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Ausgabe:

1892 Nr. 20

Spalte:

492-493

Autor/Hrsg.:

Holtzmann, Heinrich Julius

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament. 3., verb. u. verm. Aufl 1892

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 20.

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die an zufällige Aehnlichkeiten anknüpfen, analog den
Bildern, die in unferen abc-Büchern den Buchftaben beigefügt
werden. Referent vermag diefe Annahme nicht
zu theilen. So lange von 22 Zeichen 13 ohne allen Zwang
als die — wenn auch rohe — Figur des Gegenftands erkannt
werden können, den der Name des Buchftaben
nennt, wird man an der alten Erklärung fefthalten
können, dafs der Erfinder z. B. ein Auge malte und
als Zeichen für den Confonanten afitt wählte, weil fo
am fchnellften an den Anlaut des Wortes ajin erinnert
wurde. Das Princip mag den Hieroglyphen entlehnt
fein; die Wahl der Zeichen im Hinblick auf die Anlaute
femitifcher Wörter wird dem Erfinder unferes Alphabets
nicht abgefprochen werden dürfen.

Für einen Mifsgriff mufs es Referent erklären, dafs
S. 126 u. a. das archaiftifche phönicifche Alphabet in
Typendruck geboten wird, oder genauer, dafs die betreffenden
Typen ganz ungefchickt gefchnitten find. Am
Mefatypus gemeffen geben hier die Formen für gimel,
zajin, cheth, taw ein völlig unrichtiges, fehr viele andere
ein fehr ungenaues Bild des Buchftaben. Das die ur-
fprüngliche Schrift mehr etwas unterfetztes (trapu) gehabt
habe, dürfte ebenfo fehr blofse Hypothefe fein, wie die
Annahme eines Uralphabets mit weniger als 22 Buchftaben.

Wir übergehen die Befprechung der gräco-italifchen
Alphabete und die allgemeine Erörterung der femitifchen
(mit einem trefflichen Facfimile der Efchmunazar-In-
fchrift) in Capitel II—IV, um noch einen Augenblick
bei Capitel V, dem Hebräifchen Alphabet, zu verweilen.
Referent mufs bekennen, dafs ihm in diefem Abfchnitt
allerlei recht befremdlich erfchienen ift. Kann man ein
Facümile des Mefa-Steines mittheilen, in welchem der
noch auf Stein vorhandene Theil dunkel, der dem Ab-
klatfch entnommene hell geboten wird, ohne ein Wort
der Erklärung über Urfprung und Sinn diefer Unter-
fcheidung? Dafs auf die Verdienfte Smend's und Socin's
um die Lefung der Infchrift auf S. 190 gar zu unmerklich
hingewiefen wird, mag nur beiläufig erwähnt fein.
Geradezu auffällig ift aber die Behandlung der Siloahin-
fchrift. Für die Gefchichte der Auffindung mufs ein
Verweis auf das Journal des debats vom 16. April 1882
genügen, in Betreff der Datirung wird auf das Urtheil
von Renan und Neubauer recurrirt. Mufsten denn die
Bemühungen des deutfchen Paläftinavereins um diefe
Sache und die umfänglichen Verhandlungen darüber in
der deutfchen Paläftinazeitfchrift von 1881 mit aller Gewalt
todtgefchwiegen werden? Faft fcheint es fo. Doch
bekennt Referent gern, dafs er nach dem, wie er den
Verfaffer fonft kennen gelernt hat, hier wie in einigen
verwandten Fällen nicht recht an Abficht glauben kann.
Uebrigens ift das auf S. 202 f. vorgeführte Alphabet der
Siloahinfchrift mehrfach ungenau.

Aus dem Bereiche des 6. Capitels, den Alphabeten
der Aramäer (,der eigentlichen Verbreiter der Schrift
im Alterthum') ift von hohem Intereffe das — leider fehr
fragmentarifche — Facfimile der Infchrift auf der fogen.
Panammu (Verf. fchreibt Panemou)-Stele aus dem letzten
Viertel des 8. Jahrh. v. Chr. Im Frühjahr 1888 bei Send-
fcherly in Nordfyrien von den Beauftragten des Berliner
Orient-Kommittee's ausgegraben, fleht fie feit 1889 unter
den,vorderafiatifchenAlterthümern' des Berliner Mufeums,
aber das Copiren der Infchrift ift bis heute ftreng verboten
. Warum? hat Referent nicht ergründen können;
es müffen aber ganz merkwürdige Gründe fein, die dazu
nöthigen, eine längft öffentlich ausgeftellte Infchrift von
fo aufserordentlichem Intereffe der wiffenfchaftlichen Dis-
cuffion vorzuenthalten. Dasfelbe gilt von der nahe
dabei flehenden Statue des Gottes Hadad (im Katalog
ca. 800 v. Chr. angefetzt) mit ihrer umfänglichen fchön
erhaltenen Infchrift; Referent wird nicht der einzige fein,
der bei der Betrachtung derfelben von einem brennenden
Verlangen erfüllt worden ift, endlich ein Facfimile zu
freier Verfügung zu erhalten. Das Facfimile der Panam-

mu-Stele, an welches Berger feine Entzifferungsver-
fuche knüpft, entflammt einer Photographie, die E. Renan
von Hamdy Bey erhielt.

