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Ausgabe:

1893 Nr. 8

Spalte:

220

Autor/Hrsg.:

Nestle, Eberhard

Titel/Untertitel:

Der Cureton‘sche Syrer ganz wiedergefunden 1893

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219

Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 8.

220

auf äufseren Umftänden beruhender war. Vielmehr find
es innere, wirkliche Vorzüge, durch welche die Predigtweife
R.'s ausgezeichnet ift. Als folche dürften namentlich
drei hervorgehoben werden: I. ein grofses Gefchick
in gründlicher, feiner und ungezwungener Textverwendung
, 2. eine fehr glückliche Hand in der Bildung und
Formulirung der Dispofition, 3. eine edle, gehobene,
ungekünftelte, warme und lebendige Ausdrucksweife.
Allerdings fcheinen mir die hier vorgelegten Predigten
ungleich zu fein, wie fie denn auch aus verfchiedenen
Jahren flammen und theils in den früheren Pfarrämtern,
die der Verf. bekleidet hat, theils in der Univerfitäts-
kirche zu Leipzig gehalten worden find. So kommt mir,
um nur Einiges herauszuheben, die homiletifche Ver-
werthung der Pfingflerzählung von Apg. 2 weniger glücklich
und richtig vor und ähnlich möchte ich die Predigt
vom 4. Advent über Jef. 12, 1—6 beurtheilen, obwohl
auch in diefer eine naheliegende KünfUichkeit und Gezwungenheit
glücklich vermieden ift. An derfelben Predigt
beanftande ich auch die Dispofition; ,Unfer Advents-
lobgefang an der Pforte des Weihnachtsfeftes: Gott ift
mein Heil und meine Stärke und mein Pfalm. 1) Gott
ift mein Heil — ich bin ficher und fürchte mich nicht.
2) Gott ift meine Stärke — ich fchöpfe mit Freuden
Waffer aus dem Heilsbrunnen. 3) Gott ift mein Pfalm
— ich danke dem Herrn und predige feinen Namen'.
Das ift doch viel zu künftlich, altmodifch aufgeputzt,
der Gedankengehalt dem Wortaufwand nicht entfprechend.
Weit zahlreicher jedoch find die gut gedachten und hübfch
formuhrten Dispofitionen wie z. B. die vom 2. Oftertag
(Luc. 24, 13—35): ,Der wunderbare Oftergang des auf-
erftandenen Heilandes mit den beiden Jüngern... 1) er
will fie tröften — und doch fchilt er fie, 2) er will fich
ihnen offenbaren — und doch verhüllt er fich, 3) er will
bei ihnen bleiben — und doch verfchwindet er'. Hier
überwiegt, wie man fieht, die Analyfe. Aber auch rein
fynthetifche und dabei höchft einfache Difpofitionen weifs
R. zu bilden, fo am 1. Sonnt, n. Epiph. (Mt. 3, 13—17):
,Die Taufe Chrifti im Jordan. 1) ihre Bedeutung für das
Leben Chrifti, 2) für das Leben der Chriften'; ebenfo
am letzten n. Epiph. über Mt. 17,1—9. Dagegen dürfte
die fonft fehr gefchickt formulirte Dispofitionsankün-
digung in der vortrefflichen Miffionspredigt an Epiph.
S. 81 wohl allzu complicirt fein. Der Verfaffer fagt in
der Vorrede fehr befcheiden, dafs er fich der engen
Grenzen bewufst fei, in welchen feine, einfeitige, Predigtweife
fich bewege, und deshalb nicht daran denke, fie
als homiletifches Mufter aufzuftellen. Ich habe ihn in
den genannten Punkten doch ziemlich vielfeitig gefunden,
einfeitig nur in dem Einen, worin man einfeitig fein mufs,
in der ernften Bemühung, ftets aus dem Texte heraus zu
predigen. Ein anderes allerdings fcheint ihm nicht gegeben
oder von ihm nicht beabfichtigt zu fein, welches
mir für die heutige Gemeinde, befonders einer Stadt,
unerläfslich dünkt: die Berückfichtigung der vielfachen
Zweifel an Dogma, Ueberlieferung, Bibel u. f. w. Wir
muffen, glaube ich, derartiges vorausfetzen und auch
irgendwie darauf eingehen; eine gewiffe apologetifche
Haltung ift, zumal an Feiten wie Himmelfahrt oder

würde dann einem andern weichen müffen, der vielleicht
weniger kirchlich, aber um fo mehr natürlich wäre. Doch
was rechte ich mit dem Prediger, der mit Recht feiner
Art und Begabung folgt? Diefe ift fo erfreulich, dafs
wir ihm für feine Gabe nur Dank fagen und ihr weite
Verbreitung wünfchen können. — An Druckfehlern ift
mir aufgefallen S. 335 Z. 3 v. u. .Weder' ftatt .Werde',
S- 355 Z. 7 v. ob. ,des' ftatt ,die'. In Beziehung auf den
Ausdruck mufs ich beanftanden S. 145 Z. 18 v. u. .abhängig
machen durch etwas' u. S. 282 u. 299 die Wendung
,von allein' etwas thun. Von den für alle Zeiten gültigen
.grofsen Heilsthatfachen unteres Gottes', die im
Apoftolicum bekannt werden, S. 356, dürfte doch min-
deftens die Höllenfahrt auszunehmen fein.

Heidelberg. Baffermann.

