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Ausgabe:

1892

Spalte:

458

Autor/Hrsg.:

Michael, Emil

Titel/Untertitel:

Ignaz von Döllinger. 2. verm. Aufl 1892

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Papft als den Anftifter des Zuges bezeichnete — Baumgarten
nimmt nur feine Zuftimmung an — fo wurde der
Unwille gegen die Curie auf den höchften Grad gefteigert.
Welche nachtheilige Wirkungen dies auf das Anfehen der
katholifchen Kirche in Ueutfchland ausübte, erkennen
wir vornehmlich aus den von Baumgarten im reichften
Mafse verwertheten Schilderungen der päpftlichen Nuntien
Vergerio und Morone. ,Wie todt lag alles katholifche
Wefen in Deutfchland darnieder'. Auch in den folgenden
Jahren blieb die politifche Lage für die Proteftanten eine
aufserordentlich günftige, da Ferdinand's Autorität im
Reich gleich Null, der Kaifer durch fein Unternehmen
gegen Tunis und dann durch den wiederausbrechenden
Krieg mit Frankreich in Anfpruch genommen war, der
Schmalkaldifche Bund aber, von Frankreich und England
eifrig umworben, eine europäifche Machtftellung erlangte.
Aber die Proteftanten verftanden diefe Umftände in keiner
Weife auszunutzen, um fich dauernd vor dem Kaifer
zu fichern. Uie von letzterem in diefen Jahren gegenüber
den Proteftanten verfolgte Politik war bisher faft
ganz in Dunkel gehüllt. Namentlich wufste man fich
das fchroffe Auftreten Held's auf dem Schmalkaldener
Bundestag von 1537 nicht zu erklären, da es fowohl der
damaligen Lage des Kaifers, als der Held ertheilten geheimen
Inftruction widerfprach. Erft durch die Darlegungen
Baumgarten's und den von ihm geführten Nachweis
, dafs Held neben jener geheimen franzöfifchen Inftruction
eine ganz andere deutfche in Händen hatte, und
es ihm freigeftellt war, nach Umftänden die eine oder
die andere zu benutzen, find wir hierüber in befriedigender
Weife aufgeklärt worden. Auch über den von Held
geftifteten katholifchen Gegenbund und das merkwürdige
Verhalten Karl's zu demfelben erhalten wir von Baumgarten
zum erften Mal genaueren Auffchlufs. — Sehr
intereffant und vollftändig neu find dann ferner feine Mittheilungen
über dieBeziehungen der Proteftanten zu Frankreich
im Jahre 1538. Vergebens hatte Franz I. fich bemüht
, die Proteftanten während feines Krieges mit
Krankreich in engere Verbindung mit fich zu bringen.
Um fo überrafchender ift es da, dafs fie in dem Augenblick
, wo Franz fich anfchickt, mit Karl Frieden zu
fchliefsen, ihrerfeits diefe Verbindung zu erftreben anfangen
, allerdings unter Bedingungen, die für Franz fehr
wenig Verlockendes hatten. Trotzdem wurde der König
hierdurch vielleicht in feiner Abneigung beftärkt, mit
Karl, wie diefer wünfchte, gemeinfchaftliche Sache gegen
die Proteftanten zu machen. Der Kaifer gewann aus den
Friedensverhandlungen von Ende 1537 und Anfang 1538
die Ueberzeugung, dafs Franz bei einem Angriff auf die
Proteftanten nicht ftillfitzen, fondern die Gelegenheit zur
Eroberung Mailands benutzen werde. So befand fich
denn der Kaifer auch nach dem Waffenftillftand zu Nizza
nicht in der Lage, gegen die Proteftanten vorzugehen,
um fo weniger, als die Barbaresken die Küften Italiens
von neuem und ärger denn je verwüfteten. In dem fo-
genannten Frankfurter Anftand von 1539 mufste er den
Proteftanten neue, wenn auch nur fehr geringe Zugeftänd-
nifse machen. Da der Papft ihm hierüber feine gröfste
Unzufriedenheit zu erkennen gab, und der Tod ihm zugleich
feine innig geliebte Gemahlin entrifs, fo fchien
lieh alles zu vereinigen, um dem Kaifer das Leben zu
verbittern. Und doch eröffnete ihm gerade jetzt die
unbezähmbare Sinnlichkeit des Landgrafen die Bahn,
auf der er zu dem gröfsten Triumph feines Lebens
fchreiten follte. Die Darftellung diefer Entwickelung wird
den Inhalt des folgenden Bandes bilden. Möchte es dem
Verfaffer vergönnt fein, diefen in nicht allzu langer Zeit zu
vollenden und damit das Werk zum Abfchlufs zu bringen.

Weimar. Ii. Virck.

