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Ausgabe:

1892 Nr. 18

Spalte:

444-447

Autor/Hrsg.:

Bousset, W.

Titel/Untertitel:

Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum 1892

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 18.

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Cap. 1—5 nichts erhalten. Dazu kommen die Citate der
Kirchenväter, vor Allem Origenes. Als Ergebnifs wird
am Schlufs hervorgehoben, dafs der Text von A im
Grofsen und Ganzen fowohl mit dem Text des Origenes
als mit dem des lateinifch redenden Wehlens ftimme,
dafs B nicht Varianten zu A liefere, fondern eine ganz
andere Ueberfetzung des Buches enthalte. Zu A üehe
auch Lucian in nahem Verhältnifs, darüber wollte La-
garde fich erft fpäter äufsern; noch mehr ift zu bedauern
, dafs er fich nicht mehr, wie er S. 11 ankündigte,
darüber ausgefprochen hat, wie er fich das Verhältnifs
von A und feiner Zeugen Eg zu Theodotion gedacht
hat. Dem Ref. will es fcheinen, dafs es beim Richter-
buch ähnlich gegangen fei wie beim Daniel. B hat die
ältefte Ueberfetzung des Richterbuchs bewahrt, in A
und feine Genoffen ift eine nach Theodotion revidirte
eingedrungen. Eine forgfältige Controle der Texte ergab
nur 2 wirkliche Fehler: 1, 10 hat B doXpeiv (nicht
-fiEi), 4, 13 A das zweite xov nicht. Nachzutragen ift
(auch bei Swete), dafs 1, 18 Fat.av in A aus ya^eg, 1, 20
rrjv vor yaXeß in tcö gebeffert ift (ebenfo 4, 10 sig aus
ex; 1, 29 wird A doch ev, nicht e/i, 5, 8 xevovg, nicht
xaivovg haben). Zu 4, 20 und 5, 8 hat Lag. felbft auf
etwas hingewiefen, ,was man in Cambridge nicht angemerkt
hat'; dasfelbe ift der Fall 1, 9 jcedeivrjv, 12 öodco,
2, 17 egexXeivav, 3, 24 xapico, 21 noCyco. In der Accen-
tuation weicht Lagarde von Swete ab: 2, 3 egßpeo (nicht
tgaocö), 4, 5 avri] ftatt avxrj, 5, 15 toQÖavov ov; namentlich
aber in der Interpunktion 5, 18. 19. 25.

Statt des 2. Stückes war urfprünglich eine Abhandlung
über die xoivr) des griechifchen Pfalters und den
Unterfchied der Zeugen S und Sc — Schreiber und Cor-
rector des Codex Sinaiticus — beabfichtigt; über letzteres
erlaubt fich Ref. auf LCB1. 90, 28 zu verweifen;
dafür bietet uns Lagarde ein Bruchftück einer Ausgabe
und Erklärung des Clemens Alex. — 8, 21 der axgopa-
xeig — wie (ie fchöner nicht gedacht werden könnte,
und in der Einleitung das 19. Capitel von Tertullian's
Apologeticum, wie eben nur Lagarde es herftellen
konnte. Ein längeres Stück desfelben weift er einer
vortertullianifchen lateinifchen Apologie zu und bringt
damit eine vielverhandelte Frage der Kirchenhiftoriker
zur Entfcheidung. Schon hat K. J. Neumann feinem
Nachweis ,ohne jeden Rückhalt' zugeftimmt (LCB1. 91, 39)
und in diefer Zeitung Jülicher (92, 1) auf die Wichtigkeit
diefes Stückes aufmerkfam gemacht, um fo mehr werden
Alle bedauern, dafs dasfelbe wegen des Buchdrucker-
ftreiks Bruchftück blieb.

Der ,zweite Theil', der fchon dem 38. Bande der
Abhandlungen angehört und mit diefem erft im De-
cember ausgegeben werden wird, aber im Sonderdruck
bereits feit März vollendet und ausgegeben ift, bringt
zunächft zwei biblifche Genealogien und Chronologien
in lateinifcher Sprache, aus einer Hdfchr. von
Lucca (,um 570') und Bobio-Turin (VII s., nach Lag.
fpäter). Sie find wichtig als Vertreter der Itala für
Bibeltheile, für die wir wenig Zeugen haben, fodann
weil fie durch die in ihnen gegebene Deutung der bibli-
fchen Namen es ermöglichen, ein freilich noch nicht ge-
fchriebenes Werk, die Gefchichte der hebräifchen Lexikographie
von Philo bis Hieronymus und Theodoret um
ein neues Capitel zu bereichern, weil fie endlich eine
Chronologie bieten, deren Verhältnifs zu den fonft bekannten
alten Syftemen der kirchlichen Chronologie
noch zu unterfuchen ift. Von Einzelheiten hebt Ref.
nur ein paar hervor. Zu Gen. 10, 26 fagt Dillmann, dafs
von den 13 Söhnen Ioktan's einer vielleicht Zufatz fei;
in unferer Genealogie fehlt bau?; umgekehrt hat Ewald
in Gen. 36 zu den 11 Allufim, was Dillmann unnöthig
findet, einen 12. ergänzt: fchon in unferer Lifte fteht er.
Die neuteltamentlichen Theologen finden S. 27 mehrere
Deutungen der Zahl 666: Avxepog, Teixav, aQvovfie,
FevöEQixog, die Germaniften S. 43 einen Auszug aus der

fränkifchen Stammtafel {M. SS. 8, 314). Stellen- und
Namen-Regifter find mit gewohnter Pünktlichkeit von
de Lagarde's Frau gearbeitet; nur zu M. 294/5 fand ich
in Text und Regifter Regn. 7 23 in 22 zu beffern.

