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Ausgabe:

1892 Nr. 16

Spalte:

396-397

Autor/Hrsg.:

Tiefenthal, Fr. Sales

Titel/Untertitel:

Das Hohe Lied 1892

Rezensent:

Gunkel, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 16.

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der Leetüre zu ftudirenden Capitel der Grammatik, und
Uebungsftücke zum Ueberfetzen aus dem Englifchen ins
Syrifche im Anfchlufs an die analyfirten Texte einge-
flochten. Ich glaube, dafs auch diefe, erfichtlich eine
grofse Summe von Arbeit und Erfahrung einfchliefsen-
den Stücke denfelben Bedürfnifsen, welchen die Grammatik
entgegenkommt, wirkfame Dienfte leiften werden.
Aber zwei erhebliche Ausflellungen habe ich dabei zu
machen. Die eine geht auf die Art, wie für Gen. 1—4
die Ausgabe von Neftle benutzt ift. Der Verf. gefleht
(Pref. S. V) mit grofser Ruhe, die Capitel are copied
with variations from Nestlds ,Syriac Granimar*. Ich habe
Cap. 1, die zweite Hälfte von Cap. 3 und Cap. 4 mit der
zweiten deutfehen Ausgabe von Neftle's Porta verglichen,
und mufs bezeugen, dafs der Ausdruck copied fehr wörtlich
zu nehmen ift. Abgefehen von einer (nicht fehr grofsen)
Anzahl von Fällen, wo Qussäj, Rukkäch und andere
diakritifche Punkte bei Wilfon flehen, die bei Neftle
fehlen oder umgekehrt (meift wohl, weil fie in der Preffe
hier oder dort abgebrochen find), beliehen die ganzen
,variations' darin, dafs Wilfon Gen. 1 drei mal leljä ftatt
Neftle's liljä hat drucken laffen (das vierte mal V. 14
hat auch W. das Chebäsa), und dafs er die von Neftle
unter das h von h'wa gefetzte ,Lineola occultans' in der
Regel geftrichen hat. Im Uebrigen erltreckt fich die
Uebereinftimmung fo weit, dafs felbft die Setzung der
Vocalzeichen, die ihre Stelle nach Belieben oberhalb
oder unterhalb der Confonanten haben können, faft
durchgängig bei W. diefelbe ift als bei N.; dafs in Cap. 3,
wo N. zur Uebung für die fortfehreitenden Anfänger
einen Theil der Vocalzeichen weggelaffen hat, diefe Weg-
laffungen faft überall bei W. fich ebenfo finden; dafs in
Cap. 4, welches bei N. in Eftrangelä und ohne Vocale
ift, wenigftens die diakritifchen Punkte ebenfalls an den
meiften Stellen in dem theilweife vocalifirten Texte W.'s
fich wiederfinden: kurz, wenn W. aus einem Exemplar
von Neftle's Porta die Seiten herausgefchnitten und mit
den angedeuteten kleinen Aenderungen in die Druckerei
gefchickt hätte — ich fage nicht, dafs er's gethan hat —
könnte die Uebereinltimmung nicht vollkommener fein.
Neftle hat Cap. 4 genau nach dem Ambrofianus wiedergegeben
, Cap. 1—3 befonders die mühfame Setzung von
Qussäj und Rukkäch mit der ihm eigenen peinlichen Ge-
wiffenhaftigkeit durchgeführt: das ift eine Arbeit, die
Jedermann zu refpectiren hat. Ich nehme an, dafs W.
fich diefer Pflicht bewufst gewefen ift, und Neftle's Er-
laubnifs zu einer folchen Benutzung eingeholt hat: fonft
würde, da Staatsgefetze für den Fall in Amerika fehlen,
auf die zehn Gebote zurückgegangen werden müffen.
Aber felbft wenn N. feine Erlaubnifs gegeben hat, finde
ich das Verfahren nicht fchön, denn das Buch von W.
mufs als ein directes Concurrenzbuch für die englifche
Ausgabe der Neftle'fchen Porta wirken. Es ift hiernach
nicht überflüffig zu bemerken, dafs bei der Wiedergabe
von Matth. 26—28, die auch in Rödiger's Chreftomathie
liehen, W. fich an die Vulgata hält und Rödiger's kri-
tifche Aenderungen nicht mit annectirt hat — was freilich
hier für den Text beffer gewefen wäre. Aber
warum nicht andere Stücke? die Bibel ift doch umfangreich
genug!

Mein zweiter Einfpruch richtet fich gegen das Gloffar.
Ich habe das Stück aus der Gefchichte vom Bar Saumä
Wort für Wort mit dem Gloffar verglichen. Der Text
umfafst genau 70 Zeilen raumfreffenden Eftrangelä's; dabei
fehlen im Gloffar die Worte tachnanta 33, 5 v. u. (im
Gloffar fleht ctinantä, ein Wort, das es überhaupt nicht
giebt), man (pev) 33, 3, sdbrä 33, 4, der Name Chanbalig
33» 5 (W. weifs hoffentlich, der Anfänger aber in keinem
Falle, dafs es der Name der mongolifchen Hauptftadt
von China, des heutigen Peking, ift), die Partikel aukith
33» 6; 36, 2; duktä 36, 10 und geb 36, 13. Das möchte
noch gehen; aber nun die falfchen oder doch ungenauen,
fchiefen Bedeutungen! W. hat nur in der Minderzahl der

