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Ausgabe:

1892 Nr. 17

Spalte:

425-428

Autor/Hrsg.:

Boissier, Gaston

Titel/Untertitel:

La fin du paganisme 1892

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 17.

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Aber ift denn fchliefslich der neue Text Zycha's fo
erhaben über dem der Mauriner-Edition? Für die Orthographie
mögen gefundere Grundfätze hier aufgehellt fein,
aber fie find mit dem allerwärts hervortretenden Mafse
von Sorgfalt angewendet, fo dafs accomodo, accommodo
und adcomtnodo neben einander auftreten, adfigo und
adfirmo neben affigo und affirmo, adpctitio neben appe-
titio, permixtio neben pcrmistio, inminerc neben imminere,
inplcre neben implere, inmolo neben immolo und vieles
Andere der Art; Druckfehler find ebenfalls trotz der Cor-
rigenda S. 995 ff. noch genug flehen geblieben, wenn fchon
nicht fehr erhebliche. Dafs am Texte felber auch in
diefer zweiten Hälfte des Bandes Einzelnes gebeffert
ift, erkenne ich mit Freuden an, ein paar Conjecturen
Zycha's leuchten unmittelbar ein, von 946, 18 das fidem-
que quae ftatt des blofsen fidemque von C und quae der
Mauriner, mit feiner Herftellung von 929,6fr. ift er jedenfalls
auf gutem Wege, und wenn noch einige Stellen
wie 921,9fr. in unbefriedigendem Zuftande find, fo ift
das nicht feine Schuld. Aber nicht alle feine Conjecturen
erfcheinen mir haltbar, z. B. nicht das serius
906, 24, wo der einzige Codex servis hat; letzteres fcheint
mir dem Richtigen näher zu liegen und die Herftellung
mit Hülfe von Gal. 4, 1 ff. verfucht werden zu müffen. Den
Einfchub vonposita 908, 4 halte ich für entbehrlich; den
Abi. pervicaaae caligine möchte ich abhängig machen
von screnatis (mentibus). Hin und wieder ziehe ich die
Lesart der Mauriner zweifellos vor, z. B. 913, 17 ihr posteriores
tempore dem posteriore t. Zycha's (im Blick auf
Z. 11. 19. 25), 920, 8 ihr in praesenti nach iniqui, das Z.
fortläfst, 921, 27 ihr vixcrit dem vixeris bei Z., und vor
Allem ift 936, 26 Zycha's quis non tanta obstinatione
caecetur, ut non sentiat, non adtendat, während Maur. |
ein non vor tanta nicht haben, eine unbegreifliche Ent-
itellung. — Die Intcrpunction ift im Ganzen beffer, als
bei den Maurinern, doch werden nicht nur gleichlautende
Bibelcitate an den verfchiedenen Stellen recht verfchieden
interpungirt, fondern wiederholt wird durch verkehrte
Trennungszeichen das Verftändnifs des Textes faft unmöglich
gemacht, z. B. 907, 18, wo ein Punkt nach faciam
einen Satz auseinanderreifst oder 908,2 und909,25 ff. Nach
diefen wenigen Beifpielen, die ich beliebig zu vermehren
bereit bin, dürfte feltftehen, dafs der Werth des 25. Bandes
vom Corpus Vindoboncnse feinem enormen Preife
wenig entfpricht.

Marburg. Ad. Jülicher.

Boissier, Gaston, La fin du paganisme. Etudc sur les der-
nieres luttes religieuses en occident au IVme siecle.
2 tomes. Paris, Hachette & Cie., 1891. (462 u. 516 S.
gr. 8.) Fr. 15.-

Der berühmte Verfaffer hat in diefem Werke wiederum
die Kunft bewährt, Gefchichte nicht nur für die
Fachgenoffen, fondern für alle Freunde der Gefchichte
zu fchreiben. Ohne künftliche Lichter aufzufetzen hat
er eine fehr anziehende, und ohne mit Gelehrfamkeit
zu befchweren hat er eine fehr lehrreiche Darftcllung |
geliefert. Nicht um fyftematifche Entwicklung in der !
ganzen Breite des Stoffes war es ihm zu thun, fondern
um die Hervorhebung der wichtigften Linien. Dabei
zeigt er überall das umfichtigfte Urtheil und hütet fich I
vor allen Extremen. Man mufs wünfchen, dafs das
Werk durch eine Ueberfetzung unterer kirchenhiftorifchen |
Literatur einverleibt werde. Es würde viele noch herr- j
fchende Vorurtheilc berichtigen und könnte zugleich als
Mufter einer im beften Sinne populären Darftellung j
dienen. Die Aufgabe, die fich der Verf. geftellt, war
keine geringere, als die Entftehung unterer heutigen
Cultur im 4. Jahrh. nachzuweifen und zu zeigen, dafs die
Kirche fich damals unferen unvergänglichen Dank ver- |
dient hat.