Den Schlufs bildet eine, einer Neapler Hdfchr. entnommene
, SSvvoipig ev esiixoy.00 xrjg jcaXaiag öia&fjxng.
Lagarde glaubt fie der Diöcefe von Theffalonice zu-
weifen zu dürfen. Wenn man wüfste, welche andere
Hdff. die gleiche Reihenfolge und Capiteleintheilung
der biblifchen Bücher aufweifen, wäre fchon wieder ein
Schritt zur Localifirung unferer Bibelhandfchriften gewonnen
. Rahlfs weift diefelbe auch in der ambrofiani-
fchen Pefchitohandfchrift (von zweiter Hand) nach. Anderes
kann erft bei weiterer Unterfuchung zu Tage
kommen; einftweilen fei auf Sanday's Kanonverzeichnifse
in Bd. 3 der Studio, bibl. et eccl. verwiefen. Leider ift
die Synopfis nicht vollftändig; es fehlen namentlich die
poetifchen Bücher, aber auch die 12 kleinen Propheten.
Neu war dem Ref., dafs die zwei Pagen, die mit Zeru-
babel den oben angeführten Wettftreit vor Darius ausfochten
, Jefus der Sohn Jozedeq's und Efra gewefcn
feien. Die S. ioi f. flehenden Notizen berühren fich mit
den fogenannten Propheten-Leben des Epiphanius.

Das Mitgetheilte kann und mufs genügen, zu zeigen,
welch' reiche Schätze auch hier wieder der bis in den
Tod unermüdliche Mann uns gefchenkt hat; Bogen 5
trägt noch das Datum 8. 12. 91., 14 Tage darauf er-
ftarrte die Hand, die fo unermüdlich gefchrieben und
abgefchrieben; aber litera scripta manet, und zu den
opera, von denen Apoc. 14, 13 redet, wird auch etwas
wenigftens von den gefchriebenen und gedruckten zu
rechnen fein.

Tübingen. E. Neitle.

Bousset, Privatdoc. Lic. W., Jesu Predigt in ihrem Gegensatz
zum Judentum. Ein religionsgefchichtlicher Vergleich
. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1892.
(130 S. gr. 8.) M. 2. 40.

Die Frage, in welchem Mafse der Inhalt der Verkündigung
Jefu Chrifti gefchichtlich bedingt, und in
welchem Mafse damit in fchöpferifcher Weife ein Neues
gegeben ift, ift zwar fchon früher geftellt und erwogen,
aber doch erft in neuerer Zeit energifch in Angriff genommen
worden. Die neuelten, diefem Thema gewidmeten
Unterfuchungen find: Baldenfperger, Das Selbft-
bewufstfein Jefu, 2. Aufl. 1892, undjoh. Weifs, Die Predigt
Jefu vom Reiche Gottes, 1892. Hauptfächlich mit
diefen beiden fetzt fich die Arbeit von Bouffet auseinander
, als deren Grundgedanke der zweimal (S. 41, 130)
citirte Satz Wellhaufen's gelten kann: ,Das Evangelium
entwickelt verborgene Triebe des alten Teftamentes,
aber es proteftirt gegen die herrfchende Richtung des
Judenthums'. Während Baldenfperger und Weifs hauptfächlich
den engen Anfchlufs der Verkündigung Jefu an
den jüdifchen Gedankenkreis feiner Zeit betont hatten,
legt Bouffet bei aller Anerkennung diefes Anfchluffes
das Hauptgewicht doch auf die entgegengefetzte Seite.
Er zeigt, dafs gerade der Kern diefer Predigt nicht als
ein Product der Zeit zu begreifen ift. Es ift wirklich ein
Neues, was damit in die Gefchichte eintritt. Infofern ift
Bouffet's Arbeit, bei aller Unbefangenheit der hiftorifchen
Forfchung, im bellen Sinne apologetifch; und Referent
freut fich, dem Verf. in Betreff der Haupt-Punkte, in
welchen er von Baldenfperger und Weifs abweicht, im
Wefentlichen beiftimmen zu können. Auffaffung und
Darfteilung find lebendig und anfchaulich, vielleicht etwas
zu fehr im grofsen Stil gehalten. So fehr es zu rühmen
ift, dafs der Verf. nicht in Buchftabenklauberei verfällt,
fondern das Lebendige als Lebendiges erfafst, fo wäre
zuweilen doch etwas exactere Vorführung des Details
am Platze gewefen.