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Ausgabe:

1892

Spalte:

578-580

Autor/Hrsg.:

Roi, J.F.A. de le

Titel/Untertitel:

Die evangelische Christenheit und die Juden 1892

Rezensent:

Kühn, Bernhard

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eigenen theologifchen Speculation, fo ift es auch unmöglich
, den NTlichen Miffionsgedanken als ein Er-
zeugnifs paulinifcher Reflexion zu bezeichnen' (S. 63).
Auch Chriftus ift im Strengen Sinn nicht der eigentliche
Schöpfer des Miffionsgedankens. Chriftus felbft bleibt
bei der eigenen Autorität nicht flehen (S. 67). In der
Gewifsheit, dafs der Urfprung der Miffion in Gott liegt,
wurzelt nicht nur aller fubjective Miffionsgehorfam, fondern
auch der gefammte objective Miffionsbeftand (S. 69).
,Woher foll das Chriftenthum den majeftätifchen Uni-
verfalismus, die weitherzige Liebe und den eigenartigen
Sendungsauftrag haben, wenn fle nicht göttlichen Ur-
fprungs find' (S. 71)? Der Profelytismus des Judenthums
kam nicht über die national beftimmte Gefetzesreligion
hinaus; das Heidenthum hat die Religion nationalilirt
und die Einheitlichkeit des Menfchengefchlechts zerftört.
Die Religionsmifchung innerhalb der griechifch-römifchen
Völkerwelt ift ein Zeichen der Auflöfung der alten heid-
nifchen Religionen wie der Eklekticismus der philo-
fophifchen Syfteme, aber fie konnte nicht an eine Bekehrung
der Völker zu einer einigen religiöfen Wahrheit
auch nur denken, gefchweige eine Art Miffion für die-
felbe organifiren (S. 81). Schwieriger ift die Frage für
den Buddhismus, die ältefte aufserchriftliche Miffions-
religion (S. 85). Allein es kann in keiner Weife nach-
gewiefen werden, dafs der NTliche Miffionsgedanke aus
dem Buddhismus flamme. Warneck hält es eher für
möglich, dafs der erft von der fpäteren Legende dem
Buddha in den Mund gelegte directe Miffionsbefehl eine
chriftliche Reminiscenz fei (S. 89). Ueberdies behauptet
er, der Miffionsgedanke des Buddhismus fei von dem
des Chriftenthums verfchieden, er fei nicht wie der NTliche
auf eine wirkliche Weltmiffion angelegt und nicht
die naturgemäfse Confequenz der Grundlehren des
Buddhismus, fondern flehe vielmehr im Widerfpruch
mit denfelben (S. 90). Dies möchte Ref. entfchieden
beftreiten. Leider haben diejenigen Philologen und Hifto-
riker, deren Werke über den Buddhismus als erfte Autorität
gelten, fo wenig theologifchcs Senforium, dafs fie
den Gedanken: ,Die ganze Welt braucht einen Erlöfer,
und diefer Erlöfer ift gekommen', nicht als den Grundgedanken
des Buddhismus erkennen und in den Vordergrund
{teilen. Es wird vielmehr nach der Schablone der
radicalften Bibelkritik der Anfang der neuen Religion
möglichft dürftig dargeftellt und alle univerfaliftifchen Gedanken
möglichil weit herabgedrückt, und dazu hat man
bei dem Mangel aller Chronologie in Indien über viele
Jahrhunderte volle Freiheit. Dabei wird in keiner Weife
erklärt, wie aus dem Afketenverein eine Volksreligion
geworden, wie überhaupt der atheiflifche Buddhismus
zur Religion geworden, und wie die Perfon des Buddha
ganz anders in den Vordergrund tritt als in andern
indifchen Syftemen. Wenn Warneck fagt: ,Es find Gedanken
der Propaganda unter verfchiedenen Nationalitäten
und Ständen, was der Buddhismus proclamirt,
aber es ift keine Weltmiffion' (S. 90), fo möchten wir
doch fragen: wie grofs war die Welt der erften Bud-
dhiften? — Es waren die Nationalitäten und Stände in
dem Dreieck von Vorderindien, das der buddhiftifche
Weltenteller abbildet. Oder follte es dem Offenbarungscharakter
des Chriftenthums Abbruch thun, wenn wir
behaupten: auch der Buddhismus ift unabhängig vom
Chriftenthum auf den Gedanken einer Weltmiffion gekommen
? Ift es nicht vielmehr ein neuer Beweis dafür,
wie fehr ,die Zeit erfüllet war', wenn auch im fernen
Offen die Erlöfungsbedürftigkeit der ganzen Menfchheit
von Millionen erkannt wurde? — Ob die Religion des
Buddha die verheifsene Erlöfung wirklich gebracht hat
und bringen kann, das ift eine andere Frage, aber dafs
fie den Gedanken einer Weltmiffion erfafst hat, wird
man nicht leugnen können, und es ift eine ungegründete
Behauptung, dafs derfelbe im Widerfpruch mit den
Grundlehren des Buddhismus flehe.

