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Ausgabe:

1892 Nr. 4

Spalte:

113-114

Autor/Hrsg.:

Kessler, L.

Titel/Untertitel:

Die Wunder des Glaubens und sein Selbstzeugniss 1892

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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U3

Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 4.

114

in zu abftracter Weife von den gefchichtlichen und
theologifchen Zufammenhängen der Vergangenheit und
der Gegenwart losgelöft und ifolirt worden; das Mafs
und die Grenzen der Originalität, vielleicht auch die Ausfichten
auf die Lebensfähigkeit und die Zukunft des
Ritfchl'fchen Syftems können nur auf gefchichtlichem
Wege gewürdigt werden. Allerdings klingt das hier
ausgefprochene desideratum faft wie eine Unbefcheiden-
heit einem über 500 Seiten ftarken Buche gegenüber;
allein das eingehende und mafsvolle Verftändnifs, das
der Verf. feinem Gegenftande entgegengebracht, mag
das Bedauern erklären und entfchuldigen, das man an-
gefichtsdervon ihm geübten Selbftbefchränkung empfindet.
Vielleicht darf aber diefes Bedauern in den Wunfeh
übergehen, Herr B. möge die von ihm in Angriff genommene
Aufgabe noch nach diefer Seite hin ergänzen.
Die Vorlefungen, welche er als Privatdocent im ver-
floffenen Jahre in Montauban über die Gefchichte
des Pietismus gehalten, haben ihm zu weiteren Auseinan-
derfetzungen mit Ritfehl reichliche Veranlaffung gegeben
. Vielleicht wird er uns diefe neue Frucht feiner
fo umfichtig und gewiffenhaft geführten Unterfuchungen
nicht vorenthalten; nicht nur feine Landsleute, auch die
deutfehen Lefer werden ihm dafür zu aufrichtigem Dank
verpflichtet fein.

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

Kessler, L., Die Wunder des Glaubens und fein Selbft-
zeugnifs. Alte und neue Methode der Apologetik.
Leipzig, Jul. Baedeker, 1891. (VIII, 188 S. gr. 8.)
M. 3. -

Ein nach vielen Seiten hin anregendes, aber hohe Anforderungen
an den Lefer Hellendes Buch. Der Gang
der Unterfuchung, die zahlreich eingeftreuten Citate, die
Beilagen über fpezielle Punkte, die keineswegs durchfichtige
Sprache, erfchweren die Leetüre und das Verftändnifs
des um verfchiedene Gegenftande fich bewegenden
Werkes. Der Gegenfatz zwifchen der alten und
neuen Methode der Apologetik ift durch die Erörterungen
des Verfaffers auf keinen klaren und präcifen Ausdruck
gebracht worden. ,Die Apologetik hat einen
Ausgleich zu fuchen zwifchen den beiden Sätzen: Der
chriftliche Glaube ift wider die Vernunft, und: der chrift-
liche Glaube ift nicht abfurd. Solchen Ausgleich kann
nur das gläubige Bewufstfein verlangen, denn ihm gelten
ja beide Sätze, während der Unglaube fich nur an
den erften hält'. Solchen Ausgleich mufs das gläubige
Bewufstfein ,um der letzten Vernunfteinheit willen' verlangen
, und ,aus der Natur der Antinomie ift die Erwartung
zu hegen, dafs die Aufgabe durch eine gläubige
Apologetik gelöft werden kann'. Referent mufs bekennen
, dafs ihm das Wefen diefer ,gläubigen Apologetik'
nicht recht verftändlich geworden ift, und dafs f. E. die
Stärke und das Intereffe des Buches nicht in dem fchwer
zu verfolgenden, häufig abgebrochenen und wieder aufgenommenen
Grundgedanken, fondern in den oft geift-
vollen, zuweilen paradoxen, aber zum Nachdenken anregenden
Aeufserungen des reich belefenen und nicht
feiten fein beobachtenden und urtheilenden Verfaffers zu
liegen fcheint. Die Zucht einer ftreng wiffenfehaftlichen
Methode und die fefte Haltung eines beftimmten Planes
würden dem Ganzen wefentlich zu Gute kommen,
und dem Lefer die Möglichkeit einer fruchtbareren Aneignung
und einer fördernden Controlle geben. In einer
erklärenden Vorrede hat K. über feine Abfichten und den
Inhalt feiner Schrift den Lefer zu orientiren verflucht;
einigen Auffchlufs hat er ihm zwar gegeben, aber die
ertheilten Andeutungen vermögen es kaum, über den
Kern der Sache das erwünfehte Licht zu verbreiten.
Möge das inhaltrciche Buch folche Lefer finden, die fich
durch die Schwierigkeit der in Angriff genommenen Aufgabe
den Gewinn nicht verkümmern laffen, den fie aus
diefen Unterfuchungen fchöpfen können!

