Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1892 Nr. 16

Spalte:

402

Autor/Hrsg.:

Fischer, Ernst

Titel/Untertitel:

Das alte Testament und die christliche Sittenlehre 1892

Rezensent:

Gunkel, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

40i

Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 16.

402

der auf eine Reihe von Jahren als ein brauchbares Handbuch
bewähren möge', ift angefichts diefer Leiftung ein
fehr befcheidener.

Strafsburg i. E. K. Budde.

Bonk, Hugo, De Davide, Israelitarum rege. Pars I.j Quaesti-
ones criticae et historicae in fontes habitae. Regi-
monti, 1891. [Leipzig, G. Fock.] (78 S. m. 1 Tab.)
M. 2. —

Diefe fleifsige und fcharffinnige philofophifche Doctor-
differtation ift Allen, die fich mit den Büchern Samuelis
oder der in ihnen enthaltenen Gefchichte eingehender
befchäftigen, zu forgfältiger Berückfichtigung zu empfehlen.
Der Verfaffer erwähnt im Vorwort, dafs er unabhängig
von mir eine Anzahl von Beobachtungen gemacht habe,
die nun durch mein Buch /Richter und Samuel' im
Drucke vorweggenommen feien; in der Arbeit felbft
werden diefe, darunter am wichtigften die Erkenntnifs,
dafs Sam. I, 14, 47 — 51 fpäter Zufatz fei, aufs ge-
wiffenhaftefte angemerkt. Wenn es aber im Vorwort
unter Berufung darauf, dafs die Arbeit fchon 1888 ge-
fchrieben fei, heifst ,conjecturas, quas biennio ante ipse
feceranP, fo darf ich wohl auch auf mein Zeugnifs im
Vorworte zu R. u. S. S. V verweifen, dafs der erfte
Abfchlufs meiner Arbeit bereits in das Jahr 1887 fällt.
Wie der Titel fagt, verfolgt Bonk ein anderes Ziel als
mein Buch: das feinige ift ein gefchichtliches, unmittelbar
auf das wirkliche Gefchehen gerichtetes, das meinige
ein literargefchichtliches. Mit diefer Einficht wird der
lebhafte Widerfpruch gegen das von mir eingefchlagene
Verfahren (vgl. bef. S. 10 ff. und anderwärts) hinfällig.
Habe ich Recht, dafs die beiden grofsen Quellftröme
J und E auch hier fliefsen, fo wird jeder, der mit der
Gefchichte des altteftamentlichen Schriftthums in feiner
Eigenart vertraut ift, zugeben müffen, dafs die Forfchung
nach den ,Quellen der Quellen', von denen ich z. B.
S. 259. 271 ausdrücklich rede, für die literarkritifche
Analyfe erft an zweiter Stelle in Betracht kommen darf.
Uebrigens find die S. 10 unter cap. II, I. a angeführten
Stellen meines Buches von Bonk mifsverftanden; dafs
ich bezüglich Sam. II, 6 von Wellhaufen und Cornill
abweiche (S. 75) ift, wie die angeführte Stelle (R. u. S.
S. 242 ff.) beweift, ein Irrthum. Dafs Bonk mir S. 74 für
Sam. II, 8 nicht ganz folgt, begründet er lediglich mit
dem Cirkelfchlufs, dafs alle Kritiker [ich nicht!] hier den
Schlufs der Quelle S erkennen, darum alfo hier ein
zufammenfaffcnder Rückblick bei S muffe geftanden
haben. Freilich wären dann feine beiden Quellen S und
JS (qui nee gcnere dicendi nec fide adjungenda a fönte
S discrcpat) in eine zufammengefloffen, wefentlich gleich
meiner Quelle J. Das eigenthümlichfte fachliche Ergeb-
nifs der Arbeit ift, dafs Jonathan gegen den erkrankten
Vater eine Verfchwörung angeftiftet hätte, um ihn vom
Thron zu ftofsen, David und die Priefter von Nob durch
Theilnahme daran Saul gerechten Grund zu Verfolgung
und Strafe gegeben hätten (vgl. S. 55 ff.). Die religions-
gefchichtliche Vorbildung des Verfaffers ift jedenfalls
unzureichend, in einem Mafse, dafs fein gefchichtliches
Urtheil darunter leiden mufs. Warum beteten die Hebräer
Jahwe an und hielten feine Gebote? Ut et poenas
evitarent et emolumenta qtiaedam nancisecrentnr (cf.
Ex. 20, 5—7. 12). Quod qui uegat, ejus rei rationem non
Jiabet, quod ipsa religio Hebraeorum utilitati inserviebat:
natu int er ovines constat sacras caerimonias maximam
partem vahtudini conservandae operatn dare (S. 6 f.).

