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Ausgabe:

1892 Nr. 3

Spalte:

80-81

Autor/Hrsg.:

Bauerfeind, Fr. Chr.

Titel/Untertitel:

Das altkirchliche Perikopensystem der abendländischen Kirche 1892

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 3.

80

Wefen und die Bedeutung der Panajia uns darfteilen.
Man wird aber auch auf fo manchen Anfang von Aus-
fchreiben der Kaifer und Patriarchen hinweifen, die von
einem klaren Kirchenbegriff ausgehen. In den Werken
des Symeon v. Theffalonich fcheint der Verf. die Stelle
y.axa aiQto. Cap. 25, Ende, überfehen zu haben, die doch
auch bedeutend von der Kirche handelt. Die Dogmatiker
des vorigen Jahrhunderts knüpfen alle an die Definition
des Zonaras an und fetzen dann den Begriff der Kirche
umftändlich meift unter Benutzung der im Symbol gegebenen
Eigenfchaften auseinander. So Ewjenios Wul-
garis, Mofchopulos, Athanafios Parios. Neuerdings hat
der bekannte Philotheos Wryennios in einer kleinen
Streitfchrift gegen die amerikanifchen Miffionare Gelegenheit
genommen, den anatolifchen Kirchenbegriff dem
proteftantifchen entgegenzufetzen (Athen 1887). Der
Proteftantismns ift ihm äzouiofiog und feine Anhänger
find ävJ(paloi oder wie er im volksthümlichen Wortfpiel
fagt ,Bafchibofuks'. Dann heifst es: 'U rjfisxfoa xißwzog
iaxiv rj ogFodolgog y.a-iroliy.i} ixxkvala xov Xqioxov, ivrog
xrjg bnoiag svQioy.öiit&a nävxsg 01 anavxayov OQ&6dog~oi
yoioziavol . ■ folgt Aufzählung aller orthodoxen Landeskirchen
; Jlävxeg de ctnoxFhovaiv fiiav iy.y.Xrjoiav, r)g xeq>aXrj
iaxiv o Xgtozog' nävxeg tynfiev itlav xai xrjv avxr]v
iiloxiv, fiiav xai xfjv avxrpv tegav nagaöoaiv, fiiav xai
xrjv avary ntgi ftvaxrjgiojv didaaxaXiav, tviv aiziy ireiav
Xaxgtiav, xagavxagngoaevyag, ofiniöfiogcpov ixxXrjaiaaxixrjv
iegagyiav yal dioixryiv, xai xvgog avcoxaxov xr]v tpiovijv
zrjg xa&oXov exxXrjaiag iy.drji.ovfitvrjv sv xdig ogoig ttnv
aylwv oiY.ovfievtv.i5v avvoöwv, diä xovxo xai inixoivinviav
iyofitv iv naaiv etc.

Aus diefer Ueberficht geht wohl hervor, dafs die
anatolifche Kirche zwar nicht denfelben Kirchenbegriff
wie die Papftkirche von Rom befitzt, aber einen vollkommen
fo bedeutfamen, und zwar gewifs fchon von der
zweiten Hälfte des Mittelalters an. Dies hervorzuheben hatte i
ich befonders Anlafs, weil ich oben gefordert, dafs die
Darfteilung des innern Lebens der orthodoxen Kirche von
der Kirche ausgehen müffe. Esläfst fich auch noch gegen
einigeandere Ausfagen des Verfaffers über die Kirche Wider-
fpruch erheben. Ich unterdrücke ihn aber, damit es
nicht fcheint, als wollte ich die grofsen und geiftreichen
Ausführungen des Werkes nicht anerkennen.

Die ,Idee der Hierarchie' zu befprechen, mufs ich
mir vorbehalten, da in diefer Lieferung noch
zu wenig von der Darlegung vorliegt.

An Druckfehlern notire ich S. 282. Z. 18 von oben:
,es' ftatt ,ef. S. 303. Z. 3. v. ob. ,Lebweife' ftatt ,Lehrweife
'. S. 304 Z. 2 v. ob. avllgumovg ohne Spiritus.

Erichsburg. Ph. Meyer.

Moorhouse, Bishop J., The teaching of Christ,its conditions,
secret, and results. London H. Macmillan & Co., 1891.
(VII, 167 S. 8.) geb. 3 s.

Zur felben Zeit, wo bei uns das Fefthalten an der
alten Infpirationslehre von gewiffen kirchlichen Kreifen
als Heilmittel für unfere Kirche empfohlen wird, erfcheinen
diefe heben Vorlefungen des Bifchofs von Manchefter,
deren erfte ,the nature and limits of infpiratiori" behandelt.
Unter voller Anerkennung der menfchlich-gefchichtlichen
Bedingtheit der biblifchen Literatur und Religionsgefchichte,
heht der Verf. in der gefchichtlich erkennbaren fchritt-
weifen Vergeiftigung der Religion den directen Einflufs
des hl. Geiftes thätig. Man kann feine Meinung vielleicht
dahin umfehreiben, dafs er die religionsgefchicht-
liche Entwicklung felber als die eigentliche Offenbarungsurkunde
anheht. Das äufsere Gerüft, die Inftitu-
tionen, die hiftorifche Ueberlieferung beurtheilt er rein
hiftorifch und menfehlich. Wenn ihm auch Kuenen
und Wellhaufen zu wenig Mofaifche Elemente im
Pentateuch anerkennen, fo giebt er doch zu, dafs Deut.

