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Ausgabe:

1892 Nr. 4

Spalte:

103-105

Autor/Hrsg.:

Knöpfler, Alois

Titel/Untertitel:

Die Kelchbewegung in Bayern unter Herzog Albrecht V 1892

Rezensent:

Virck, H.

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103 Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 4. 104

der Bundesverfaffung, die jede einheitliche Leitung und
rechtzeitiges Eingreifen am bedrohten Ort unmöglich
machten.

Weimar. H. Virck.

Knöpfler, Prof. Dr. Alois, Die Kelchbewegung in Bayern
unter Herzog Albrecht V. Ein Beitrag zur Reformations-
gefchichte des 16. Jahrhunderts, aus archivalifchen
Quellen bearb. München, E. Stahl fen., 1891. (VIII,
223 u. 132 S. m. 1 Taf. gr. 8.) M. 6. —

Ueber die religiöfen Tendenzen der Regierung
Albrecht's V. gingen die Anflehten bisher weit auseinander
. Um fo freudiger begrüfsen wir es daher, wenn
der oben genannte Verfaffer es unternimmt, auf Grund
einer ganzen Reihe bisher unbekannter Actenftücke
über diefe Frage Klarheit zu verbreiten, und es ver-
fchlägt dabei nichts, wenn er als Profeffor der Kirchen-
gefchichte an der Univerfität München einen von dem
unfrigen völlig entgegengefetzten religiöfen Standpunkt
einnimmt. Nach der Anficht Knöpfler's wollte Herzog
Albrecht von dem ,Fundament des kath. Glaubens um
keines Haares Breite abweichen', hatte aber daneben
,ein offenes Auge für die Schäden der Zeit' und wünfehte
die ,längfl und allfeitig tief beklagten Ausartungen und
Mifsftände im religiös-fittlichen Leben' zu befeitigen.
Um feine Auffaffung als richtig zu erweifen, macht der
Verfaffer zum Mittelpunkt feiner Darftellung das Verhalten
, das der Herzog gegenüber der Bitte feiner Un-
terthanen um Gewährung des Kelches beobachtete.
Gemäfs dem Verlauf der fich an diefe Forderung an-
fchliefsenden religiöfen Bewegung gliedert fich ihm der
Stoff naturgemäfs in 3 Haupttheile, welche ,das Drängen
nach dem Kelch', ,die Gefiattung des Kelches' und
,die Wiederabfchaffung des Kelches' überfchrieben find.
In dem erften Theil werden wir mit den Gründen bekannt
gemacht, die den Herzog veranlafsten, den religiöfen
Forderungen feiner Unterthanen freundlich entgegenzukommen
. Knöpfler beweift, dafs dies nicht aus
Hinneigung des Herzogs zur evangelifchen Lehre ge-
fchah, fondern im Gegentheil, weil er das Land bei der
katholifchen Lehre zu erhalten wünfehte. Diefer Nachweis
giebt dem Verfaffer Gelegenheit, uns eingehend
mit den religiöfen und kirchlichen Zuftänden des Landes
bekannt zu machen. Wir fehen die Bevölkerung trotz
des heftigen Kampfes, den der Vorgänger des Herzogs
gegen die religiöfen Neuerer geführt hatte, ganz von
evangelifchen Gedanken erfüllt. Als hauptfächlichften
Grund diefer Erfcheinung giebt der Verfaffer unumwunden
die Untauglichkeit und Verkommenheit des kath.
Clerus an. Nicht die Geiftlichkeit ift es daher, von
welcher der Anftofs zu einer Befferung der kirchlichen
Zuftände ausgeht, fondern der Herzog, der vor allem
den Clerus zu reformiren trachtet. Aber er findet in
diefer Beziehung bei den Bifchöfen nur geringes Entgegenkommen
. Erft nach fünfjährigen Verhandlungen
vermag er fie zu einer Vifitation der Geiftlichen zu bewegen
. Die durch diefe Vifitation aufgedeckten Zu-
ilände waren uns fchon durch Sugenheim's Schilderung
von Bayerns Kirchen- und Volkszuftänden im XVI. Jahrhundert
bekannt. Zwar meint Knöpfler, Sugenheim
habe in tendenziöfer Weife durch Zufammenftellung der
gravirendften Gebrechen und Schäden ein möglichft
düfteres Gefammtbild entworfen und werde dadurch un-
hiftorifch. Indefs was Knöpfler felbft berichtet, beweift
doch, dafs die Darftellung Sugenheim's im Wefentlichen
richtig ift und durch die verhältnifsmäfsig geringen
Ausnahmen nicht an Wahrheit verliert. — Die Anftreng-
ungen, welche der Herzog macht, um die Bifchöfe
nach abgehaltener Vifitation zur endlichen Inangriffnahme
einer wirklichen Reform zu bewegen, bilden den Anfang
des zweiten Theiles der Darfteilung. Es dauert

nicht weniger als vier Jahre, bis fie fich hierzu bereit
erklären. Sodann unterrichtet uns der Verfaffer zum
erften Mal in authentifcher Weife über die im Jahre

