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Ausgabe:

1893

Spalte:

183-186

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Theologie oder geschichtliche Darstellung der Lehren Jesu und des Urchristenthums nach den neutestamentlichen Quellen. 2 Bde 1893

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 7.

184

(S. 59—67). Letztere ifl freilich auch fehr problematifch;
treffend dagegen iff der Nachweis zu Joh. 18,28, dafs
das Betreten eines heidnifchen Haufes nicht nur (wie
Viele behauptet haben) bis zum Abend verunreinigte,
fondern eine Verunreinigung fchwereren Grades war,
welche heben Tage dauerte (vgl. mein Programm über
mayslv zd näayu 1883, S. 23 f.).

In einem umfangreichen Anhang behandelt Chwolfon
(S. 85—125) ,DasVerhältnifs der Pharifäer, Saddu-
cäer und der Juden überhaupt zu Jefus Chriftus
nach den mit Hilfe rabbinifcher Quellen erläuterten Berichten
der Synoptiker'. Die Abheilt ift, das pharifäifche
Judenthum und das Chriftenthum als in fchönfter Harmonie
flehend darzuthun. Zwifchen der Predigt Jefu und den
pharifäifchen Anfchauungen über Moral und Religion
beliehen keine Differenzen; im Grunde auch nicht in
der Stellung beider zum Gefetz (denn die Polemik Jefu
richtet fich nur gegen einzelne Auswüchfe, die auch das
pharifäifche Judenthum keineswegs durchweg gebilligt
hat). Die eigentlichen Feinde Jefu waren die Sadducäer.
Sie hatten damals die Macht und he haben aus politifchen
Motiven die Hinrichtung Jefu betrieben. Dies alles ift
ja nicht gerade neu; aber es ift ein neuer Beleg dafür,
wie fchwer es auch einem nach unbefangenem Urtheil
trachtenden jüdifchen Gelehrten ift, die principielle Differenz
zwifchen Judenthum und Chriftenthum zu erfahren.

Kiel. E. Schürer.

Beyschlag, Prof. Dr. Willib., Neutestamentliche Theologie

oder gefchichtliche Darfteilung der Lehren Jefu und
des Urchriftenthums nach den neuteftamentlichen
Quellen. 2 Bde. Halle a/S., Strien, 1891—92. (VIII.
410 u. III, 540 S. gr. 8.) M. 18. —

Wie Beyfchlag's Leben Jefu, fo ift auch feine nunmehr
fertig vorliegende Neuteftamentliche Theologie eine
reiche Gabe, eine .Lebens- und Lieblingsarbeit', welche
feine Schüler und Lefer mit warmem Danke begrüfsen
werden. Seit dem Reufs'fchen Buche, welches B. als die
,vielleicht geiftvollfte, wenn auch nur fkizzenhafte Behandlung
des Gegenftandes, die wir befitzen', bezeichnet,
ift kein Werk erfchienen, welches die religiöfen und fitt-
lichen Gedanken des N. T.'s in folch vollendeter Form,
fo frifch und lebendig, fo geift- und gefchmackvoll zum
Ausdruck bringt. Es begegnen uns hier alle Eigen-
fchaften des rühmlich bekannten Schriftftellers, welcher
nicht nur die fchwierigften und verwickeltften Probleme
mit Klarheit zu entwirren und mit Eleganz darzuftellen
weifs, fondern es auch in meifterhafter Weife verfteht, durch
innere Congenialität, feines Nachempfinden und äfthetifche
Geftaltungskraft die uns oft fremd zumuthende Gedankenwelt
der neuteftamentlichen Verfaffer uns nahe
zu bringen und diefelbe als unmittelbare Gegenwart uns
miterleben zu laffen. Ja der Zauber einer folchen Vir-
tuofität ift mitunter fo ftark, dafs der durch den Reiz
der Darftellung gefeffelte Lefer nicht feiten in Gefahr
geräth, die Klippen zu überfehen, welche die B.'fche
Behandlungsweife des neuteftamentlichen Stoffs unleugbar
in fich birgt. Je höheren Werth man der bei uns
zu oft unterfchätzten Sorge um Form und Stil beilegt,
um fo mehr mufs man fich Gewalt anthun, auch der
Kritik des Inhalts und der Controle über Methode und
Ergebnifse ihre Rechte einzuräumen.