Die Cap. 8—10 des 2. Theils behandeln die indifchen
Alphabete, die iranifchen und femitifchen Derivate des
aramäifchen Alphabets, fowie die Vocalpunkte; ein
dritter Theil endlich die ,Alphabete vom Saum der alten
Welt' (Himjarifch, Berberifch, Iberifch, Irifch, die Runen
und nordafiatifche Schriftarten). Intereflante Erörterungen
über die Möglichkeit und die Ausfichten einer
honetifchen Orthographie (die nicht mehr fechs Zeichen
raucht, um die zwei Laute von aiment wiederzugeben!)
machen den Befchlufs. Vielleicht werde man eine neue
Schrift für die Intereffen des Handels und Verkehrs erfinden
, während die alte als Sprache der Gelehrten und
der Schule bleibt.

Auf Einzelnes einzugehen, verbietet der Raum.
Schon aus obiger Skizzirung des Inhalts dürfte fich zur
Genüge ergeben, dafs uns der Verfaffer eine nicht nur
prächtig ausgeftattete, fondern auch inhaltreiche und
vielfach förderliche Gabe dargeboten hat. In einigen
Punkten freilich wird die rechte Verwerthung von dem
Grade der Vorkenntnifse und dem Mafse der Kritik abhängen
, die der Lefer zu dem Studium bereits mitbringt.

Halle a. S. E. Kautzfeh.

Holtzmann, Prof. D. Heinr. Jul., Lehrbuch der historischkritischen
Einleitung in das Neue Testament. 3. verb. u,
verm.Aufl. Freiburgi/B.,J.C.B. Mohr, 1892. (XVI, 508 S.
gr. 8.) M. 9. 6b.

Die beiden erften Auflagen diefes Werkes folgten
einander binnen Jahresfrift (1. Aufl. 1885, 2. Aufl. 1886).
Obwohl faft gleichzeitig das denfelben Gegenftand behandelnde
Werk von Weifs erfchien, das ebenfalls rafch
hintereinander zwei Auflagen erlebte (1. Aufl. 1886, 2. Aufl.
1889), ift jetzt doch bereits eine dritte Auflage nöthig
geworden. Wie jedes der beiden Werke feine eigenartigen
Vorzüge hat, fo haben fie demnach auch Ausficht
, fich nebeneinander zu behaupten. Die bekannten
und in diefen Blättern fchon wiederholt gewürdigten Vorzüge
von Holtzmann's Arbeit bewähren fich auch bei
ihrem abermaligen Erfcheinen. Mit raftlofem Fleifse hat
der Verfaffer überall gebeffert und ergänzt. Die neuere
Literatur ift wieder für die fpeciellften Einzelfragen mit
einer Vollftändigkeit berückfichtigt und notirt, die das
Buch felbft für den Fachmann zu einem unentbehrlichen
Hülfsmittel macht. Zugleich dient es aber auch dem
Anfänger durch die vortreffliche Orientirung über den
Stand aller Fragen der neuteftamentlichen Kritik. Referent
kann zwar auch diesmal den Wunfeh nicht zurückhalten,
dafs gegenüber der Ueberfülle von Literaturangaben,
auch der Behandlung der Probleme felbft (z. B. bei den
Korintherbriefen) etwas mehr Raum gegönnt werden
möchte; indeffen erkennt er an, dafs dies unter Feft-
haltung der bisherigen Vorzüge nur bei einiger Erweiterung
des Umfangs möglich fein würde.

Die Aenderungen der neuen Auflage betreffen vorwiegend
die Fülle der Einzelheiten. Der Text im Allgemeinen
hat keine ftärkeren Eingriffe erfahren. Nur
etwas äufserliches ift es, dafs jetzt die katholifchen Briefe
nicht mehr am Schlufs nach der johanneifchen Literatur,
fondern an etwas früherer Stelle bei den übrigen Briefen
des N. T. behandelt werden. In der veränderten Stellung
, welche dabei dem Jakobusbrief angewiefen ift
(nicht mehr vor, fondern nach den petrinifchen und
Judas), kommt das Urtheil über deffen Entftehungszeit
zum Ausdruck.

Eine Nachlefe der Literaturangaben zu liefern hat
Holtzmann's Fleifs dem Recenfenten fehr fchwer, ja faft
unmöglich gemacht; und in den feltenen Fällen, wo man
fich dazu verfucht fühlen könnte, wird die Nichterwäh-