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Ausgabe:

1892

Spalte:

417-419

Autor/Hrsg.:

Löhr, Max

Titel/Untertitel:

Die Klagelieder des Jeremias, erklärt 1892

Rezensent:

Horst, L.

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Kiel.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

HZi 17. 2°- Auguft 1892. 17. Jahrgang.

Lohr, Die Klagelieder des Jeremias (Horft).
Marti, Der Prophet Sacharja (Siegfried).
Schwally, Das Leben nach dem Tode nach

den Vorftellungen des alten Israel und des

Judentums (Siegfried).
Schmidt (Paul Viktor), Der Galaterbrief im

Feuer der neueften Kritik (Schürer).

Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum,

vol. XXV, 2 (Jülicher).
Boissier, La fin du paganisme (Harnack).
Bröck ing, Die franzöfifche PolitikPapftLeosIX.

(Mirbt).

Abaelards 1121 zu Soiffons verurtheilter Trac-
tatus de unitate et trinitate divina, hrsg. von
Stölzle (Nitzfeh).

Sander, Briefwechfel Friedrich Lückes mit den
Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm (Eck).

Scherer, Handbuch des Kirchenrechts, 2. Bd.
I. Abth. (Köhler).

Mayer, Die chriftliche Moral in ihrem Ver-
hältnifs zum (ftaatlichen) Recht (Köhler).

Lohr, Privatdoz. Lic. Dr. Max, Die Klagelieder des Jeremias,

erklärt. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1891.
(101S.gr. 8.) M. 3.—

Diefe Schrift enthält eine Einleitung zu den Klageliedern
und eine Ueberfetzung fammt Commentar. In
der Einleitung werden Namen, Stellung im Kanon, Form
und Inhalt, Verfaffer, Zeit und Ort der Abfaffung be-
fprochen und eine Vermuthung über die Entftehung des
Buchs zum Schlufse aufgeftellt.

Was die Form betrifft, fchliefst fich Verf. an Budde
an. Deffen Thefe bildet er aber weiter aus, indem er eine

und die Hoffnung der eigenen Wiederherffellung waren
allgemein in der Gola verbreitet und mit nichten dem
Jeremia eigenthümlich, folglich kann nicht er dadurch als
der angeblich fprechende charakterifirt werden. Ferner,
hätte der Verf. Jeremia als redend einführen wollen, fo
müfste er doch den Gegenfatz zwifchen echten und
falfchen Propheten hervorgehoben haben. Hier kommen
die Propheten fammt und fonders fchlecht weg.

Ferner ift die Anficht förmlich zu beftreiten, dafs für
Cap. III Jeremia zweifellos unter dem Dichter gemeint
fei. Das Bild von der Grube (v. 53) ift ein allbekanntes
und häufiges; es braucht um fo weniger wörtlich aufAnzahl
von Verfen, die dem Schema widerfpenftig find, gefafst und auf den Propheten bezogen zu werden
durch Textcorrectur ,in Ordnung bringt' — was vielleicht ; (Jerem. 38), als v. 47 auch das Volk in der Grube fitzt.

etwas viel gefagt iff, wo dies durch eine Reihe von Punkten
gefchieht —, während eine andere Anzahl durch einfache
Schätzung des Verhältnifses beider Verstheile durchgängig

Das Grauen neben der Grube (v. 47), das Gefteinigt-
werden, das Gejagtwerden wie ein Vogel, das Strömen
des Waffeis über das Haupt v. 54 (Jeremia's Grube war

nach der Länge der Wörter, der Buchftabenzahl, fich von | nicht mit Waffer gefüllt, fondern leer und fchlammig),
felbft in das Schema fügt. Freilich aber läfst fich mit ferner die lange Bilderreihe v. 4 f., das alles zeigt, das

noch einer Reihe von Verfen, deren zwei Glieder gleich lang
find, nichts anfangen. Ob diefe Unregelmäfsigkeit auf
dichterifchem Unvermögen beruht, oder ob fie ein Zeichen
ift, dafs das Schema eben kein fo ftarres ift, wie man
gern annimmt, und folglich Herumdoctern an den
Verfen blofs um des Schemas willen gefährlich?

