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Ausgabe:

1892

Spalte:

594-596

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte des altkirchlichen Taufsymbols 1892

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Sohm darauf hin, dafs man, um die Anfchauung der
Reformatoren von dem Beruf der Obrigkeit zu verliehen,
fich der modernen Begriffe von Kirche und Staat ent-
fchlagen muffe. Diefe find dem 16. Jahrhundert noch
fremd. Es fufst auf der aus dem Mittelalter überkommenen
Anfchauung, wonach es nur ein chriftliches
Gemeinwefen giebt, welches von den beiden Schwertern,
dem geiftlichen und dem weltlichen, regiert wird. Die
Obrigkeit als folche, nicht blofs der Träger der obrigkeitlichen
Gewalt perfönlich, ift Glied der Kirche (inembrum
praecipuum, Art. Schmale de primatu Papac) und verpflichtet
, ihr Schwert in den Dienft derfelben zu ftellen.
Die typifche Form für diefe Anfchauungsweife ift die
Lehre von den drei kirchlichen Ständen, welche nicht erft,
wie es nach Sohm den Anfchein hat, in der Epigonenzeit
, als man aus Kleinglauben anfing, nach der Polizei I
zu rufen, aufgekommen ift. Sohm nennt nur zwei fpäte
Gewährsmänner derfelben, den Juriften Reinkingk und
den Theologen Joh. Gerhard. Er fagt nicht, dafs die
Lehre bereits bei Melanchthon, und zwar in der zweiten
Form der Loci (feit 1535), ausgebildet vorliegt und in
ihren Elementen auch bei Luther gar nicht feiten vor- j
kommt, nur nicht fyftematifch ausgebildet, denn Luther |
war kein Syftematiker. Die Dreiftändelehre kann als
die fyftematifche Darfteilung der reformatorifchen Anfchauung
von Kirche und Staat gelten. Die Obrigkeit
giebt dem, was von dem Lehramt dem Worte Gottes
gemäfs aufgeftellt wird, die rechtliche Sanction (doch
nicht ohne eigene Prüfung auf Grund des göttlichen
Wortes) und bringt es, fo weit dazu Zwangsgewalt noth-
wendig ift, zur Ausführung. Sie ift, nach Sohm's richtigem
Ausdruck, der weltliche Arm der Kirche. Kann man
aber von einer Kirche, welche einen weltlichen Arm
zur Ausführung und Aufrechthaltung ihrer Befchlüffe hat,
fagen, dafs fie ohne Kirchenrecht fei? Und doch hätte
dies, wenn Sohm's Darfteilung richtig ift, nach Luther's
Anfchauung der Fall fein müffen. Man mufs immer beachten
, dafs die Obrigkeit nicht von aufsen her, als ein
neben der Kirche flehender Bundesgenoffe, der Kirche
zu Hilfe kommt, fondern felbft ein Glied derfelben ift.
Auch verhält es fich keineswegs fo, wie von Sohm
wiederholt ftark betont wird, dafs nach urfprünglich
lutherifcher Anficht die Obrigkeit nur ausnahmsweife, in
Nothfällen einzugreifen berufen fei. Wohl befand man
fich in einem feltenen Ausnahmszuftand, als Luther
feinen Kurfürften zur Anordnung der Kirchenvifitation
aufforderte, und mufste diefer damals aus Noth Manches
in die Hand nehmen, was zunächft nicht feines Berufs
war. Aber auch im gewöhnlichen Lauf der Dinge konnte
es feiten an Anlafs zum Handeln, nach reformatorifcher
Anfchauung, für die Obrigkeit fehlen. Wiefern durch
die fpätere Errichtung der Confiftorien ein fo völliger
Bruch mit Luther's Principien gefchehen fei, wie Sohm
annimmt (S. 609), ift nicht abzufehen. Schon durch die
Inftruction von 1527 waren die kurfürftlichen Amtleute
angewiefen worden, erforderlichen Falls zur Erhaltung
der kirchlichen Ordnung mit ihrer Execution zu Hilfe zu
kommen. Wenn nachher, als diefe Execution fich ungenügend
erwies, der Landesherr zur Ausübung feiner
Function in der Kirche ein beffer geeignetes Organ ins
Leben rief, fo war das kein Bruch mit dem feitherigen
Gang der Dinge. Freilich hat von da an die Entwicklung
einen ganz anderen Verlauf genommen, als es
Luthern urfprünglich vorfchwebte, indem fich der kirchliche
Beruf der Obrigkeit zum unbefchränkten landesherrlichen
Kirchenregiment geftaltete. Aber man mufs
gerechter Weife fragen, ob es denn anders kommen
konnte bei der argen Verwilderung des Volkes, von
welcher das Gutachten der fächfifchen Landftände von
1538 Zeugnifs giebt, bei dem übermächtigen Zuge zur
unbefchränkten Fürftengewalt, welcher die ganze Zeit be-
herrfchte, bei der Nothwendigkeit ferner einer reichs-
gefctzlich anerkannten Vertretung gegenüber der feindlich
gefinnten Reichsgewalt und, last not least, bei dem
unbändigen dogmatilchen Hadergeift der Theologen.
An dem letzteren hat die auffteigende landesherrliche
Kirchengewalt vielleicht den ftärkften Rückhalt gehabt,
dieBifchofsverfaffung in Preufsen und die heffifchen Gene-
ralfynoden find an dem dogmatifchen Hader der Theologen
zu Grunde gegangen. So viel ift jedenfalls ge-
wifs, wenn man es, wie Sohm thut, in der Ordnung
findet, dafs Luther 1527 feinen Kurfürften zu Hilfe rief,
fo darf man es nicht als Kleinglauben fchelten, dafs
zehn Jahre fpäter die Männer der Kirche fich an die
weltliche Obrigkeit anfchloffen und auf deren von dem
Bewufstfein der Zeit widerfpruchslos anerkannten kirchlichen
Beruf zurückgriffen.

