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Ausgabe:

1892 Nr. 5

Spalte:

143-144

Autor/Hrsg.:

Wiese, L.

Titel/Untertitel:

Der evangelische Religionsunterricht im Lehrplan der höheren Schulen 1892

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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143

Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 5.

144

eintreten laffen und unfere fonntäglichen Texte eine
Zeit lang der Lebensgefchichte unteres Heilandes entnehmen
. Und zwar wählen wir uns aus dem erften der
vier Evangelien diejenigen Abfchnitte aus, welche dem
Evangeliften Matthäus eigenthümlich find'. Im Uebrigen
mufs ich fagen, dafs ich noch keine Auslegung der Bergpredigt
in Predigtform kennen gelernt habe, die mich
fo fehr befriedigt hätte, wie die vorliegende. Es ift vor
allem eine wirkliche Auslegung. Der Verfaffer will den
urfprünglichen Sinn der Worte Jefu ermitteln, nicht blofse
Reflexionen aus ihnen herausfpinnen, wie fie ihm gerade
praktifch erfcheinen, aber es wird alles fofort praktisch gewendet
, nie haben wir den Eindruck einer trockenen Exegefe,
der Predigtcharakter kommt vollkommen zu feinem Recht
und die Gemeinde empfängt, was fie zu ihrer Erbauung
bedarf. So glaube ich, dafs wir die beiden Sammlungen
, deren Anzeige diefe Zeilen gewidmet find, als
dankenswerthe Gaben bezeichnen dürfen, befonders aber
die Stockmeyer'fchen Predigten als eine werthvolle Bereicherung
der homiletifchen Literatur zu betrachten
haben.

Augsburg. J. Hans.

Jahresberichte über das höhere Schulwesen, hrsg. von Conr.
Rethwifch. V. Jahrg. 1890. Ergänzungsheft. Evan-
gelifche Religionslehre von Prof. Dr. Leop. Witte.
Berlin, Gaertner, 1891. (47 S. gr. 8.) M. I. —

In dem Ergänzungsheft zum Jahresbericht von Rethwifch
befpricht D. Witte etwa 60—70 literarifche Er-
fcheinungen aus dem Gebiete des evangelifchen Religionsunterrichts
, einzelne davon in recht eingehender
Weife. In der Rubrik ,Der Unterrichtsbetrieb' empfiehlt
er die aufblühende ,Zeitfchrift für den evangelifchen
Religionsunterricht von Fauth u. Köfter' und behandelt
ausführlicher, und zwar ablehnend, die Reformfchriften
Dr. Wiefe's und Schöler's, fowie lebhaft empfehlend die
Katechetik von D. Buchrücken Sodann berichtet er
über die erfchienenen Lehrmittel: etwa 10 ,allgemeine
Lehrbücher', 13 Schriften ,zum Katechismus', gegen 20
Schriften ,zur biblifchen Gefchichte und Bibelkenntnifs',
20 Schriften zur Kirchengefchichte, endlich 9 Schriften
unter der Ueberfchrift ,Schulandachten. Kirchenlied. Erbauliches
'. Man fleht, dafs der Inhalt des Berichtes,
wenn auch nicht erfchöpfend, fo doch reichhaltig ift.
Der Ton ift überall würdig, glücklicherweife gegenüber
wirklich mangelhaften Erzeugnifsen auch von der nöthi-
gen Schärfe. Einige der befprochenen Schriften flehen
wohl an der Grenze der eigentlichen Schulliteratur, z.
B. Rinn, , Schleiermacher und feine romantifchen
Freunde', Braun, ,Welche Aufgaben ftellt der inneren
Miffion die Eigenthümlichkeit der gegenwärtigen Zeitlage
?', Jofephfon, ,Die evangclifche Askefe'. Mein abweichendes
Urtheil in einzelnen Fällen hier zur Geltung
zu bringen, hat keinen Zweck. Gegenüber einer Bemerkung
auf p. 9 bemerke ich, dafs die Vordatirung
der im letzten Quartal erfcheinenden Bücher auf das
folgende Jahr eine weitverbreitete Sitte der Verleger ift.

Magdeburg. W. Bornemann.

Wiese, Dr. L., Der evangelische Religionsunterricht im
Lehrplan der höheren Schulen. Anhang der 2. (im
wefentlichen unveränderten) Aufl. Berlin, Wiegandt
& Grieben, 1891. (S. 89—128. 8.)

