige der hervorragend charakteriftifchen
Ei fcheinungen der geiftigen Welt einige wohlbekannte
Gefetze von der Hand der Wiffenfchaft als die Radien
nachgewiefen feien, durch welche fie mit allen übrigen
Erfcheinungen des Dafeins in einem gemeinfamen Mittelpunkte
vereinigt würden. Sein Buch werde den Verfuch
enthalten, einige der einfachften Thatfachen des geiftigen
Lebens in biologifcher Ausdrucksweife und fomit in
neuer Form darzuftellen (S. 21).

Zwar verhehlt fich Drummond nicht, dafs die Anwendung
des Naturgefetzes auf das geiftige Gebiet ihre
beftimmten und nothwendigen Schranken habe, und dafs
es Gebiete der Theologie gebe, die fich dem Urtheils-
fpruche der Wiffenfchaft vollftändig entzögen. Das
Dafein Gottes z. B. würde er nicht mittels biologifcher
Formeln zu beweifen verfuchen (S. 26). Allein er meint
doch, dafs es andere theologifche Gebiete gebe, in
welchen die Natur wohl befähigt fei, fowohl den Inhalt
als die Grenzen gewiffer Glaubensfätze zu beftimmen
(S. XVI u. XVI1). Ja er fleht nicht an, die Ueberzeugung
auszufprechen, dafs die Naturgefetze durch die ganze
geiftige Sphäre hin walteten, und zwar nicht etwa in veränderter
Geftalt, fondern unverändert, fo wie fie feien
(S. 33). Das ganze Weltall fei vom Gefetze der Conti-
nuität durchwaltet (S. 34), und wie die Naturgefetze das
Weltall des Raumes und des Stoffes durchherrfchten, fo
durchherrfchten fie auch das Weltall des Geiftes (S. 38).
Dafür fpreche auch die Anwendbarkeit von Gleichnifsen
zwifchen der natürlichen und geiftigen Welt. Denn die
parallelen Erfcheinungen in beiden Gebieten könnten
nicht etwa auf analogen, fondern müfsten auf identifchen
Gefetzen beruhen (S. 40).

Man könnte fich denken, dafs auch ein von blofs
wiffenfchaftlichem Intereffe geleiteter kundiger Mann fich
habe veranlafst finden können, auf die Thatfachen des
religiöfen Lebens die Gefetze der wiffenfchaftlichen
Biologie einmal anzuwenden, und auch Drummond bekennt
, dafs Herbert Spencer's ,Biologifche Gefellfchafts-
lehre' und Walter Bagehot's ,Phyfikalifche Politik' ihm
als Beifpiele für fein Unternehmen vorgefchwebt hätten
(S. X). Allein er bekennt fich doch auch zu einem
apologetifchen Intereffe, dem er den charakteriftifchen
Ausdruck giebt, das Naturfieber, an dem der heutige
religiöfe Unglaube leide, könne nur durch mehr Natur
geheilt werden (S. XIX). Es bedürfe der Enthüllung des
Natürlichen im Uebernatürlichen. Wenn das Ueber-

natürliche als etwas Natürliches dargelegt werden könne,
fei der Unglaube wiffenfchaftlich verurtheilt (S. 30).

Die Frage ift nun, ob es Drummond gelungen ift,
das Uebernatürliche als etwas Natürliches darzuthun.
Den Verfuch dazu hat er möglichlt weit ausgedehnt,
indem er im 1. Auffatze mit der Wiedergeburt beginnt
und in fpäteren Abhandlungen fogar auch den Tod und
das ewige Leben in den Kreis feiner Betrachtung hineinzieht
. Man wird auch nicht leugnen können, dafs es
ihm gelungen ift, aus dem Gebiete des natürlichen Lebens
einerfeits und dem des geiftlichen Lebens andererfeits
eine Fülle von Erfcheinungen geiftvoll vergleichend neben
einander zu ftellen, die über das Mafs deffen, was das
Bibelwort in feinen Gleichnifsen und Bildreden darbietet,
weit hinausgeht. Aber ebenfowenig wie es einft Schleiermacher
gelungen ift, die Identität von Sittengefetz und
Naturgefetz nachzuweifen, dürfte Drummond feine Behauptung
, dafs Naturgefetze auch das Weltall des Geiftes
durchherrfchten, zur Anerkennung bringen. Und zwar
um fo weniger, als er fich auf eine genauere und prin-
cipielle Erörterung der bezüglichen Fragen nach dem
Charakter feines Buches gar nicht einläfst.

Der Verfaffer ift ohne Zweifel ein fehr kenntnisreicher
Mann, der auch wegen feiner überall in feinem
Werke fich kundgebenden tief frommen Gefinnung die
höchfte Achtung verdient. Aber feine apologetifche
Bemühung wird die wiffenfchaftlichen Gegner kaum überzeugen
, die einen nicht, weil er in der Welt, die er
fchildert, Geheimnifse zuläfst, die fie nicht anerkennen
mögen, die anderen nicht, weil fie urtheilen werden, die
Welt der Freiheit dürfe mit dem Mechanismus der
Naturgefetze nicht in fo enge Verbindung gebracht
werden, als er fie annehme.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Alt ha us, Palt. Paul, Die historischen und dogmatischen
Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie. Vortrag, gehalten
auf der 50. lutheiifchen Pfingftkonferenz zu
Hannover am 16. Juni 1892. Hannover, H. Feefche,
1893. (III, 102 S. gr. 8.) M. 1. 50.

Man wird es durchaus verftehen, dafs die Verfamm-
lung, welche den Vortrag des Verfaffers mit angehört
hat, die Veröffentlichung desfelben durch den Druck
begehrt hat. Denn Althaus hat eine fehr forgfältige
und gehaltreiche Arbeit geliefert, die jetzt, wo fie im
Druck mit allen Anmerkungen und literarifchen Nachweifen
zugänglich geworden ift, auch von Liturgikern
von Fach dankbar aufgenommen werden kann, da die
reiche Belefenheit, über welche Althaus verfügt, mannigfache
Frucht bietet. Diefes Lob möchte ich um fo
klüftiger voranftellen, je mehr ich mich in der Lage befinde
, die vom Verf. befolgte Methode und auch wefent-
liche Stücke feiner Refultate zu beanftanden. Der Verf.
fchlägt nämlich den Weg ein, dafs er Luther's Taufbuchlein
von 1526 als das zunächft gefchichtlich berechtigte
Taufritual der luthenfchen Kirche feinen Erörterungen
zu Grunde legt und fich wefentlich die Fragen
ftellt: Welche Stucke desfelben find abfolut unbrauchbar?
wie weit läfst es fich mit weitherziger Interpretation auch
heute noch gebrauchen? an welchen Punkten bedarf es
etwa einer Ergänzung? Er ftellt fich fomit von vornherein
die Aufgabe, von diefem Taufbüchlein foviel wie
möglich zu retten, nur eine vorfichtige neue Redaction
desfelben zu bieten; und mit Hülfe einer noch näher
zu beleuchtenden Interpretationskunft gelangt er zu dem
Ergebnifs, dafs mit einigen Modificationen (z. B. Fort-
laffung des Exorcismus, Hinzufugung einer Lection der
Stiftungsworte, der Taufrede und Pathenadmonition)
Luther's Taufbüchlein auch für künftige Zeiten der
lutherifchen Kirche als das Normalrituale zu gelten habe.
Ich fehe hier einen Fehler in der Methode und zwar