Sembrzycki, Jobs., Die Reise des Vergerius nach Polen
1556 — 1557, sein Freundeskreis und seine Königsberger

Flugschriften aus dieser Zeit. Ein Beitrag zur pol-
nifchen und oftpreufsifchen Reformations- und Lite-
raturgefchichte. |Aus: ,Altpreufsifche Monatsfchrift'.]
Königsberg, F. Beyer, 1890. (72 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Diefer Separatabdruck aus der Altpreufsifchen Monatsfchrift
(Bd. 27. 1890) ift wohl werth, als eigene Brofchüre
ausgegeben zu werden. Denn auf Grund genauer Kenntnifs
der einfehlägigen Literatur, befonders auch der polni-
fchen, welche in anderen Gegenden unferes Vaterlandes
ebenfowenig bekannt ift als verftanden wird, erhalten
wir hier durch die Feder des gelehrten Apothekers eine
eingehende Befchreibung der erften Reife, welche Petrus
Paulus Vergerius d. J. von Stuttgart aus nach Preufsen
und Polen (Königsberg, Wilna, Soldau, Warfchau, Krakau)
unternommen hat, fowie über feine fruchtbare polemifche
und literarifche Thätigkeit dafelbft (Juni 1556 bis Frühjahr
I557)- Nach einer kurzen Schilderung der religiöfen
Verhältnifse in Polen und der Anftrengungen, welche die
Anhänger beider Confeffionen für den Sieg ihrer Partei
machten, geht der Verfaffer über zu Verger's Berufung
und Reife nach Königsberg (Sommer 1556). Der frühere
Bifchof von Capo d'Iftria war wegen feiner Kenntnifs
der römifchen Verhältnifse, wegen feiner dialektifchen
Gewandtheit, feiner Gelehrfamkeit und feiner fcharfen
Feder der geeignetfte Kämpe gegen Lipomani und Ho-
fius; in einer Stattlichen Anzahl polemifcher und faty-
rifcher Schriften hat Verger diefen Ruf gerechtfertigt.
Der Verfaffer hat die bei Sixt (P. P. Vergerius. 1855)
S. 595 ff. nicht angegebenen Werke und Ausgaben genau
befchrieben und befonders aus Vorreden und Widmungen
mit Scharffinn und Gefchick manches bisher nicht Bekannte
und Beachtete über diefen Abfchnitt in Verger's
Leben und über die polnifchen Verhältnifse herausgezogen
und klargeftellt; auch anderen Quellen, befonders dem
gegenwärtig erfcheinenden Briefwechfel des Cardinal
Hofius wurde manches Neue entnommen. Unedirte
Briefe von Verger felbft Rheinen ihm keine zu Händen
gekommen zu fein. Es wäre fehr dankenswerth, wenn
auch die zweite Reife, welche Verger nach Polen machte
(October 1559 ms Mai 1560), in ähnlicher Weife behandelt
würde.

Stuttgart. Theodor Schott.

Michael, Prof. Dr. Emil, S. J., Ignaz von Döllinger. Eine
Charakterißik. 2., verm. Aufl. Innsbruck, Fei. Rauch,
1892. (XIII, 600 S. m. Bildnifs. gr. 8.) M. 6.—

Ein ganz unklarer Theologe, ein leichtfertiger Gelehrter
, ein gewiffenlofer Profeffor, leidenfehaftlich bis
zur Unmännlichkeit, grenzenlos ehrgeizig, unerträglich
hochmüthig, vom Bewufstfein beherrfcht, die unfehlbare
Gefchichtswiffenfchaft felbft zu fein, Wühler unter dem
Deckmantel der Anonymität, ein rückfichtslofer, fcham-
lofer, abfeheulicher Fälfcher, innerlich völlig haltlos,
charakterlos, hülflos wie ein Sklave an die öffentliche
Meinung gekettet und von ihr immer tiefer hinabgezogen
in den fchlechteften Journalismus, in Flachheit und Gemeinheit
, in Groll und Grimm, und diefes ganze Menfchen-
bild athmend in dem giftigen Nebel der Lüge und unter
den narkotifchen Wolken des Weihrauchs, nichts ficher
in ihm und an ihm als die gefuchte und gefundene Rückendeckung
, zuletzt ganz hohl geworden, ein Haufe offen-
kundigfter Widerfprüche, zusammengehalten und belebt
nur durch den Hafs, die Gefchichte verwirrend und be-
fudelnd. So Herr Prof. Michael. Graufame Nemefis
der Gefchichte; die Schuld wirkt fort, auch wenn fie
längft bereut ift: ,Luther eine Skizze — Döllinger eine
Charakteriftik'! — Aber von diefem Döllinger, der ihnen
angeblich nur noch zur Vogelfcheuche taugt, leben fie
noch immer, f. die neue Auflage des katholifchen Kirchen-
: lexikons sub „Luther" 1891.

Berlin. A. Harnack.