Die höchft intereffante und bedeutende Reformfchrift
Dr. Wiefe's über den Religionsunterricht ift im Jahrgang
1890 Sp. 551 ff. diefer Zeitfchrift von mir charakterifirt und
beurthtilt worden. Wie es bei dem Inhalt der Schrift und
dem Anfehen des ehrwürdigen Verfaffers zu erwarten
war, hat fein Büchlein weit über die Kreife der Religionslehrer
und Schulmänner hinaus die Geifter auf das
Lebhaftefte bewegt. So ift fchon im vorigen Sommer
eine zweite Auflage erfchienen, im wefentlichen unverändert
, aber mit einem Anhange von 40 Seiten ver-
fehen. In demfelben fetzt fleh Dr. Wiefe in der ihm
eigenen feinen, warmen und fachlichen Weife mit denen
auseinander, die feinen Vorfchlägen mit Bedenken und
abweichenden Urtheilen entgegengetreten find. Dadurch
ift der Anhang zu einer wefentlichen Bereicherung der
Schrift felbft geworden, auch wenn der Verfaffer faft
überall feinen früheren Standpunkt ftreng beibehält,
völlig neue Geflchtspunkte kaum vorbringt und nur die
einzelnen Stücke feines Planes hie und da gegen
Mifsdeutungen verwahrt und in eine neue Beleuchtung
rückt. Es mag fein, dafs D. Wiefe's Schrift zuerft
von Vielen nicht völlig verftanden ift, dafs man bei der
Beurtheilung ihm allerlei Confequenzen, die er felbft ablehnt
, zugefchoben, auch wohl zuweilen mit unberechtigter
Schärfe geantwortet hat. Trotzdem glaube ich,
dafs feine bisherigen Gegner den gröfsten Theil ihrer
Bedenken auch jetzt noch aufrecht erhalten werden.
Da aber die Angelegenheit immer auf's Neue der reif-
lichften Ueberlegung werth ift, fo fei die anregende und
belehrende Schrift unfern Lefern und infonderheit allen
Religionslehrern noch einmal auf's Angelegentlichfte
empfohlen.

Magdeburg. W. Bornemann.

Kessler, C., Die christliche Lehre. Ein Hülfsbuch zur
Reform des Religionsunterrichts, im Anfchlufs an
den kleinen Katechismus Luthers. 1. Hft. Die 5
erften Hauptftücke. Hannover, C. Meyer, 1891. (VIII,
133 S. gr. 8.) M. —. 80.

,Ein Hülfsbuch zur Reform des Religionsunterrichts
im Anfchlufs an den kleinen Katechismus Luthers' nennt
fleh dies Büchlein. Der ,Anfchlufs an Luthers Katechismus
' ift nicht beffer und nicht fchlechter als in hundert
andern katechetifchen Hülfsbüchern, d. h. ein Anfchlufs
an die einzelnen Worte, Sätze und Gedanken Luther's,
die dann meift zur Darlegung beftimmter theologifcher
Definitionen, Eintheilungen, Urtheile und Gedankenreihen
mifsbraucht werden. Aber wir find es ja leider fo gewohnt
: eine Mifchung von guten und fehr zweifelhaften
Gefichtspunkten, von dogmatifchen Urtheilen und reli-
giöfen Erfahrungsfätzen, von Bibelfprüchen und Bei-
fpielen aus dem Leben, von Gemeinplätzen und Para-
doxien, von praktifchen und unpraktifchen, kindlichen
und wiffenfehaftlichen Erörterungen, mit dem Hackern
effer einer vermeintlich wiffenfehaftlichen Methodik zerhackt
und in Luther's kleinen Katechismus wie in einen
Darm hineingeftopft, — und die Wurft ifl fertig. Guten
Appetit! Aber wo bleibt die Einfalt, die Klarheit, die
Kraft, die Freude?! Man foll doch nicht meinen, auf
folchem Wege — auch bei dem gröfsten Fleifse und
der beften Abficht — den Religionsunterricht ,reformi-
ren' zu können. Die Axt mufs den Bäumen noch ganz
anders an die Wurzel gelegt werden.

Wie gefagt, das vorliegende Buch ift nicht beffer
und nicht fchlechter als viele andere. Was es von andern
ähnlichen unterfcheidet, ift — abgefehen von dem
vorzüglichen Druck, der anerkennenswerthen Knappheit
und Fülle und dem zuweilen doch Hörenden Fehlen
der Abfätze — befonders der in einzelnen Partien,
aber keineswegs überall durchgeführte draftifche
Ton (vgl. z. B. die Erklärung des 6. Gebotes oder die
Erörterung darüber, wie man eine auf des Nachbars
Schulter fitzende Laus chriftlich zu beurtheilen und zu
behandeln hat p. 127. 129) und die ausdrücklich ausge-
fprochene Abficht, die Kinder im Unterrichte zu bekehren
. ,Der Lehrer mufs den Charakter eines jeden
Kindes zu erkennen fuchen, und fein ganzer Verkehr