1563 zwifchen dem Herzog und dem Concil und Papft
geführten Verhandlungen wegen Bewilligung des Kelches
und der Priefterehe. Saftien, der in feiner Abhandlung:
Die Verhandlung Kaifer Ferdinand's I. mit Pius IV.
über den Laienkelch über diefe Dinge gleichfalls berichtet
hatte, vermochte, da er die Münchener Acten nicht
kannte, hierüber nur ungenaue und unvollftändige Auskunft
zu geben. Deutlicher als bisher erkennen wir jetzt,
in wie grofse Beftürzung Papft und Concil durch das
von dem Herzog den Ständen a. 1563 gegebene Ver-
fprechen verfetzt wurden: er werde, falls bis Johannis
der Kelch nicht bewilligt fei, Wege finden, um den Gebrauch
desfelben anderweitig zu fichern. Man fürchtete
damals in der That, dafs der Herzog die Abficht hege,
zum Proteftantismus überzutreten, eine Befürchtung, die
allerdings, wie Knöpfler zeigt, in der Gefinnung des Herzogs
nicht begründet war. — Im 3. Theile endlich
fucht der Verfaffer die merkwürdige Thatfache zu erklären
, dafs der Herzog den Kelch, deffen Bewilligung
er fich fo grofse Anftrengungen hatte koften laffen,
fchon nach 5 Jahren wieder abfehaffte. Während man
dies gewöhnlich auf den Einflufs der Jefuiten bei dem
Herzog zurückführt, fieht der Verfaffer den Grund hiervon
einerfeits in dem Verfuch des Adels, die Augsburger
Confeffion auch gegen den Willen des Herzogs auf
feinen Gütern einzuführen, andererfeits in der vom Herzoge
gemachten Wahrnehmung, dafs die Zahl der Calix-
tiner fich nicht fo grofs erwies, als er gedacht hatte.
Unzweifelhaft haben beide Umftände den Herzog zu
feinem Entfchlufs mit beftimmt, ob fie aber das einzige
oder auch nur das Hauptmotiv gewefen find, fcheint
uns trotz der Ausführungen Knöpfler's recht zweifelhaft
. Unferes Erachtens fchlägt der Verfaffer die Einwirkung
der Jefuiten in diefer Beziehung denn doch
viel zu gering an. Ueberhaupt find die jefuiten offenbar
auch die Urheber und Leiter der mit dem Jahre

1564 in Bayern anhebenden Gegenreformation. Nach
Knöpfler aber fcheint es fafl fo, als ob alle zu deren
Durchführung getroffenen Mafsregeln aus der eigenen
Initiative des Herzogs hervorgegangen und die Jefuiten
nur die berufenden Interpreten und Ausführer feiner
Ideen gewefen feien. Jene Mafsregeln felbft lernen wir
durch Knöpfler bis ins Einzelne kennen. Ueber zwei
der wichtiglten, die Büchercenfur und die Reform des
Schulwefens hatte freilich fchon Kluckhohn in einem
Auffatz der hiftorifchen Zeitfchrift von 1874 eingehend
gehandelt, und der, welcher fich über diefe Dinge unterrichten
will, wird gut thun, neben Knöpfler auch jenen
Auffatz zu benutzen. Er enthält Manches, das bei
Knöpfler übergangen ift. Namentlich find die Ausfuhrungen
Kluckhohn's über die Erfolge der Lehrthätigkeit
der Jefuiten beachtenswerth, und Knöpfler hätte gut ge-
than, fie zu berückfichtigen. Denn hier mehr als fonft wird
fein Urtheil durch feinen ultramontanen Standpunkt be-
einflufst. Indefs wollen wir in diefer Beziehung nicht
zu fehr mit ihm rechten, fondern ihm das Zeugnifs
nicht vertagen, dafs er im Allgemeinen fich redlich bemüht
hat, ,die Verhältnifse und Ereignifse wahrheitsgetreu
und mit möglichfter Objectivität' zu fchildern. Sein
Buch fleht in diefer Beziehung in erfreulichem Gegen-
fatz zu manchen anderen Erzeugnifsen aus dem ultramontanen
Lager. Unfere Kenntnifs von der Zeit der
beginnenden Gegenreformation wird dadurch in einem
wefentlichen Punkt ergänzt und berichtigt. — Angehängt
find dem Buch eine Reihe wichtiger Actenftücke. Wir
nennen vor allem die Salzburger Reformationsformel
von 1562, ein für die Beurtheilung der damaligen Zuftände
in der katholifchen Kirche aufserordentlich wichtiges
Document, dann einen Brief des Cardinais Hofius
an Herzog Albrecht und deffen Antwort über das