Der Cureton'sche Syrer ganz wiedergefunden.

J. B. Harris fchreibt mir, mit der Ermächtigung,
es zu veröffentlichen, dafs zwei ihm befreundete Damen,
Mrs. Lewis und Mrs. Gibfon, beide Arabifch und
Neugriechifch fliefsend fprechend, von ihm im Hand-
fchriften-Photographiren unterrichtet, im vorigen Jahre
auf dem Sinai eine alte fyrifche Palimpfeft-Handfchrift
gefunden haben, zwifchen 300 und 400 Seiten, die einen
dem Cureton'fchen Syrer nächft verwandten Text enthält
. Harries felbft ging wieder zum Sinai; in 40 Tagen
entzifferten fie nearly the whole of the four Gospels. Als
Mrs. Lewis die Handfchrift erftmals fah, war fie in
traurigem Zuftand, alle Blätter zufammengeklebt, voll
Schmutz. Ueber dem Dampf eines Keffels hat fie die
Blätter auseinandergelöft, das Ganze photographirt. Die
Evangelien haben die viel befprochene Ueberfchrift
^Separate Gospels'; der Schlufs des Marcus fehlt, auch
viele fonftige Zufätze des Cureton'fchen Textes. Harris
fchliefst (Suez, 30. März): In fact the Lewis Codex is the
most important find since Tiscliendorf 's great discovery.
Da er bereits auf dem Rückweg nach Cambridge ift,
wird man bei feiner Energie nicht lange auf genauere
Mittheilungen warten müffen. Einftweilen freue ich
mich, diefe hier machen zu dürfen.

Tübingen, 6. 4. 93. E. Neftle.

__1--1--1__

Berichtigung.

Am Schluffe meiner Anzeige über Chwolfon's neuefte Schrift
(Th. Litztg. Nr. 7) ift derfelbe als jüdifcher Gelehrter bezeichnet. Er ift
aber, wie ich aus ficherer Quelle erfahre, fchon vor geraumer Zeit zur
griechifch-orthodoxen Kirche übergetreten.

E. S c h ü r e r.

Bibliographie

von Bibliothekar Dr. Johannes Müller.

Berlin W., Opernplatz, Königl. Bibliothek.

iCcurfchc 'iircrarur.

Zoll mann, Theologie u. Nationalökonomie. Leipz., Wallmann, 1895.

(23 S. gr. 8.) -.30
Ahrendt, C, Die Entwickelung der Theologie in den letzten 75 Jahren.
Leipz., Akadem. Buchh., 1893. (21 S. gr. 8.) —. 80

Xn"" "S . "*". 1 "-"*-**, """"'»"»"> V"V. I Ulrich-Kerwer, G. W„ Biblifche Jünglingsbilder in zwanelofen Rahmen.

Oftern oder Innitatis, heute nicht zu umgehen; damit | Gütersloh, Bertelsmann. 1802. (VII. 422 S. 8.1 2. 20: «b. 4.-;

Gütersloh, Bertelsmann, 1893. (VII, 432 S. 8.) 3. 20; geb. 4.

wird freilich ein gewiffes Mafs von kntifchem Sauerteig auch in 23 einzelnen Hftn. a —. 20

nothwendig verbunden fein. Wenn man nur immer fo Siegfried, C, u. B. Stade, Hebräifches Wörterbuch zum Alten Tefta-

redet, als Wäre alles in befter Ordnung und hätte niemals mente. Mit 2 Anhängen: I. Lexidion zu den aramäifchen Stücken

lemand anders gedacht, fo gleitet folche Predigt leicht d- Alten Teftamentes. II. Deutfch-hebr. Wörterverzeichnis. Leipz.,

an der heutigen Gemeinde ab. weil fie fich in ihre Vor- n.. nf, .& 2?°-. '»93. .(VIII, 978 s. Lex..^ 18 -sif*. *<>--.-

" ,, ö. 1 . • e~ x» 1 n.i , • . 11 Dufterdieck, F., Sociales aus dem alten Teftamente. Vortrag, itan-

ftellung gar nicht einfugt. Manches Bibelcitat, auch dann nover> Schmorl & v. Seefeld Nachf., 1893. (31 S. gr. 8.) —. 50

und wann eine der zahlreichen, übrigens gefchickt ein- | Hackenfchmidt, C, Licht-u. Schattenbilder aus dem Alten Teftament.

gefügten Liedftrophen könnte ich miffen für einen folchen ! Gütersloh, Bertelsmann, 1893. (III, 140 S. 8.) 1. 20; geb. 1. 80

der heutigen Denkweife, wie fie aufserhalb des Gotteshaufes . Hirfch, S. RDer Pentateuch Ueberf. m «»»'«J- »■ ™;: ™« G«"

überall herrfcht, entgegenkommenden Gedanken. Dadurch fHeb™kh »• deotfch.) Frankf. a/M., Kauffmann, ,893. (563 S.

würde manche dieler Predigten wohl etwas erhalten was clemeilf'A-> Der Gebrauch d. alten Teftamentes im Neuen Teftamente

lie jetzt nicht haben: das heffelnde, Packende. Manch , a) ,„ den Reden jefu (Kortfetzung), b) bei den Ezangeliften. Progr.

traditionelle Wendung, mancher nur eben übliche Gedanke ; Grimma, [Genfei], 1893. (39 s- gr-4-) 1.60