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Ausgabe:

1892

Spalte:

75-79

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde. II. Lfg 1892

Rezensent:

Meyer, Ph. L.

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haftet und entging nur mit Noth dem fchrecklichen
Blutbade vom 2. und 3. September. 1793 follte er wieder
verhaftet werden, weil eine von ihm und anderen Mitgliedern
des Parlamentes am 14. October 1790 unter-
fchriebene antirevolutionäre Proteftation bekannt geworden
war; er mufste mehrere Wochen unter grofsen Gefahren
und Entbehrungen in Paris und der Umgegend
umherirren; die Unterzeichner der Proteftation, deren
man habhaft wurde, wurden hingerichtet; Salamon wurde
in contumaciam zum Tode verurtheilt. 1796 wurde ein
Brief Salamon's an den Papft aufgefangen und ihm wegen
Correfpondenz mit den Feinden des Staates der
Procefs gemacht; er wurde fünf Monate in Haft gehalten
, dann aber freigefprochen. Die Berichte Salamon's
über feine (und feiner alten Haushälterin) Erlebnifse enthalten
werthvolle Beiträge zur Charakteriftik der damaligen
Zuftände, freilich auch viel Gleichgültiges; einen
komifchen Eindruck machen die vielen in der Leidens-
gefchichte des Abbe's vorkommenden Notizen darüber,
was er zu effen und zu trinken bekommen, wie er fich
rafirt und gepudert habe u. dgl.

Es war durchaus gerechtfertigt, dafs die Memoiren
vollfVändig gedruckt, und dankenswerth, dafs das Wenige,
was fonft über ihren Verfaffer bekannt ift, vollftändig
gefammelt wurde. Eine andere Frage ift, ob eine voll-
ftändige Ueberfetzung der franzöfifchen Ausgabe ein
Bedürfnifs war und ob nicht ein Auszug oder eine felb-
ftändige Bearbeitung des Inhalts zweckmäfsiger gewefen
wäre. Die Ueberfetzung ift übrigens gut und die Einleitung
des Ueberfetzers ift zwar etwas umftändlich, aber
lehrreicher, als die des franzöfifchen Herausgebers.1)

Bonn. F. H. Reufch.

Kattenbusch, Prof. Dr. Ferd., Lehrbuch der vergleichenden
Confessionskunde. II. Lfg. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr,
1891. (S. 193—352.gr. 8.) M. 3.40.

Die erfte Lieferung diefes Werkes hatte ich die
Ehre in diefer Zeitfchrift Jahrgang 1891 Nr. 9 anzuzeigen.

Auf dem Umfchlag der vorliegenden Lieferung
theilt der Herr Verf. mit, dafs er die Abficht, die
,Confeffionskunde' in einem Bande zu behandeln, aufgegeben
, da feine Auffaffung der Symbolik als Confeffions-
kunde eine fo kurze Behandlung unmöglich macht. Den
erften Band von etwa 30 Bogen wird allein die Darftell-
ung der morgenländifchen Kirche ausfüllen. Diefe Erweiterung
liefs fich vorausfehen, mindeftens für die
orientalifche Kirche. Man hat aber auch Anlafs fich
darüber zu freuen, dafs der Verfaffer feine Darfteilung
erweitert hat, denn, fo viel ich nach dem vorliegenden
Materiale urtheilen kann, ift die orientalifche Kirche von
keinem Abendländer richtiger beurtheilt, als von dem
Verfaffer. Eine hiftorifche Stofffammlung foll ja die
Confeffionskunde nicht fein und ift es darum auch nicht,
was das Werk aber auszeichnet, ift ein eigenthümlich
feines Gefühl für das Selbftbewufstfein der orientalifchen
Kirche. Freilich foll auch nicht geleugnet werden, dafs
das fcharf zugefpitzte Urtheil häufig ein einfeitiges ift.
Die Principien fetzen fich in der Wirklichkeit nie fo
fcharf durch, wie fie fich mit Worten formuliren laffen.
Aber der Verfaffer hat doch gründlich gebrochen mit
der Auffaffung der orientalifchen Kirchenverhältnifse
nach proteftantifchem Schema.

Die vorliegende Lieferung umfafst den Schlufs des
6. Capitels, das 7. und 8. und vom 9. Capitel den Anfang
. Der Schlufs des 6. Capitels, das von dem Beftand
und der politifch rechtlichen ürganifation der orthodoxen

1) Das franzöfifche Original hat den Titel: Msgr. de Salamon.
Memoires inedits de l Internonce a Paris pendant la revolution 1790—
1801. Avant-propos, inlroduction, noies et piies justificatives par
Pabbi Bridiet. Paris 1890 (7>/2 Fr.). Von den Memoiren, die italienifch
geichrieben find, wird eine franzöfifche Ueberfetzung gegeben.