Die Klagelieder find nicht von Jeremia; der Namen des
oder der Verfaffer ift nicht zu ermitteln; die Zeit der Abfaffung
liegt um 550; Ort ift die babylonifche Gola. Freilich
wird man nicht leicht einfehen, inwiefern der Inhalt der
mittleren Capitel eher nach der babylonifchen als nach
der ägyptifchen Gola weift. Nun vermuthet der Herr Verf.
II—IV seien zur Verherrlichung des Propheten Jeremia
gedichtet worden, I u. V aber von einer anderen Hand
fpäter hinzugefügt, um den Complex II—IV für den
Gottesdienft nutzbar zu machen. Beide Thefen find nicht
unanfechtbar.

Angenommen II—IV bilden einen Complex, fo fleht
doch in II und IV kein einziges Wort, das auf Jeremia
als auf den fprechenden hinweife. Ganz unverfänglich

wir kein Recht haben, eines derfelben hervorzuholen und
auf ein gefchichtliches Ereignifs wörtlich zu beziehen.
Auch läfst fich die Anficht fehr wohl vertheidigen, dafs
der Dichter nicht von fich und feinen perfönlichen Leiden
blos fpricht, fondern die Leiden feines Volkes, zumal
der Frommen im Volk (v. 14) im Auge hat; das zeigt
der Uebergang vom Singular zum Plural, vom Plural
zum Singular, wie in fo manchen Pfalmen. Die Noth, um
welche hier geklagt wird, ift nicht die eines einzigen
Gliedes des Volkes, fondern die Noth des Volkes felbft.

Dafs I und V dazu da find, um II—IV einzurahmen
und für den Gottesdienft nutzbar zu machen, ift nicht leicht
einzufehen. Für Cap. I verzichtet Verfaffer felbft darauf,
den Beweis zu liefern, und nichts zwingt anzunehmen,
dafs V, wenn auch ein Gemeindegebet, gerade zu
dem vermutheten Zweck gedichtet worden fei. Ferner
fcheint ein Widerfpruch zwifchen S. 27, wo der Verf. die
5 Lieder um 550 entftehen läfst und S. 32 vorhanden
zu fein, wo es heifst, dafs I und V von einem zweiten
Dichter herrühren und hinzugefügt worden find unter

ft 2,13. Der Dichter fagt: ,Um dich, Sion, zu tröffen, 1 dem Gefichtspunkt gottesdienftlicher Verwendung —
kann ich nicht einmal auf eine andere Stadt hinweifen, ! affo doch fehr viel fpäter fein rnüffen, als II—IV. Frei-

die ebenfoviel gelitten hätte als du'. Wir brauchen,
denke ich, für einen fo alltäglichen Gedanken die pro-
phetifche Thätigkeit nicht in Anfpruch zu nehmen, und
aus Anklängen an Jeremia läfst fich nicht folgern, dafs
Jeremia als fupponirter Verfaffer gedacht fei. Somit
wird der Schlufs von Cap. II auf Cap. IV, weil II-IV ein
Ganzes bilden, hinfällig, und in Cap. IV wird auf kein
anderes Merkmal hingewiefen, als auf das prophetifche
Ende, eine Ausficht auf Rache an Edom und auf Reftau-
ration. Allein die Erwartung der Beftrafung der Nachbarn

lieh fcheint Verf. an feiner Thefe felber nicht zu fehr zu
halten: ,Beweifen, fagt er, läfst fich hier nichts. Das
Ganze kann darum und will nichts anderes fein, als was
die Ueberfchrift fagt, eine Vermuthung'.

Der Commentar enthält manche gute Bemerkung und
intereffante Conjectur, freilich auch hie und da eine wohlfeile
. Sehr vieles hätte beim Vergleich des Sprachgebrauchs
unferer Lieder mit dem Jeremia's noch wegfallen
können. Die Ueberfetzung ift genau, aber fchwerfällig.
Sollte es nicht angezeigt fein, in den Ueberfetzungen aus

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