Der erfte Band enthält die drei Bücher: ,La Victoire
du Christianisme', ,Lc Christianismc et l'education Romaine
'; ,Consequenccs de l'education paienne pour les
auteurs chretiens'. Das erfte ftellt den Uebertritt Kon-
ftantin's dar, handelt dann vom Mailänder Edict und von
der religiöfen Toleranz unter Konftantin und feinen
Söhnen und fchliefst mit einer ausführlichen Abhandlung
über Julian. Als Ergänzung dient der ausführliche
Anhang, der von den Verfolgungen handelt (S. 399—459).
Speciell von diefem Anhang gilt es, dafs der Verf. das
umfichtigfte Urtheil bewährt hat. Ich kenne keine andere
zufammenfafiende Unterfuchung über die Verfolgungen,
welche fo ficher geführt und darum fo zuverläffig ift.
Sie erfcheint als die reife Frucht der über den Gegen-
ftand in den letzten Jahrzehnten angeftellten Unter-
I Eichungen — allerdings nur der franzöfifchen (und de
Roffi's). Aber man kann nicht fagen, dafs die Nichtbeachtung
deutfeher Arbeiten (nur Mommfen's Abhandlung
über den Religionsfrevel wird citirt) einen
wefentlichen Mangel der Arbeit bezeichnet. Die Aus-
! führungen über Julian enthalten, foviel ich fehe, nichts
| Neues — das Urtheil über diefen Mann, deffen unrömifche
j Art Boiffier befonders hervorhebt, ift nicht leicht zu
1 verfehlen —; aber die Unterfuchungen über Conftantin's
Uebertritt und über das Edict von Mailand enthalten
von Anfang bis zum Ende eine ftillfchweigende Polemik
gegen Burckhardt's Auffaffung und, wie mir nicht
zweifelhaft ift, eine berechtigte. Vorgearbeitet hatten
hier in jüngfter Zeit Schiller und vor Allem Victor
Schultze. Mit Recht werden die Ergebnifse der Unterfuchungen
Crivellucci's (Deila fede storica di Euscbio
nella vita di Costantino) als nicht überzeugend abgelehnt
. Richtig wird auch hervorgehoben, dafs die
Wunderzählungen der , Vita Constantim' keineswegs den
Eindruck machen, dafs fie in dem Geift des Bifchofs
Eufebius entftanden find. Dafs dem Mailänder Edict ein
anderes konftantinifches Toleranzedict, das nicht auf
uns gekommen, vorangegangen fei, wird (p. 49) behauptet.
Von jenem heifst es mit Recht (p. 62): ,11 est impossible
de l'etudier de pres Sans etre convaineu que, pris dans
son cnsemble, il est fait par UM chretien et dans Vinter et
des chretiens. Si l'auteur de l'edit appartenait a la secte
de ces eclectiques qui ne faisaient pas de distinetion entre
les cultes, il s'y preoccuperait de tous igalement et ils
seraient tous nüs sur la memc ligne, ce qui n'est pas. En
realite il ne Sange qiiaux chretiens; ils sont les seuls
qui soient expressement nommes, et memc, dans un pas-
sage fort curicux, il est dit en propres termes que la tole-
rance qtiobtiennent les autres religions nest qu'unc con-
1 sequence de cclle qu'on vcut aecorder au christianisme'.
| Für Konftantin waren die Götter des Heidenthums mit
Maxentius in den Tiber geftürzt. Im Siege hatte fich
der Chriftcngott als der wahre Gott offenbart.

Das 2. Buch bringt eine willkommene Ueberficht
über die Erziehung im römifchen Reich mit einer Skizze
ihrer Gefchichte; namentlich mache ich auf die fchöne
Apologie der Rhetorik aufmerkfam. Mit dem betreffenden
Capitel in Hatch's poftumem Werk berührt fich die
Darftellung vielfach: beide ergänzen fich; denn Boiffier
geht auf das fpeeififeh Griechifche und auf die Bedeutung
Alexandriens nicht ein und befchränkt fich wefent-
lich auf Rom und den Offen. Die wichtigften deutfehen
Arbeiten find dem Verf. bekannt und werden von ihm
citirt. Die Schlufsausführung zeigt, wie fich das Chriften-
thum der römifchen Erziehung allmählich angepafst hat.
Sie ift fkizzenhaft und hebt nur einige Momente hervor.

Das 3. Buch weift die Confequcnzen der heidnifchen
Erziehung für die gebildeten Chriften (refp. für die chrift-
lichen Schriftfteller) an Tertullian's Tractat ,dc pallio', an
dem .Octavius' und an der Bekehrungsgefchichte Augu-
ftin's nach. In dem Abfchnitt über Tertullian ift auch
die Schrift ,de idololatria' ausführlich berückfichtigt.
In Bezug auf die Zeit der Abfaffung des Octavius folgt

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