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Ausgabe:

1892

Spalte:

454-457

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Herrmann

Titel/Untertitel:

Geschichte Karls V. 1.-3. Bd 1892

Rezensent:

Virck, H.

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belegen, die er zusammengetragen hat. Sie find, foweit
meine Kenntnifsder einfchlägigen Literatur reicht, nirgends
fonft in diefer Reichhaltigkeit zu finden. Auch verdient
fein vorfichtiges und befonnenes Urtheil bei ihrer Auslegung
und Verwerthung entfchiedene Anerkennung. Nur
ift nicht abzufehen, warum er fie faft durchweg in der
Ueberfetzung veröffentlicht. Einige zwar und in andern
wieder einzelne Worte und Wendungen giebt er im
Original, aber auch dann fügt er die Ueberfetzung bei.
Er fcheint überhaupt der Sprachkenntnifs feiner Lefer
wenig zuzutrauen; felbft den Spruch: sc non e vero, e ben
trovato meint er überfetzen zu müffen. Aber ich follte
doch denken, dafs man bei dem, der ein folches Werk
lieft, die Kenntnifs des Lateinifchen und Griechifchen
vorausfetzen dürfte, und wenn der Verfaffer auch manche
Stellen hätte überfetzen mögen, um das Verftändnifs zu
erleichtern oder feine Auffaffung derfelben zu kennzeichnen
, fo wäre es doch im allgemeinen vorzuziehen
gewefen, wenn er uns ftatt der Ueberfetzung das Original
geboten hätte. Ein noch gröfsererMangel jedoch iftder,dafs
der fo reichlich gefammelte Stoff eigentlich gar nicht
verarbeitet ift. Die Belegftellen find, nach Zeit und Ort
geordnet und mit einem kürzeren oder längeren Com-
mentar verfehen. lediglich aneinandergereiht. Eine wirkliche
Gefchichte der Bufse und Beichte fcheint mir das nicht
genannt werden zu können; denn die kurze Wiederholung
der gewonnenen Refultate amEnde jedes Abfchittes kann
doch nicht dafür gelten.

Etwas mehr Verarbeitung des Materials zeigt
die zweite Abtheilung, in der der Verfaffer einen Beitrag
zur Gefchichte des fittlichen und religiöfen Lebens
liefern will. Er hat hier feinen Stoff in fünf Capitel ge-
theilt und will die Gefchichte der Bufse und Beichte behandeln
als einen Beitrag zur Gefchichte I. der Ethik,
II. der Sittlichkeit, III. der Stellung der Frau, IV. der
Sklaverei und V. des Verhaltens der Chriften gegen
Heiden, Ketzer und Juden, fowie des Fortlebens heid-
nifcher Vorftellungen und Gebräuche im Chriftenthum.
Im erften Capitel unterfucht er zuerft, aus welchen An-
fchauungen die kirchliche Bufse hervorgegangen fei und
welchen Zweck man durch fie habe erreichen wollen, und
findet, dafs man erft allmählich dazu gekommen fei, ein
Mittel zur perfönlichen Rettung und Bewahrung des
Sünders in ihr zu fehen; in den erften Jahrhunderten
fehle diefe Vorftellung noch, obwohl fie im neuen Tefta-
ment fich fchon finde, und es handle fich nur darum,
die Gemeinde rein zu erhalten oder der Sünde den verdienten
Lohn zu geben, wie denn die Befchlüffe mancher
Synoden ganz wie eine Codificirung des Strafrechts
lauteten. Dann erörtert er, was als Sünde betrachtet
wurde und befchäftigt fich unter anderem mit der bekannten
Frage nach der Eintheilung der Sünden. Eine
allgemein angenommene Eintheilung habe in den erften
öjahrhunderten nicht beftanden. Die vor Tertullian in der
patriftifchen Literatur nicht vorkommende Aufzählung
von drei Hauptfünden werde erft anderthalb Jahrhunderte
nach ihm von Pacianus als Theorie geltend gemacht,
ohne jedoch allgemein durchzudringen. Euagrius unter-
fcheide acht Hauptfünden , Gregor der Grofse fieben.
Der Ausdruck peccatum mortale komme erft im 4. Jahrhundert
vor und werde da noch abwechfelnd gebraucht
mit peccatum principale und capitale. (Kliefoth fagt
allerdings S. 54, fchon Tertullian zähle fieben Todfünden
auf und von da an fei diefe Bezeichnung flehend geworden
; allein an der Stelle, auf die er fich beruft (Adv.
Marcion. IV. 9), fpricht Tertullian von ,scptem maculis
capitalium dclictoriim ; nur das geht daraus hervor,
dafs fich auch bei Tertullian fchon die Siebenzahl, nicht
blofs die Dreizahl findet, wie in' unferem Werke angenommen
zu werden fcheint.) In den folgenden Capiteln
fucht der Verfaffer befonders einer allzuftark idealifirenden
Vorftellung von den fittlichen Zuftänden des chriftlichen
Alterthums entgegenzuwirken und bemüht fich, die