und Priefterfchrift in ihrer gegenwärtigen Geftalt den
Einflufs der prophetifchen Partei erkennen laffen. Auch
die Chronik beurtheilt er recht günftig, wenn er fagt,
dafs man zwar nicht die Genauigkeit der Ueberlieferung,
fondern die Correctheit ihrer religiöfen Interpretation durch
die Infpiration des Verfaffers als garantirt anfehen könne.
Nach diefen Grundfätzen kann auch zugegeben werden
(Vorl. 2), dafs das Wiffen Jefu auf dem Gebiet der
Naturerkenntnifs und Gefchichtsauffaffung begrenzt war,
während er auf dem der religiöfen Reform in völlig
höherer Intuition göttliche Offenbarung redet. Themaster-
thaught of' Chriß's teaching, — wie wir fagen würden, die
organihrende Idee, die am kürzeften in dem Wort
formulirt ift: Einer ift Euer Vater und Ihr feid alle
Brüder (Mtth. 23,8 ff.), mufs das Mafs und Kriterium fein
dafür, was an der kirchlichen Lehre (Zorn Gottes, Erwählung
, Strafen etc.)und an der gegenwärtigenPhilofophie
deutlich chriftlich ift. In den Vorlefungen über Jefu
Stellung zum Gefetz, zum Reich Gottes, zur unfichtbaren
Welt fallen einige Modernifirungen auf, welche der
Verf. bei ftärkerer Beachtung feines Grundfatzes (S. 157):
,Der Herr meint, was er fagt', ,feine Worte wollen wörtlich
genommen werden', vermieden hätte. Z. B., wenn
er the wild and extravagant pictures der Apokalypfen
in einen principiellen Gegenfatz ftellt zu der angeblich
völlig veränderten und vergeiftigten Reich-Gottes-Idee
Jefu. S. 116 werden die Sterne, die vor der Parufie vom
Himmel fallen follen, auf ,die Lichter des politifchen
Firmaments' umgedeutet! Denn wörtlich hätten fich doch
die Weisfagungen Jefu nicht erfüllt! In diefen und
ähnlichen Fällen fieht man, dafs die Anerkennung eines
begrenzten Wiffens Jefu nicht unbegrenzt ift. In der
letzten Vorlefung: Christ and the social revolution verleiht
der Verf. feiner Ueberzeugung, dafs das Chriftenthum
und nur das Chriftenthum die focialen Wirren unferer Zeit
löfen werde, einen fchönen Ausdruck. Nach feiner
Meinung ift die Aufgabe der Kirche und Theologie
unfrer Zeit im Unterfchiede von anderen Zeiten die
Verwirklichung des chriftlichen Ideal. I believe that it
will one day be realised hy redeemed men of this earth.
For I believe in a true devclopment as well of goodness
as of truth. Nay, more, I see the signs of such a
development in the course of Christian history and m
the movements of our own time, and, above all, in that
promise of our Divine Master: Mtth. 28,20.

Göttingen. J. Weifs.

Bauerfeind, Paft. em. Superint. a. D. G. Fr. Chr., Das
altkirchliche Perikopensystem der abendländischen Kirche,

auf Grundlage und unter dem Lichte des apoftolifchen
Glaubensbekenntnifses behandelt. Gütersloh, Berteis
mann, 1890. (XXIV, 456 S. gr. 8.) M. 5.—

Ein Buch, welches wie das vorliegende fich rühmt
(S. VIII) frei zu fein ,von dem Schwindel moderner
negativer Kritik,' kann im Grunde keinen Anfpruch darauf
erheben, in einer modernen theologifchen Literaturzeitung
kritifirt zu werden. Doch mag ein kurzes Wort
der Charakteriftik erlaubt fein zum warnenden Beifpiel
dafür, dafs eine Theologie verloren ift, welche der Wiffen-
fchaft ihrer Zeit das Ohr glaubt verfchliefsen zu dürfen,
j Die Kritik kann fehr kurz fein, da der Gedanke des
j Buches als unglücklicher auf den erften Blick fich zu
erkennen giebt, die Ausführung aber die Leetüre vollends
unleidlich macht. Die Unmöglichkeit, das dreitheilige Be-
kenntnifs und das zweitheilige Kirchenjahr gleichnamig
zu machen, überwindet Verf. durch Schlüffe, deren Kühn-
I heit wahrhaft erftaunlich ift (S. 26 f.). Sie tritt befonders
in der Adventzeit hervor, welche den I. Glaubensartikel
nur dadurch wiederzufpiegeln vermag, dafs diefer eben
nicht blofs von der Schöpfung, fondern auch von der
,Neufchöpfung' am Ende aller Dinge handeln foll; fodann