Kirche handelte, befpricht im Befondern den allgemeinen
Charakter der anatolifchen Kirchenverfaffung und das
fog. kanonifche Recht. Dem Ergebnifs des Vorhergehenden
, dafs die Verfaffung der or. K. in der Gegenwart
charakterifirt ift durch die ftricte Handhabung des Princips
der jurisdictionellen Selbftändigkeit jeder Landeskirche
(S. 193), fügt Verf. den wichtigen Gedanken hinzu, dafs
jetzt jede Volkskirche in Anatolien fich national geftaltet.
Das Nationale fpielt in der That wie überall, fo be-
fonders im Orient eine folche Rolle, dafs man es auch
für die Kirche nicht hoch genug anfchlagen kann. Mit
Recht wird dann dagegen auf die eine rechtliche Grundlage
aller or. Landeskirchen hingewiefen. Das Recht
ift für alle Orthodoxen dasselbe und bildet mit dem
Cultus das wefentliche Band derfelben und zwar als
ein Stück des religiofen Befitzes der Kirche. Letzteres
ift mir vom Verf. nicht genügend betont. Die kurze
aber überfichtliche Darftellung der Litteratur des Rechtes
erftreckt fich auch auf die kirchenrechtlichen Werke der
Neuzeit. Ueber die letzteren hat einen trefflichen Artikel
gefchrieben Jedeon in der '£,-/.xA*jö"taaztxi) *Alr]d-Eia, Jahrg.
VIII. Dort wird auch von dem Pidalion gehandelt, das
dem Verf. nicht vorgelegen hat. Ueber den Inhalt deffelben
bemerke ich daher, dafs es die Texte der kanonifchen
Synobalbefchlüffe und der Kanones der Väter in der
Urfprache enthält, zu jedem Abfchnitt eine 'iQurjvEia, die
nach Zonaras, Balfamon und andern gegeben ift und
häufig auch eine weitere Erklärung, die oviicpwvta,
welche der Verf. des Pidalion, der Ajiorit Nikodimos
(+ 1809) felbft gemacht hat. Die EQ(.irjvtia und ar/ntpiovia
find im Volksgriechifch gefchrieben. Reichlich bemeffene
Fufsnoten enthalten höchft wichtiges Material zur Be-
urtheilung der orthodoxen Kirche, denn Nikodimos
hatte ein reiches Willen und war ein Mann, deffen
Orthodoxie noch jetzt im fchönften Glänze ftrahlt. Am
Ende des Buches finden fich noch einige Anhänge, deren
Kanonicität nicht anerkannt ift.

Das 7. Capitel handelt von den Nebenkirchen und
den Unirten; zuerft werden die Armenier, die Kopten,
die Abeffinier, die Jakobiten, die Neftorianer und die
Thomaschriften behandelt, als aus der patriftifchen Zeit
flammende Nebenkirchen, fodann werden befprochen
die Altgläubigen in Rufsland und die Unirten, als Nebenkirchen
der neueren Zeit. So viel ich beurtheilen kann,
j find hier die Angaben richtig und jedenfalls fehr klar
gruppirt. Es fei mir geftattet, mich gleich zum 8. Capitel
zu wenden, das zur orthodoxen Kirche zurückkehrt und
überfchrieben ift: ,das Dogma der orthodoxen Kirche'
und dies Thema abhandelt unter den Rubriken: Die
Bedeutung des Conftantinopolitanum, der Heilsgedankc,
die Gottesidee, das filioque und drgl. Das neunte Capitel
lautet dann in der Ueberfchrift: Hierarchie und Myfterien
in der orthodoxen Kirche. Nun ift ja allerdings nicht
im 8. Capitel etwa die .Lehre' der orthodoxen Kirche
gefchildert, fondern es find nur beherrfchende Ideen
des religiöfen Lebens diefer Kirche dort aufgewiefen;
dennoch mufs ich zweifeln, foweit ich bis jetzt urtheilen
kann, ob nicht Capitel 9 hätte voran geftellt werden
müffen; m. a. W. ob nicht die gefammte folgende Betrachtung
von der .Kirche' hätte ausgehen müffen als
Cultusanftalt und weitefter fittlicher Gemeinfchaft der
Orthodoxen. Der Verf. fchreibt ja felbft der Kirche
eine überragende Stellung für das Bewufstfein der
anatolifchen Kirche zu (S. 330). Er läfst die Bibel dem
Volke durch den Cultus in diefer Kirche vermittelt
fein. (f. 292. Anm.). Er läfst von der Kirche eine
Stimmung ausgehen, die faft fo entfcheidet wie das
Dogma felbft. (f. 278). Das Conftantinopolitanum felbft
erfcheint ihm als liturgifche Formel (S. 269). Es ift in
der That fo, die Gemeinfchaft des Cultus und der Sitte
in der Kirche und durch die Kirche begründet das
anatolifche Chriftenthum. ,Sitte' ift natürlich im weiteften
Sinne zu verliehen. Mir fagte einmal der Expatriarch