B.'s Neuteftamentliche Theologie ift ein, gewifs Allen
höchft willkommener, Erfatz für feine 1865 erfchienene,
ieit Jahren vergriffene .Chriftologie des NeuenTeftaments'.
In diefer Erweiterung und Neugeftaltung des urfprüng-
lichen, mehr apologetifch gehaltenen Vernichs hat der
Verf. zunächlt den Ertrag feiner Einzeldarftellungen und
-Unterfuchungen zufammengefafst. Er vertritt dabei im
Wefentlichen die feinen Lefern bereits bekannten Pofi-
tionen; feine Stellung zum fynoptifchen Problem und zur

johanneifchen Frage ift diefelbe geblieben; feine im
Altenburger Vortrag und in der ,Chriftologie' geltend
gemachten chriftologifchen Plrkenntnifse hält er mit un-
wefentlichen Modificationen feft; an feiner zu wiederholten
Malen und in verfchiedener Form vertheidigten
Auffaffung des Jacobusbriefes als eines urchriftlichen
Denkmals aus der vorpaulinifchen Zeit ift er nicht irre
geworden; die feit Vifcher aufgetauchten Plypothefen
über Charakter und Urfprung der Apokalypfe find ihm
.vermeintliche Entdeckungen eines verirrten Scharffinnes',
im Gegenfatz zu welchen er die Einheitlichkeit des
Buchs und feinen durch die Geftalt des Nero redivivus be-
herrfchten hiftorifchen Hintergrund behauptet. Dafs in-
deffen B. an feinen eigenen Unterfuchungen und Ergeb-
nifsen Kritik geübt und fich vor Retractationen nicht
fcheut, erhellt aus zahlreichen, auf exegetifche, hiftorifch-
kritifche und biblifch-theologifche Gegenftände bezüglichen
Aenderungen, ich erwähne beifpielsweife die Erklärung
der Selbftbezeichnung Jefu ,Menfchen-Sohn' I,
59; das Urtheil über Abfaffungszeit und Empfänger des
erften Petrusbriefs I, 369; die Erklärung der berühmten
chriftologifchen Philipperftelle, II, 75 f. u. f. w.

Die Lehre Jefu ftellt B. nach einer doppelten Quelle
dar, zuerft nach der fynoptifchen Ueberliefeiung, die
fich durch ,eine gröfsere Unmittelbarkeit und reichere
Mannigfaltigkeit' kennzeichne, hierauf nach dem Johannesevangelium
, welches ,bei aller Freiheit und Subjcctivität
dennoch das ideell treuefte Abbild und Denkmal Jefu
bleibe, das ein Einzelner zu fchaffen vermochte'. Als
Urkunden für die ,urapoftolifchen Anfchauungen' ver-
werthet er die Apoftelgefchichte, in deren erftem Theile
j die ,befonnene Kritik' einen ,ebenfo fetten hiftorifchen
I Boden findet, wie in den Evangelien', den Jacobusbrief
und den erften Petrusbrief; letzterer ift allerdings ,unter
paulinifchen Anregungen' entftanden, weift aber daneben
einen fo felbftändigen Typus, ein fo ,einfaches urapofto-
lifches Gepräge' auf, dafs diefe Stellung vor der paulinifchen
Theologie dem Verf. gerechtfertigt fcheint. Aus
den Urkunden der paulinifchen Lehre fcheidet B. die
Paftoralbriefe aus, welche er am Schluffe feines Werkes,
nach dem Judas- und dem zweiten Petrusbrief behandelt;
dagegen liegt nach ihm kein Grund vor, den Lehrgehalt
der Theffalonicherbriefe oder der .Gefangenfchaftsbriefe'
von dem der vier grofsen Hauptfehreiben zu trennen;
vielmehr ,dient die Zufammenfaffung dazu, die kritifchen
Anfechtungen der kleineren Briefe in ihrer Schwäche
vor Augen zu ftellen'. Unter den Titel der .fortgebildeten
urapoftolifchen Lehrweifen' ftellt B. den Lehrgehalt des
Plebräerbriefes, der Apokalypfe und der johanneifchen
Briefe, beziehungsweife des vierten Evangeliums.

Zweifellos will B. mit feinen Ausführungen in die
wiffenfehaftliche Erörterung der Gegenwart eintreten. Von
diefer Seite her wird jedoch eine zwiefache Ausheilung
gegen ihn erhoben werden, welcher er indeffen felber
vorzubeugen fucht. Einmal hat er ausdrückliche Auseinan-
derfetzungen mit anderen Anflehten auf feltene Fälle be-
fchränkt und möglichft in die Anmerkungen verwiefen; eine
Ausnahme macht B. nur hinfichtlich des .vielgelefenen'
Buchs von Weifs, dem der Verf., bei aller Verfchiedenheit
der Behandlungsweife und allen Differenzen im Einzelnen,
ungefchmälerte Anerkennung zollt (1,16). Andererfeits will
fichB. mit einer .andeutenden exegetifchen Begründung
begnügen, die allein Sache einer biblifchen Theologie
fein kann'; dadurch hat er den z. B. durch Immer be-
j gangenen Fehler vermieden, welcher an vielen Stellen
j feiner Neuteftamentlichen Theologie die exegetifche und
die hiftorifche Aufgabe vermifcht.

Das ganze Werk beherrfcht ein fteter doppelfeitiger
Gegenfatz, welcher den Standpunkt des Vcrf.'s mit voller
Klarheit charakterifirt. Einmal fühlt er fich ,zu dem
modernen Kritizismus, wie er feit Baur weite theologifche
Kreife beherrfcht, in gründlicher Gegnerfchaft';
dann bekämpft er ,die vermeintliche Orthodoxie unferer