Die biblifche Begründung der Miffion behandelt
Warneck ausführlich nach der dogmatifchen, ethifchen
und exegetifchen Seite. Unter den paulinifchen Briefen
wird namentlich der Römer-, Galater- und Epheferbrief
genauer durchgegangen, und es ift intereffant, wie fo
manche bekannte biblifche Ausfprüche, unter den Mif-
fionsgefichtspunkt geftellt, eine neue Bedeutung und
neuen Zufammenhang bekommen, welche hervorragende
Stellung überhaupt bei genauerer Betrachtung die Miffion
im N.T. einnimmt. Es würde zu weit führen, wenn
wir auch in diefen Abfchnitt, in welchem der Verf. am
wenigften Widerfpruch finden dürfte, näher eingehen
wollten.

Bei der kirchlichen Begründung fagt Warneck:
I ,Es ift doch eine überrafchende Erfcheinung, dafs das
urfprünglichfte, centralfte und als Jefusftiftung legitimir-
tefte NTliche Amt, dem die chriftliche Kirche ihren
ganzen Beftand verdankt, dafs das Sendungsamt fich
mühfam die kirchliche Anerkennung als einer der Gemeinde
des Herrn immanenten dienftlichen Lebensfunc-
tion erft wieder erobern mufs! Und diefe feltfame Erfcheinung
ift nur erklärlich daraus, dafs die Kirche in
engherziger Befchränktheit auf ihre innere Erbauung den
weiten Blick auf ihre menfehheitliche Stellung verloren,
und in diefer Engherzigkeit fich gewöhnt hat, die Miffion
als eine Art kirchliches Almofen zu behandeln' (S. 261).
,Der miffionarifche fleht dem nichtmiffionarifchen Kirchen-
dienft völlig gleichwertig zur Seite, er ift ihm nicht
unter-, fondern nebengeordnet' (S. 262). Warneck übertreibt
aber offenbar die Anfprüche der Miffion, wenn er
fagt: ,Gemeffen an der centralen Stellung, welche nicht
blofs im kirchlichen Arbeitsorganismus, fondern in der
ganzen göttlichen Heilsökonomie die Miffion einnimmt,
müfsten ihr mehr als zehnmal foviel Mittel zu Gebote
flehen, wie der Verforgung der Evangelifchen in der
Diafpora, wenn die Vertheilung in correcter Proportionalität
zur Dignität beider Werke gefchähe' (S. 265).
Dagegen werden wir feinen Proteft gegen A che Iis verliehen
, der in feiner Praktischen Theologie die Miffion
unter die freien Vereinigungen rubricirt.

Die gefchichtliche Begründung hebt hervor,
wie die Weltgefchichte auf die Miffion veranlagt ift,
und befpricht die verfchiedenen Miffionsperioden; die
ethnologifche behandelt hauptfächlich die Frage, ob
alle Völker für die Aufnahme des Chriftenthums quali-
ficirt feien.

So wird in dem Buch der Stoff nach verfchiedenen
Seiten in wiffenfehaftlicher und doch auch für gebildete
Laien verftändlicher Form verarbeitet; wir finden eine
reiche Fülle von anregenden Gedanken, von felbftftän-
digen Schriftauslegungen, von gefchichtlichen Beobachtungen
und praktifchen Erfahrungen, und es ift dasfelbe
gewifs geeignet, das Intereffe für den Gegenftand zu
wecken bei folchen, die ihm noch ferner flehen, und
diejenigen zu befriedigen, welche für die Praxis auch
eine wiffenfehaftliche Begründung fuchen.

Echterdingen. p Wurm.

Roi, Paft. Lic. J. F. A. de le, Die evangelische Christenheit

und die Juden, unter dem Gefichtspunkte der Miffion
gefchichtlich betrachtet. 2. u. 3. Bd. [Schriften d. In-
ftitutum judaicum in Berlin, Nr. 9.] Berlin, Reuther,
1891/92. (VIII, 354 u. VI, 453 S. gr. 8.) M. 12. 30.

Dem erften Bande diefes Werkes, der vor mehreren
Jahren erfchien und das Verhältnifs zwifchen Juden und
Evangelifchen im Zeitalter der Reformation behandelte,
hat der Verfaffer nun im vorigen Jahre den zweiten und
in diefem den dritten folgen laffen. Welche umfangreiche
Stoffmenge hier verarbeitet ift, davon geben die
dem dritten beigegebenen Regifter für alle drei Bände
Auskunft: fie umfaffen jedes einzelne weit über taufend