Man findet fich einigermafsen überrafcht, wenn man
bei einem Werke, welches vielfach entfehiedenen Wider-
fpruch herausgefordert hat, am Ende doch den Schlufs-
ergebnifsen im Ganzen nur zuftimmen kann. Ref. befindet
fich dem Werke Sohm's gegenüber in diefem Fall.
Was Sohm in dem Schlufsabfchnitte ausführt über das
Wefen des heutigen landesherrlichen Kirchenregiments
(vgl. S. 509 den fehr gelungenen Nachweis, dafs aus dem
allgemeinen Priefterthum das äufsere Kirchenregiment
nicht abgeleitet werden kann), über die Unmöglichkeit
eines bifchöflichen Kirchenregiments in unferer Kirche,
über die nothwendige Scheidung der beiden Aemter des
Regimentes (deffen Beruf die Erhaltung der kirchlichen
Rechtsordnung) und des Wortes (Predigt und Seelforge),
über die Zuftändigkeit des Kirchenregiments in Bezug
auf das Bekenntnifs, ift völlig zu unterfchreiben; auch
was von dem Amte der Superintendenten gefagt wird,
dafs es ein Amt des landesherrlichen Kirchenregiments
geworden fei, ift richtig wenigftens in Beziehung auf die
Superintendenten niederen Ranges (in Süddeutfchland
Decane genannt). Anders ift es mit dem Amte der Ge-
neralfuperintendenten; diefes ift ein Amt des Wortes
und der Seelforge und follte als folches immer noch
mehr zu einem geiftlichen Auffichtsamte ausgebildet
werden , welches über dem Pfarramte nicht fehlen darf.
Wenn übrigens an einer früheren Stelle (S. 581) der Verf.
fragt: ,ift es fo unmöglich, die Kirche im Sinne der
Reformatoren durch das Ordnung erhaltende Wort zu
regieren?' (die Meinung ift: allein durch das Wort), fo
wird ihm Jeder, der einigen Einblick in diefe Dinge hat,
die Frage mit Beftimmtheit bejahen. Ohne rechtliche
Ordnung kann es bei einigermafsen entwickelten Verhält-
nifsen ein Regiment, es fei in der Kirche oder irgend
einer anderen Gemeinfchaft, nicht geben. Darin wird
die communis opinio gegen Sohm's fcharfen Widerfpruch
Recht behalten. Auch die ausgefprochenfte Freiwillig,
keitskirche ift nicht ohne irgend ein Moment von Rechtsordnung
, mindeftens als Vertragsrecht. Zu den Anfangs-
zuftänden der Urzeit zurückzukehren, ift ein Ding der
Unmöglichkeit. Will man aber, wie Sohm auch an der
angeführten Stelle im weiteren Verlaufe thut, während
man von der Kirche jedes Recht ausfchliefst, gleichzeitig
für Nothfälle auf die Zwangshilfe des weltlichen
Schwertes pochen, fo ift das die ärgfte Folgewidrigkeit,
die man begehen kann, und bei der heutigen Lage des
öffentlichen Rechts eine völlig haltlofe Erwartung.

Darmftadt. K. Köhler.

Kattenbusch, Prof. D. Ferd., Beiträge zur Geschichte des
altkirchlichen Taufsymbols. Giefsen, [Ricker], 1892. (56 S.
gr. 4.) M. 1. 40.

In diefem werthvollen Programm hat der Verf. nach
einer Einleitung, die befonders Caspari's gedenkt, drei
Vorarbeiten zu einer vollftändigen Gefchichte des kirchlichen
Tauffymbols veröffentlicht. Das erfte Stück
handelt vom Wortlaut des altrömifchen Symbols. Ich
war bisher der Meinung, dafs Caspari diefe Frage zum

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