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Ausgabe:

1892 Nr. 4

Spalte:

101-103

Autor/Hrsg.:

Kannengiesser, Paul

Titel/Untertitel:

Der Reichstag zu Worms vom Jahre 1545 1892

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 4.

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denkt, übel an, den, dem die umgekehrte Combination I Gewalt zu erreichen. Schon in Regensburg fchuf der
nahe liegt, als', Verleumder' zu brandmarken.1) — Wie Kaifer durch die Sonderverträge, die er mit dem Land-
fteht es aber mit der Bereitwilligkeit, einen Vergleich | grafen, dem Kurfürften von Brandenburg und mit Herzog
einzugehen, bei beiden Parteien im Religionsgefpräch? j Moritz von Sachfen einging, hierfür die günftigen Vorich
meine, es fei uns heutigen Tages beiderfeits klar, 1 bedingungen. Jenem Zweck mufsten fchliefslich auch
dafs und warum diefe Gefpräche erfolglos bleiben mufs- j die überrafchenden Zugeftändnifse dienen, welche er den

ten. Oder kennt Paulus eine Vermittelung zwifchen
Rom und Wittenberg? Was foll dann aber die Anklage
heifsen, dafs die proteftantifche Partei es nicht zu einem
Vergleich kommen laffen wollte? Weifs er nicht, dafs
proteftantifcherfeits das für diefe Partei allein mögliche
Angebot vorlag, nämlich CR. VI, 45: ,fo die Bifchöfe
rechte Lehre pflanzen, wollen wir ihnen unterthan fein
und das Kirchenregiment helfen erhalten'? Weifs er
nicht, dafs die Regensburger Unterredungen daran fchei-
tern mufsten, dafs die katholifchen Deputirten hier fleh
weigerten, die Bafis der Verftändigung anzuerkennen,
die mit vieler Mühe in Bezug auf die Rechtfertigungslehre
das vorige Mal in Regensburg gelegt worden
war? Dadurch kam das Religionsgefpräch a limine in
die Brüche, dafs die katholifche Partei diefe mühfam
erreichte Annäherung nicht anerkannte, fondern hier
energifch zur Tradition fleh zurückwandte. Wer diefe
Thatfache bedenkt, wird auch die gereizten Klagen der
evangelifchen Deputirten billig beurtheilen: fie ftanden
eben hier wieder einem feindlicheren Katholicismus gegenüber
. Kennt er nicht auch das hoffnungsvolle Ur-
theil, welches Brenz wenigftens anfangs abgab, indem
er fleh des Fortganges des Gefpräches freute (Anec. Bren-
tiana S. 256)? Und die Klage der Evangelifchen, dafs
es ihren Gegnern ,nicht Ernft gewefen, einige Concor-
dia zu Richen' (Joh. Voigt, Briefwechfel mit Herzog
Albrecht S. 188)? — Es ift unmöglich, diefe Gloffen zu
den Ausführungen des Verfaffers, zu denen viele Ab-
fchnitte feiner Darfteilung Anlafs bieten, hier weiter
fortzufetzen. Ich bedauere, dafs die fchönen Gaben
und Kenntnifse des Verf.'s fo oft unter dem Banne des
gefchichtsfeindlichen Syftems flehen, deffen Parteigänger
er ift. Er würde fonft wohl auch davor zurückgefcheut
fein, Hoffmeiftcr zum Zeugen für die päpftliche Infalli-
bilität zu preffen. Der grofse Abfchnitt über Hoffm.'s
Theologie2) ift eine dankenswerthe Ergänzung zu Läm-
mer's bekanntem Werke, wie auch der gcfchichtliche
Theil, mit Urtheil gelefen, reiche Ausbeute gewährt.

Kiel. G. Kawerau.

Kannengiesser, Gymn., Oberlehr. Dr. Paul, Der Reichstag
zu Worms vom Jahre 1545. Ein Beitrag zur Vor-
gefchichtc des Schmalkaldifchen Krieges. Strafsburg i.E.,
Heitz, 1891. (VII, 131 S. gr. 8.) M. 3. -

Der Verfaffer bahnt fleh den Weg zu feinem Thema
durch eine auf den neueften Forfchungen beruhende
inftruetive Darlegung der Verhandlungen des Kaifers mit
den Proteftanten von dem Waffenftillftand zu Nizza bis
zum Wormfer Reichstag von 1545. Wir erkennen daraus
, dafs Karl V, der bei allen Wandlungen feiner
Politik, zu denen ihn die Verhältnifse zwangen, niemals
den Gedanken aufgab, die Proteftanten in den Schofs
der alten Kirche zurückzuführen, feit dem Scheitern des
Regensburger Religionsgefpräches von 1541 alle feine
Mafsnahmen danach traf, diefes Ziel wenn nöthig durch

1) S. 199 bemerkt P. zu Hedio's Bericht, der Hoffm. monachum
Colmaricnstm monoculum nennnt: letzterer Ausdruck ift natürlich
nur ein Schimpfname'. Warum denn? Betreffs Billik's aber möchte ich
P. daran erinnern, dafs fchon 1543 Melanchthon, als er in Bonn weilt,
über ihn, als über den ,Carmtlita btnt saginatus et Bacchi ac Veneris
saceräos' berichtet (CA'. V 113).

