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Ausgabe:

1892 Nr. 2

Spalte:

34-35

Autor/Hrsg.:

Westphal, Alexander

Titel/Untertitel:

De epistulae Pauli ad Romanos cap. 7, 7 - 25 commentatio 1892

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 2. 34

diefelbe als die unvermeidliche Confequenz der Tübinger
Kritik; die Stellung des Römerbriefs fo ziemlich am
Anfange der chriftlichen Literatur widerfpreche dem
Gefetz der Entwickelung vom Kleinen zum Grofsen.
Die eigentliche Beweisführung ift eine biblifch-theolo-
gifche, eine fprachliche und eine hiftorifche. Der Römerbrief
erfcheint als eine Compofition aus vier Elementen:
G1 umfafst die Stellen 1, 18—2, 15. 17—19; 12, 9—13,
13; 16, 17—20, worin das Heil noch an die Beobachtung
des Gefetzes geknüpft erfcheint und befonders häufige
Berührungen mit dem Jacobusbriefe auffallen; zu G2 gehört
3. 1—20. 27—4, 24; 7, 7-24; 9, 6—33; 11, 1—36,
worin vielmehr dem Glauben die entfcheidende Rolle
zufällt und als eigentlicher Retter nicht fowohl Chriftus,
als der allwirkfame Gott erfcheint; JC umfafst 1, 1—17;
2, 16; 3, 21—26; 4, 25—5, 21; 9, 1—5; io, 1—21; 15,
8—13; 16, 21 — 27, wobei als leitende Idee die des ftell-
vertretenden Todes erfcheint; endlich CJ mit 6, 1—7, 6;
8, 1—39; 12, 1—8; 13, I4—L5, 7- 14—33; 16, 1—16 mit
der ethifchen (ftatt juriftifchen) Erlöfungslehre, der Lehre
vom Geift und den myftifchen Anklängen. Nicht
ohne Spuren von Sorgfalt ift das fprachliche Capitel behandelt
, welches ein Vocabularium des ganzen Briefes
enthält und zeigt, wie die verfchiedenen Verfaffer fich
mit Vorliebe bald diefer bald jener Elemente desfelben
bedienen. Die hiftorifche Unterfuchung endlich confta-
tirt, dafs unter den vier Verfaffern höchftens G 1 mit
dem Apoftel Paulus identifch gewefen fein kann, wiewohl
felbft er über den wahrfcheinlichen Standpunkt
eines zum meffianifchen Anhang übergetretenen Phari-
fäers hinausgeht. Die wachfende Befriedigung, womit
man folches lieft, wird endlich gekrönt, indem die eng-
lifche Ausgabe auf den beiden letzten Seiten das Ganze
für einyk« d'esprit erklärt: es habe nur gezeigt werden
follen, wie man die Unechtheit und den Compofitions-
Charakter jedweder aus dem Alterthum überlieferten
und felbft diefer und jener modernen Schrift darzuthun
vermöge. Die deutfche Ausgabe giebt in der Hoffnung,
dafs Jemand auf den Witz hereinfallen möge, ftatt diefer
Abnahme der Maske noch eine nachträgliche Ausein-
anderfetzung mit Völter.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Haussleiter, Johs., Der Glaube Jesu Christi und der christliche
Glaube. Ein Beitrag zur Erklärung des Römerbriefes
. [Aus: ,Neue kirchl. Zeitfchr.'] Leipzig,
Deichert Nachf., 1891. (IV, 62 S. gr. 8.) M. —. 60.

Die Studie will beweifen, dafs Rom. 3,22 und 26
niaxie, 'lifjov von den erften Lefern nur analog der 71 iniig
lAßqadfi ,4,16 verftanden werden konnte und dafs auch 1,17
ix friaxtiog elg ninxiv nur einenSinn gewinnt,wenn der erfte
Ausdruck auf den heilvermittelnden Glauben Jefu, dann
aber auch die citirte Habakukftelle ix niaxsmg 'Qr]aexai als
meffianifcheWeisfagung auf Chriftus, nicht aber, als handle
es fich um Begründung des sig ntoriv, auf den Chriften
bezogen wird. Das Refultat ift unwahrscheinlich, aber fowohl
in fprachlicher, wie in biblifch-theologifcher Beziehung
forgfältig vorbereitet, fo dafs die Exegefe
des Römerbriefes damit zu rechnen haben wird, zumal
da auch weitere Unterfuchungen (befonders über die
Bezeichnung Chrifti in den paulinifchen Briefen) fich
daran fchliefsen. Die vielgehörte Behauptung, dafs Jefus
im N. T. nur als Object, nicht auch als Subject des
Glaubens auftrete, fcheitert übrigens fchon an Hebr. 12,
2; vgl. v. Soden zu der Stelle. Dem Autor ad Hebraeos
fleht Chriftus freilich einerfeits höher und ferner, anderer-
feits auch wieder menfehlich näher, als dem Paulus.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Westphal, Alexander, De epistulae Pauli ad Romanos
cap. 7, 7—25 commentatio. Tolosae, Chauvin et fils,
1888. (56 S. gr. 8.)