Fälle (wie dakki S. 40, h'nä V S. 41, rahhef'S. 53 u. a.)
es für nöthig gehalten, bei den Verbalwurzeln die abgeleiteten
Conjugationen einzeln aufzuführen; meift fetzt er
einfach das P'al und fügt die Bedeutungen der übrigen
Conjugationen gar nicht, oder ohne weitere Bemerkung
fo hinzu, dafs der Lefer denken mufs, fie kämen dem
Verbum eben fchon im Pcal zu. Dabei giebt es die von
ihm angeführten Pcal-Formen manchmal gar nicht, z. B.
k'tasch (Etpa'al 35, 8 ,kämpfen'), q'dä (Pa'el 35, 12); und
fogar päs [appis 35, 15, bekanntlich direct aus dem Grie-
chifchen abgeleitet!) wird uns nicht erfpart! Und wenn
es das P'al giebt, fo hat es häufig gar nicht die ihm zu-
gefchriebene Bedeutung; ,to reeeive' heifst bekanntlich
nicht q'bal, fondern qabbel (33, 3 v. u.), ,to have merey'
nicht dham, fondern etrahham (33 vorl. Z.); ,to be custo-
mary' heifst nicht 'ad (m'äd ,gewöhnt' 33 vorl. Z. ift
Partie, pass. Af'el); d'haq kann zwar mit ,to oppress' gelegentlich
überfetzt werden, aber das Etpa. 34, 7 bedeutet
,abgewiefen (eig. ,zurückgeftofsen') werden'; nicht
sch'lam heifst ,to betray', fondern das Afel, das aber
34, 13 auch nicht diefe, fondern die Bedeutung .übergeben
' vertritt; p'lag ift nur ,theilen', nicht ,zweifeln' (fo
nur das Etpa. = in fich getheilt, zweifelhaft fein), srä
nicht ,to cast away' (Pf. 2, 3, worauf fich diefe Angabe
wohl beziehen foll, ift es wie immer ,löfen' d. h. da ,ab-
löfen, abftreifen'), rä nicht ,to think' (fo nur Etpa.).
Auch fonft fehlt es nicht an argen Schnitzern. Pur
'ehid 34, 16 findet fich im Gloffar die Bedeutung ,memo-
rable', aber 34, 16 fleht ,die erwähnte Stadt'; nicht das
Pacel salli bedeutet ,to reject', fondern das Pcal und das
Afel, welches 35, 5 vorkommt; sudäjä 35, 9 ift wie immer
,Verfprechen' (woher die Bed. ,sign' flammt, weifs ich
nicht); tarbitä 34, 11 heifst nicht ,growth, increase', fondern
,Ernährung, Erziehung'; quddäj'36, 7 nicht ,possessor'
fondern ,Belitz, Erwerbung' — in den beiden letzten
Fällen deutet fchon die ganz bekannte grammatifche
Form auf das Richtige. Ich könnte noch einiges hinzufügen
, aber das Angeführte wird zur Begründung des
Rathes genügen, der Verf. möge fein Gloffar, das zu der
lobenswerthen Correctheit feiner Grammatik ein trauriges
Gegenftück bildet, fchleunigft umarbeiten. Da der Text
des Bar Saumä gar nicht fchwer ift, darf man jene
fchülerhaften Schnitzer wohl einer Eilfertigkeit der Bearbeitung
zufchreiben, die bei der durchaus forgfältigen
Herftellung der Grammatik zum Glück nicht obgewaltet
hat, und vor welcher der Verf. in Zukunft fich ohne
Frage zu hüten wiffen wird.

Halle a. S. A. Müller.

Tiefenthal, Prof. P. Fr. Sales, O. S. B., Das Hohe Lied.

Ausgelegt für Theologieftudierende und Theologen.
Kempten, Köfel, 1889. (VIII, 362 S. gr. 8.) M. 4. 50.

Ein allegorifcher katholifcher Commentar zum H. L.,
der uns anmuthet, als käme er aus einer anderen Welt.
Mit Verwunderung fchaut unfer Gefchlecht auf diefe altkirchliche
allegorifche Exegefe, welche die buchftäbliche
und natürlich auch die ,typifche' Erklärung als ,unwürdig
und umgeziemend'ausfchliefst76. — DemDogmenhiftoriker
mag intereffant fein, in welcher Weife heutzutage dasH. L.
allegorifirt wird. Verf. zeigt fich völlig abhängig von
den alten Muftern — ,der Exeget mufs aus den Alten
fchöpfen' 57 — und ftellt die verfchiedenen Erklärungen,
die zu verfchiedenen Zeiten in der Kirche geherrfcht
haben, neben einander. Das H. L. befingt die Vereinigung
des Meffias mit feinem Volke (Israel, der Kirche),
aber ,auch fonft können aus dem Cant. viele fchöne
Anwendungen gefolgert werden' 77, auf die Jungfrau
Maria, auf die frommen Seelen, u. f. w., u. f. w. Uns
Moderne, die überall den einen eigentlichen Sinn fuchen,
berührt dies Nebeneinander verfchiedener Erklärungen
befonders fremdartig. — Im Einzelnen könnte man fich