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Ausgabe:

1892 Nr. 13

Spalte:

332-333

Autor/Hrsg.:

Dalton, Herm.

Titel/Untertitel:

Die russische Kirche. Eine Studie 1892

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 13.

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werden könnte. Auch als 1605 die fünf Gebrüder Fürften
zu Anhalt in ihrem damals errichteten, auf die Landestheilung
bezüglichen ,Nebenvertrag' fich für die Einführung
der pfälzifchen Agende und des Heidelberger
Katechismus ausfprachen, hatte das nur die Bedeutung
eines Grundfatzes für die Zukunft, nicht eines mit bindender
Kraft ausgeftatteten fürftlichen Erlaffes (S. 239).

Dal ton, Herrn., Die russische Kirche. Eine Studie. Leipzig
, Duncker & Humblot, 1892. (84 S. gr. 8.) M. 2. —

Unter zeitgenöffifchen deutfchen Theologen dürfte
fich keiner finden, der wie Dalton befähigt fein könnte,
über die ruffifche Kirche zu berichten. Nicht nur fein
langer Aufenthalt in Petersburg ift ihm dabei zu gute

au j u- j <. • u.. j r u u u j 11 „ iL gekommen. Er hat die Klofter des Nordens fo gut wie

Aber das hinderte nicht, dafs bald nach der vollzogenen 5. . T . c. , c . T „ . °.__

x . ., /.Ä^r, • . -i x 1 ,u die im Innern und im Süden befucht. Im Privatzimmer
Landestheilung (1000) in den einzelnen Landestheilen

Agenden eingeführt wurden, welche auf der pfälzifchen

ruhten, und die Pfarrer auf den Heidelberger Katechismus

verpflichtet wurden, fowie dafs die Anhalter das 17. und

18. Jahrhundert hindurch fich als reformirt angefehen
haben. (Nur der Zerbfter Landestheil ift im 17. Jahrh.
zum Lutherthum zurückgeführt worden.) Und auch das
follte man nicht verkennen oder zu verhüllen fuchen,
dafs bereits in der von der Darftellung des Verf.'s um-
fpannten Periode, d. h. vor der Landestheilung, eine
ftarke Hinneigung zur reformirten Seite nicht blofs in den
Kirchengebräuchen (unfer Verf. ift geneigt, in deren Annahme
eine mehr aus irenifchen, bez. unioniftifchen
Wünfchen, als aus eigenem Intereffe hervorgegangene
Conceffion zu erblicken, S. 245, gewifs mit Unrecht),
fondern auch in der Lehre vorhanden war, wenigftens
da, wo der überarbeitete, gewöhnlich fogenannte ,ergänzte
Catcchismus Luthcri' in Gebrauch war.

Schliefslich fei ein untergelaufenes Verfehen berichtigt
: in Darmftadt gab es keine Pfalzgrafen (S. 175),
fondern Landgrafen.

Darmftadt. K. Köhler.

Seche, Leon, Les derniers Jansenistes et leur röle dans
l'histoire de France depuis la ruine de Port-Royal
jusqu' ä nos jours (1710—1870). Tome III. Paris,
Librairie academique Didier, 1891. (VII, 326 S. 8.)

In der Vorrede zu den beiden erften Bänden (Th. L.-
Z. 1891, 310) hatte der Verf. einen dritten Band in Ausficht
geftellt, der über die Utrechter Kirche handeln
follte. Er hat feinen Plan geändert. Der vorliegende
Band behandelt, wie es in der Vorrede heifst, ,die Ge-
fchichte des liberalen Katholicismus von 1830—1870',
genauer gefagt, eine Reihe von antiultramontanen fran-
zöfifchen Katholiken aus diefer Zeit, z. B. Bordas - De-
moulin, J. Wallon, die Bifchöfe Dupanloup und Maret,
Gratry und befonders Montalembert, Ch. Loyfon (Pere
Hyacinthe) und den Erzbifchof Darboy, nebenbei auch die
Ultramontanten L. Veuillot und Gueranger. Er liefert
alfo nur Beiträge zur Gefchichte des liberalen Katholicismus
in Frankreich bis einige Jahre nach dem Concil
von 1870, die kein vollftändiges Bild von diefer Zeit,
nicht einmal von den behandelten Perfönlichkeiten geben,
aber fehr intereffante Mittheilungen über fie. Er hat
dabei auch ungedruckte Briefe benutzt, u. a. von Montalembert
u. Marquife Forbin d'Oppede, derfelben, welche
auf Zureden Dupanloup's 1874 unter dem Namen L. May-
nier den erften Theil einer gelehrten Etüde historique
sur le concile de Trente veröffentlicht, aber bald aus dem
Buchhandel zurückgezogen hat (ausführlich befprochen
von A. v. Druffel im Bonner Th. Lit.-Bl. 1874, 529). —
Im Anhange wird zur Ergänzung des Berichtes im
2. Bande ein ausführlicher Bericht über den Verfuch der
Vertreter der Petite Eglise, ihre Sache auf dem Vatica-
nifchen Concil zurVerhandlung zu bringen, mitgetheilt. —
Das Buch hat, wie man fieht, mit den Janfeniften nichts
zu thun, verdient aber auch in Deutfchland gelefen und
beachtet zu werden.