Zu bedauern ift, dafs Verf. die von mir S. 210 erwähnte
tüchtige Schrift vonGaupp, die genau die gleichen
Ziele verfolgt, nicht benutzt hat; heute ift noch der vorwiegend
mit Cornill und mir fich befchäftigende Auf- |
fatz von Kittel, Die peutatenchifchen Urkunden in den
Büchern Richter und Samuel (Stud. u. Krit. 1892 S.44ff) I

hinzugetreten. Ich benutze die Gelegenheit, zu ver-
fichern, dafs ich, weit entfernt, mich für widerlegt zu
halten, für die weitgehenden Zugeftändnifse Kittel's fehr
dankbar bin. Denn wenn er felbft ftets mit ,der Perfon
der hexateuchifchen Verfaffer' arbeitet, fo irrt er,
gewifs nicht ohne Schuld einzelner mifsverftändlicher
Aeufserungen meinerfeits, wenn er diefe Betrachtungsweife
auch für die meinige hält. Denn mir find J und
E, wie meine Arbeiten doch wohl durchgängig erkennen
laffen, durchaus nicht Perfonen, fondern umfaffende,
neben einander herlaufende fchriftftellerifche Schulen,
in denen ich viele aufeinander folgende Schichten unter-
fcheide, die ich in ihrem Verhältnifs zu einander gelegentlich
mit E1 E2 E3 u. f. w. bezeichnen kann, ohne felbft
darunter je eine einzelne Perfon zu verliehen. Wenn alfo
Kittel gewiffe Stücke, die ich J oder E zutheile, derSchule
von J oder E zuweift, fo ift dies daffelbe, was ich meine,
wenn ich nur das Eine noch darin einfchliefsen darf,
dafs fie der Redaction als Theile des fchliefslichen Ge-
fammtwerkes J oder E vorgelegen haben. Auf das Einzelne
darf ich hier nicht eingehen.

Strafsburg i. E. K.Budde.

Fischer, Paft. Ernft, Das Alte Testament und die christliche
Sittenlehre. Gotha, F. A. Perthes, 1889. (161 S. gr. 8.)
M. 2. 40.

Gegenüber der Unterfchätzung (Schleiermacher) und
anderfeits der Ueberfchätzung (Rothe) der A. T.lichen Sittlichkeit
und ihrer Bedeutung lür die chriftliche Ethik fucht
der Verf. den richtigen Weg zu zeigen, indem er neben
vielfacher Zufammenftimmung auch manche Verfchieden-
heiten in der Sittenlehre beider Teftamente conftatirt,
diefe Verfchiedenheiten aber aus dem göttlichen Plane,
Israel für das Evangelium zu erziehen, zu erklären weifs.

Das Schriftchen iftfliefsend gefchrieben, erfreut durch
feinen warmen Ton, weniger freilich durch Klarheit und
Präcifion, enthält auch manche treffenden, wenn auch nicht
immer originellen Gedanken, darf aber trotzdem kaum
Anfpruch auf wiffenfehaftliche Würdigung erheben. —
Der Verf. hat fich begnügt, die Principien A. T.licher
Sittlichkeit darzuftellen, daneben einzelne vielverhandelte
Fragen, wie Rache-Pfalmen u. a. zu befprechen; ein um-
faffendes Bild A. T.licher Sittlichkeit hat er nicht gegeben
, und hätte er auch nicht geben können. Dazu
fehlt ihm die hiftorifche Bildung und das unumgängliche
Wiffen. Verf. hat geglaubt, die grofsen ethifchen Principien
erfaffen zu können, ohne fich vorher über das
fittliche Leben im alten Israel orientirt zu haben. Ueber
Gefellfchaft und Staat, Königthum, Gefchlecht und Familie
, über Ehe und Frau, Sklaverei, Arbeit, Handel,
über das gefammte Rechtsleben u. f. w. erfahren wir
nichts. — Faft unglaublich aber ift, dafs er von der ganzen
Wellhaufen'fchen Bewegung keine Notiz genommen hat.
Er weifs und billigt, dafs der Pentateuch nicht Werk
eines Schriftftellers ift 37. 56. Aber diefe Anerkennung
wird fofort ungültig gemacht durch den Satz, die fpäteren
Theile der Thora feien aus den älteren organifch hervor-
gewachfen 56, das Gefetz fei trotzdem ein Ganzes 38.
60. 62; und in aller Naivetät wird die Behauptung auf-
geftellt, dafs das Gefetz die Grundlage des A. T.'s und
auch des Prophetismus fei 56 f. Dies Alles wird einfach
behauptet, ohne Ahnung davon, dafs gegenwärtig ganz
andere Aufftellungen faft allgemein anerkannt find. —
Wann werden endlich einmal folche Dilettantenarbeiten
aufhören, einen Verleger zu finden und die theologifche
Wiffenfchaft zu compromittiren! —

Halle. H. Gunkel.