,fchöne Legende' zu zerftören, die fich da befonders in
Bezug auf die Lage der Frauen und Sklaven gebildet
habe, als wenn diefelbe durch das Chriftenthum fofort
in bedeutendem Mafse gehoben worden fei. Auch hier
trägt er fehr viel Material zufammen, und man wird ihm
auch in den Schlüffen, die er daraus zieht, meiftens beipflichten
können. Nur will es mir fcheinen, dafs nicht
alles, was er bringt, wirklich zur Gefchichte der Bufse
und Beichte gehört und dafs durch das ftärkere Hervortreten
leitender Gefichtspunkte das Wefentliche vom
Unwefentlichen hätte klarer gefchieden werden können.
So fehr ich alfo den aufserordentlichen Fleifs und die
umfaffende Sachkenntnifs des Verfaffers auf dem von ihm
behandelten Gebiete anerkenne, mufs ich doch als meinen
Gefamteindruck von feinem Werk noch einmal aus-
fprechen, was ich oben fchon angedeutet, dafs er wohl
zahlreiche Baufteine zufammengetragen, aber diefelben
mehr aufeinandergefchichtet, als zu einem wohlgegliederten
und feinem Zweck vollkommen entfprechenden Ganzen
vereinigt hat.

Augsburg. J. Hans.

Baumgarten, Piermann, Geschichte Karls V. 1.—3. Bd.

Stuttgart, Cotta Nachfolger, 1885—92. (XVI, 536;
VIII, 717 u. XVIII, 371 S. gr. 8.) M. 29. —

v. Sybel's Gefchichte der Begründung des deutfehen
Reiches hat uns allen zum Bewufstfein gebracht, in wie
hohem Grade die Verwirklichung des deutfehen Einheitsgedankens
, fcheinbar eine durchaus innere deutfehe Angelegenheit
, von dem Gang der europäifchen Politik abhängig
war. Was hier für die Geftaltung unferer jüngften
Vergangenheit nachgewiefen ift, gilt aber noch weit mehr
für die in vieler Hinficht bedeutfamfte Periode unferer
Gefchichte, das Zeitalter der Reformation. War doch
der von den Deutfehen unternommene Kampf gegen die
umverteile Macht des Papftthums eine im höchften Sinne
allgemeine Angelegenheit der römifch-katholifchen Chri-
ftenheit. Dazu kam, dafs der damalige Kaifer von Deutfch-
land, KarlV., zugleich Herr von Spanien, Italien, Burgund
und den Niederlanden war, und ihn aufserdem enge ver-
wandtfchaftliche Bande mit England, Dänemark und
Ungarn verknüpften. Bedenkt man ferner, dafs diefer
Herrfcher, der als treuer Sohn der katholifchen Kirche
alsbald in den fchärfften Gegenfatz zu der deutfehen Bewegung
gerieth, infolge feines Strebens nach der Aufrichtung
der chriftlichen Univerfalmonarchie faft fein
ganzes Leben hindurch mit dem natürlichften Gegner
der Proteftanten, dem Papft, und dem König von Frankreich
in Zwift lag, und letzteren veranlafste, ihm nicht
nur eine Menge äufserer Feinde zu erwecken, fondern
auch mit feinen Widerfachern in Deutfchland enge Beziehungen
zu unterhalten, fo begreift man, wie fehr die
Geftaltung der politifchen Lage Europa's auf den Gang
der Dinge in Deutfchland zurückwirken mufste. In der
That hat ja denn auch fchon Ranke in klarer Erkenntnifs
diefer Sachlage in feiner deutfehen Gefchichte im Zeitalter
der Reformation den Zufammenhang zwifchen den
allgemein europäifchen und den befonderen deutfehen
Ereignifsen darzulegen unternommen. Seitdem aber find
über 50 Jahre vergangen, in welchen die P'orfchung emfig
bemüht gewefen ift, durch Erfchliefsung neuer Quellen
und Einzelunterfuchungen über jenen Zeitraum neues
Licht zu verbreiten, fo dafs es nicht Wunder nehmen
l kann, wenn das Ranke'fche Werk dem Stande der heu-
I tigen Forfchung nicht mehr entfpricht. Um fo wünfehens-
! werther mufste es erfcheinen, dafs endlich einmal wieder
eine zufammenfaffende Darftellung jenes Zeitraumes verflicht
würde. Diefer Aufgabe hat fich Baumgarten in
| feiner Gefchichte Karl's V. unterzogen, deren 1. Bd. im
I Jahre 1885 erfchien, während der dritte vor wenigen Wochen
[ die Druckerpreffe verlaffen hat. Allerdings kann ja nun