In diefer Studie verfucht der Herr Verfaffer eine
neue (übrigens doch fchon von Wabnitz in Montauban
(?) in feinen Vorlefungen über den Römerbrief, 1880/81,
vorgetragene, vgl. p. 8, A. 1) Auffaffung der genannten
vielumftrittenen Stelle, welche nach Calvin's Wort .Chris-
tiani violenter torserunb, exegetifch zu begründen.

In unferer Stelle find nach W. weder die that-
fächliehen Angftkämpfe des noch unwiedergeborenen
Paulus-Saulus gefchildert — denn abgefehen davon
, dafs diefe gefchichtlich nicht bezeugt find, ftimmen
dazu termini wie: nl'öafttv, oxi 6 vofi. nvevLiaxixög
EOTiv (v. 14), oder b d-ilco dyaihov (v. 19) oder
ovvrjdofiai x. vöfi. x. &sov (v. 22) u. a. m. gar nicht
— noch werden in ihr Erfahrungen und Gemüthszu-
ftände, bezw. Anfechtungen des im Gnadenftand flehenden
Apoftels befchrieben — denn mit der Thatfache
einer ,xaivij xxloig' find Ausdrücke wie iyio aäqxivog
tif.ii, ntTcqafiivog vnh xbv afiaqxiav (v. 14b) oder
öovXsvü) voftto afiaqxiag (v. 25) u. a. durchaus unvereinbar
— noch handelt es fich in ihr um einen in die
letzten Tage des Sau lus fallenden inneren fittlichen
Zwiefpalt desfelben unter dem Anfturm chriftlicher
Gedanken (Ritfehl, vgl.p. 7, A. 1) — denn die Annahme
eines folchen ift unverträglich mit feinen wirklichen Be-
kehrungsverhältnifsen und mit dem ,testimonium Pauli
Saulo datum1, (Act. 22. 3—6; Gal. 1, 13—16; Phil. 3, 4—
6, u. a.) — noch endlich findet fich darin das Ergebnifs
einer allgemeinen pfychologifchen Beobachtung des
Ap. — denn der feither in Rom. 7 gefundene ,Gemüths-
zuftand' exiftirt in Wirklichkeit überhaupt nicht. —
Vielmehr, meint unfer Autor, laffe unfer Abfchnitt,
der eine gedrängte Zufammenfaffung (wohl in 7, 1—6,?),
der früheren capp. (wohl 1—6?) krönend abfchliefse
das Licht der glückfeligen Gegenwart auf eine
troftlofe Vergangenheit fallen, indem er zeige, wie
Gottes Gerechtigkeit allein im Evangelium offenbar
werde, weil derMenfch auch beim bellen
Gebrauch der Geiftes- und Seelenkräfte von
fich aus jene Gerechtigkeit weder erfaffen noch
auch nur denken könne.

Referent hat den Eindruck, dafs es W. im Grofsen
und Ganzen gelungen fei, für diefe Auffaffung unferer
Stelle den exegetifchen Nachweis (vgl. p. 8—55) zu
führen. Einzelne Verfe (z. B. 14 f. 16. 18 f.'25), die bei
den bisherigen Erklärungen von Schwierigkeiten gedrückt
bleiben oder bei genauer Faffung der termini
keinen befriedigenden Sinn geben, treten bei W.' Faffung
in ein helles Licht. Nehmen wir, da wir dem Verfaffer
hier unmöglich in die Einzelheiten folgen können, bei-
fpielshalber v. 14 f. heraus.

Nachdem der Apoftel im Vorhergehenden gezeigt,
wie die Betrügerin Sünde das an fich pneumatifche Gebot
des Gefetzes — gegen deffen Abficht — durch
eine grob-äufserliche Deutung desfelben fich gleichfam
zum Bundesgenoffen und dadurch zu einer Verderbensund
Todesquelle für den Menfchen gemacht habe, führt
er in v. 14 zum Beweife diefes Paradoxon den tiefgreifenden
Zwiefpalt zwifchen dem Gefetz und dem auf fich
felbft geftellten .fleifchlichen Ich' an. ,Wir, d. i. wir chriftlichen
Pneumatiker, wir Leute des Gnadenftandes, wiffen,
dafs das Gefetz (wie Gott felbft) geift lieh ift (der es
wirklich Erfüllende alfo h. Geift in fich haben mufs),
ich aber (d. i. das urfprünglich dem Willen Gottes
entfprechende und geiftestheilhaftige, durch die Sünde
aber ,propius animalia' und zur .natura brutdund jorma
tantum inanis' herabgefunkene, des itvevtia baare Menfchen
wefen, vgl. 39.38) fleifchlich bin (AXessentialiter
caro, nvevfia «»; Sffaf, daher auch xct xnv nvevft. non
mtelligcns und ,a legis foco ac natura, i. e. spiritu, plane

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