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

Bauer, Jof., Die deutschen Reichsgesetze in Bezug auf Kirche,
Religion und Geistlichkeit. Für Geiftliche und Religionsdiener
aller Bekenntnifse unter Benutzung der ergangenen
Reichsgerichtsentfcheidungen zum praktifchen
Gebrauche bearbeitet. Leipzig, Dürr'fche Buchh., 1892.
(VI, 103 S. gr. 8.) M. 1.80.

Die in den deutfehen Reichsgefetzen vorkommenden
Beftimmungen in Bezug auf Kirche und Religion bilden
kein zufammenhängendes Syftem, doch ift ihrer keine
geringe Zahl. Der Verf. hat die an verfchiedenen Orten
zerftreuten hierher gehörigen Beftimmungen ,zum praktifchen
Gebrauch', wie der Titel befagt, zufammengeftellt,
und feine Arbeit erweift fich als eine dankenswerthe Gabe
für den Praktiker. Die betreffenden Gefetzesftellen find
im Wortlaut wiedergegeben und inhaltlich erläutert,
letzteres in völlig objectiv juriftifcher Weife. Den erläu-
terndenBemerkungen des Verf.'s ift faft durchweg zuzuftim-
men, nur hier und da findet fichAnlafs zu Ausheilungen.
So ift es fchwerlich richtig, dafs durch das Freizügigkeits-
gefetz den Einzelftaaten die Befugnifs entzogen fei,
,beftimmten Religionsgefellfchaften die Aufnahme im
Staatsgebiet zu verweigern' (S. 3). Das Reichsgefetz
verpflichtet die Einzelftaaten nur, jedem einzelnen Deutfehen
ohne Rückficht auf feine Confeffion den Aufenthält
und die Niederlaffung in ihrem Gebiete zu geftatten,
nicht aber, jede beliebige Religionsgefellfchaft als folche
bei fich zuzulaffen. Wenn das Civilftandsgefetz vom 6.
Febr. 1875 den Geiftlichen im amtlichen Intereffe ko-
ftenfreie Einficht in die Standesregifter geftattet, fo ift
kein Grund vorhanden dies dahin auszulegen, dafs die
Einficht nur von dem Geiftlichen in Perfon, nicht aber
durch einen Bevollmächtigten genommen werden dürfe
(S. 21). Dagegen ift es richtig (S. 23), dafs der trauende
Geiftliche fich den Nachweis der zuvor erfolgten ftandes-
amtlichen Ehefchliefsung (§ 67 des Gefetzes) nicht gerade
durch die darüber crtheilte Befcheinigung des Standesbeamten
erbringen laffen mufs, fondern dafs dies auf
jede von ihm für genügend erachtete Weife gefchehen
kann, diseiplinarifche Ahndung wegen Fahrläffigkeit vorbehalten
. Die ftrafgefetzliche Bedrohung des Geiftlichen,
.welcher wiffend, dafs eine Perfon verheirathet ift, eine
neue Ehe derfelben fchliefst' (S. 25), hätte wegbleiben
können, da fie durch das Civilftandsgefetz veraltet ift.
Die Behauptung S. 29, dafs die Kirchenbücher ,nicht
als öffentliche Urkunden gelten', wird durch die S. 31
angeführte Reichsgerichtsentfcheidung widerlegt; fie wäre
nur richtig mit der Einfchränkung: fo weit darin That-
fachen beurkundet werden, welche nach dem Reichsgefetz
durch die Standesregifter zu beurkunden find. S. 34
foll es anftatt: ,ftaatlich anerkannte rechte Verpflichtungen
' wohl heifsen .rechtliche' (es ift von den kirchlichen
Verpflichtungen in Bezug auf Taufe und Trauung die
Rede).

Von principtellen Erörterungen über die behandelten
Gefetzesftellen und von einer Beurtheilung derfelben
oder der auf fie gegründeten Gerichtspraxis hat der Verf.,
dem Zwecke feiner Arbeit entfprechend, abgefehen. Doch
drängt fich eine Kritik bisweilen von felbft auf. Namentlich
gilt dies von dem neuerdings viel befprochenen,
die Störung des Gottesdienftes betreffenden $ 167 des
Strafgefetzbuchs. Schon das fällt hier auf, dafs Störung
gottesdienftlicher Handlungen nur dann mit Strafe bedroht
ift, wenn fie in einer Kirche oder einem gottesdienftli-
chen Local ftattfindet. Die Reichung des Abendmahls an
einen Kranken im Krankenzimmer z. B. fteht fonach nicht
unter gefetzlichem Schutz. Recht bedenklich ift auch der
in einer reichsgerichtlichen Entfcheidung (S. 82) aufge-