2) Man murs hier freilich Sätze in Kauf nehmen wie den, dafs es
.nur proteftantifche Folgerichtigkeit' war, ,wenn man bei der Verwerfung
des Cölibats nicht ftehen blieb, fondern auch die Vielweiberei verthei-
digte' (S. 352).

Proteftanten auf dem Reichstage zu Speier v. 1544 bewilligte
. Indem er ihnen hier bis zur Beilegung des
Zwiefpaltes in der Religion .durch chriftliche und freundliche
Vergleichung auf einem gemeinen, freien, chrift-
lichen Concil, Nationalverfammlung oder Reichstag'
Frieden und rechtliche Sicherheit gewährte, gelang es
ihm, fie zur Theilnahme an dem Kriege gegen Frankreich
zu beftimmen und dadurch mit diefer Macht zu
entzweien. Ungehindert von ihr durfte es der Kaifer
nach Beendigung des franzöfifchen Krieges wagen, die
religiöfen Verhältnifse nach feinem Sinn zu ordnen. Das
konnte auf friedliche Weife nur gefchehen, wenn die
Proteftanten fleh dem nach Trient ausgefchriebenen
Concil unterwarfen. Da aber der Kaifer felbft dies
nicht erwartete, traf er fchon im Beginn des Wormfer
Reichstages die Vorbereitung zum Krieg. Wenn er die
Proteftanten durch die Verhandlungen auf dem Reichstag
hierüber zu täufchen verfuchte, fo zeigt uns Kannen-
giefser, dafs ihm dies nicht gelungen ift. Ebenfo wenig
vermochte er fie zur Anerkennung des Trientiner Concils
zu bewegen. Einmüthig verweigerten fie fowohl ihm
als feinem Bruder Ferdinand, der ihn im Anfang auf
dem Reichstag vertrat, die Türkenhilfe, um ihn dadurch
bei dem in Speier gegebenen Verfprechen feilzuhalten.
Als fie dann fehr bald erfuhren, dafs der Kaifer mit
den Türken über einen Waffenftillftand unterhandele,
einigten fie fich vor allem über die Braunfchweiger
Streitfrage und benahmen dem Kaifer, indem fie ihm
dieSequeftration des Braunfchweiger Landes zugeftanden,
die Möglichkeit, den Krieg gegen fie unter einem
politifchen Vorwand zu beginnen. Unter diefen Um-
lländen mufste der Kaifer fürchten, bei Ausbruch des
Krieges alle Proteftanten gegen fich in Waffen zn fehen,
und es war fchon aus diefem Grunde für ihn unab-
weiflich, die Eröffnung des Krieges, welche er dem
Papft foeben noch für Anfang Auguft verfprochen hatte,
auf das nächfte Jahr zu verfchieben. Die Verhandlungen,'
die er feit Anfang Juli in Worms führte, waren beftimmtl
die zwifchen ihm und den Proteftanten aufgähnende
Kluft noch einmal zu fchliefsen. Durch Bewilligung
eines Colloquiums und Gewährung des Friedens fowie
Sufpenfion der Religionsproceffe bis zu dem auf den
Anfang des nächften Jahres ausgefchriebenen Reichstag
wollte er die Proteftanten zur Bewilligung der
Türkenhilfe und Wiederaufrichtung des Kammergerichts
bewegen. Aber die Proteftanten blieben unerfchütterlich.
Zwar hatten fie nichts gegen das Colloquium, aber den
Frieden begehrten fie nicht bis zum Reichstag, fondern
nach wie vor auf Grund der Beftimmungen des Speirer
Abfchieds. Da der Kaifer diefe Forderung nicht bewilligen
konnte, ohne feine kriegerifchen Abfichten aufzugeben
, kam ein Abfchied zu ftande, der die Erledigung
aller ftrittigen Fragen auf den nächften Reichstag
verfchob. Es war vorauszufehen, dafs fich dort die
Vorgänge in Worms wiederholen würden. Eine friedliche
Beilegung des Streites war damit ausgefchloffen.
Die Proteftanten waren fich vollkommen darüber klar,
und fchon auf dem Wormser Reichstag haben fie fich
auf den Krieg vorbereitet. Wenn ihnen daher oft für
die Zeit vor dem Aausbruch des Krieges eine fchwäch-
liche Haltung und Mangel an politifchcr Einficht vorgeworfen
worden find, fo zeigt uns K. auf Grund umfangreicher
Benutzung des gedruckten Materials fowie der
noch nicht veröffentlichten Berichte der Strafsburger
Gefandten, dafs diefer Vorwurf für die Verhandlungen
auf dem Wormfer Reichstag nicht zutrifft. Was ihnen
zum Verderben gereichte, waren hauptfächlich die Mängel