Bonn. F. H. Reufch.

PobedonoszefPs hat er verkehrt und in San Franzisko
hat ihm der dortige Bifchof über die entferntefte Eparchie
der ruffifchen Kirche berichtet. Dazu wiffen wir, wie er
über ein reiches gefchichtliches Wiffen, eine fehr lebendige
Phantafie und eine leichte Darftellungsgabe verfügt.
Man tritt darum mit nicht ganz geringen Erwartungen
an feine Schrift heran. Ich kann leider nicht fagen, dafs
man fie durchaus erfüllt findet.

Es fehlt in diefer knappen Darftellung kaum ein
wichtigerer Punkt ganz. Aber die entfcheidenden Gedanken
und Motive treten im Lauf derfelben faft wie
zufällig auf. S. 35 lieft man: die (Ausbildung im Seminar
hat faft ausfchliefslich den Liturgen im Auge'. Aber
erft auf S. 51 reiht fich diefe Thatfache einem gröfseren
Zufammenhang ein: ,das ganze religiöfe Leben entfaltete
und bethätigte fich im Cultus'. Und die ganze Wucht
diefes Satzes fpürt man an der Stelle kaum, weil man
fich gerade bei der Befchreibung einer ruffifchen Kirche
und ihres Gottesdienftes aufhält, alfo in einem Zufammenhang
, in dem der Cultus mit Recht im Vordergrund zu
flehen fcheint. Hingegen da, wo D. (S. 8—12) in einer
dogmengefchichtlichen Betrachtung, die ftark an Kliefoth
erinnert, das gefchichtliche Verhältnifs der Confeffionen
zu einander befpricht, ift von dem Cultus kein Wort zu
lefen. Und das ift um fo bedeutfamer, als er auch S. 51
zwifchen dem ,gewaltigen, feurigen Strom der Lehrentwickelung
' der griechifchen Kirche und dem fpäteren
Ueberwiegen cultifcher Neigungen keinerlei Verbindungslinien
zieht. Wäre ihm der Zufammenhang, der hier
obwaltet, offenbar gewefen, fo hätte er die ,unnahbare
Gottesnähe', in die Chriftus zu entfchwinden droht, noch
anders begründet oder aufgefafst, als S. 10 gefchieht; er
hätte nicht nur behauptet, fondern auch gezeigt, inwiefern
,Mönchsftand und Klofterleben die nothwendige
Frucht' der Frömmigkeit diefer Kirche fein müffen (S. 41);
er hätte für die ,unklare, fromme Sehnfucht' ruffifcher
Pilger gerade im Gegenfatz zu römifcher Verdienftlich-
keit fich auf Motive berufen, die gefchichtlich greifbarer
find, als die Volksmeinung, ,Gott und feinen lieben Heiligen
in den Klofterkirchen viel näher zu fein' (S. 43); er
hätte auch das Feft der Rechtgläubigkeit nicht fo auffallend
gefunden (S. 13) und eine ,aufklärende Belehrung' über
die Mifsbräuche beim Bildcrdienft wäre ihm auf dem Boden
diefer Kirche fchwieriger erfchienen, als er jetzt feine
Lefer glauben macht (S. 57).

Das Letzterwähnte hängt damit zufammen, dafs D.
trotz allen hiftorifchen Rückblicken und Parallelen die
Bedeutung gefchichtlicher Einflüffe geringer anfchlägt,
als zweckmäfsig ift. Es find ganz uncontrollirbare, plato-
nifche Behauptungen, in denen er fich über ,die auszeichnende
Begabung und Sonderart', die .chriftlich veranlagte
Seele' des ruffifchen Volkes ergeht. Wenn ausdrücklich
hervorgehoben wird, dafs ,die Seele diefes
ruffifchen Volkes faft unberührt geblieben ift von all
dem Wechfel und Wandel feiner äufseren Gefchicke'
S. 15, fo wird der Beweis dafür doch recht fchwer zu
erbringen fein. Wenigftens werden Andere geneigt fein,
für die Weichheit und Milde des ruffifchen Charakters
fich auf mancherlei gefchichtliche Erfahrungen, nicht zuletzt
die Noth der Leibeigenfchaft, zu berufen. Die Unzugänglichkeit
für religiöfen Zweifel wird nicht Jeder
als Naturgabe, noch als befonders rühmenswerth zu würdigen
wiffen, wenn er beachtet, wie leicht beim Eintreten
beftimmter Bedingungen diefe angebliche Fertigkeit in