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Ausgabe:

1892 Nr. 12

Spalte:

307-308

Autor/Hrsg.:

Tischhauser, Chrn.

Titel/Untertitel:

Grundzüge der Religionswissenschaft 1892

Rezensent:

Reischle, Max

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Seite 1

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307

Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 12.

308

Wenn man es als den Zweck eines folchen Lehrbuches
bezeichnen kann, ohne Anfpruch auf das Hervorbringen
eigentlich neuer Erkenntnifse felbftftändig, gerecht und
mit wiffenfchaftlicher Klarheit in das Verftändnifs deffen
einzuführen, was die Wiffenfchaft der Gegenwart bewegt,
— das blofs Vergangene von dem Lebendigen durch
einleuchtende Kritik auszufcheiden und die Probleme
klar zu ftellen, an denen weiter zu arbeiten ift, fo werden
unparteiliche Lefer diefes Buches dem Verf. dankbar
das Zeugnifs geben, dafs er feiner Aufgabe in ausgezeichneter
Weife gerecht geworden ift.

Göttingen. H. Schultz.

Tischhauser, theol. Lehr. Chrn., Grundzüge der Religionswissenschaft
zur Einleitung in die Religionsgefchichte.
Bafel, (Reich), 1891. (IV, 184 S. gr. 8.) M. 2. —

Ein Buch, das fo befcheiden auftritt, legt auch der
Kritik Befcheidenheit auf. Der Verf. wollte für den Unterricht
, den die älteften Zöglinge der Basler Miffionsanftalt
über die grundlegenden Fragen der Religionswiffen-
fchaft erhalten, ein Hilfsmittel fchaffen, durch welches
das läftige und zeitraubende Dictiren erfpart werden
könnte; weiteren Anfpruch macht feine Schrift nicht.
Nach einer Einleitung über die Bedeutung und Gefchichte
der Religionswiffenfchaft wird der Begriff der Religion
beftimmt und an einigen der bekannteften Auffaffungen
Kritik geübt. Der Nachweis der Allgemeinheit der
Religion und die Widerlegung einer evolutioniftifchen
Anficht über ihren Urfprung leitet den Beweis der Thefe
ein, dafs Religion zum Wefen des Menfchen gehöre.
Daran fchliefsen fich Reflexionen über die Frage der
Urreligion und der Entftehung der heidnifchen Religionen,
deren Wahrheitselemente endlich zufammengeffellt und
kritifch gewerthet werden. Religionsgefchichtlicher Stoff
ift befonders in den letzten Capiteln eingefügt; die ein-
fchlägige Literatur ift reichlich, aber etwas excerptmäfsig
benützt. — Bei den behandelten religionswiffenfchaft-
lichen Problemen will der Verf. weniger fefte Refultate
als Anregungen und Fingerzeige geben; freilich erfcheinen
diefelben doch oft im Gewände ziemlich apodiktifcher
Entfcheidungen über recht fchwierige Fragen. So fordert die
Auseinanderfetzung über die angeborene Gottesidee, die
Erklärung des menfchlichen Falls aus der Dreitheilung
des Menfchen in Geift, Seele und Leib, die Zufpitzung
des Satzes, dafs fich nirgends Aufwärts-, fondern nur
Abwärtsentwicklung der Religion conftatiren laffe, die
Ausftattung der Urreligion mit der Erkenntnifs der Vater-
fchaft und Gnade, fowie der Heiligkeit Gottes und mit
der Einficht in den Werth der menfchlichen Perfönlichkeit,
und manches andere doch ftarke Bedenken heraus. — Man
darf fich aber gleichwohl darüber freuen, dafs die Basler
Miffionszöglinge zu religionswiffenfchaftlichen Studien
geführt und dazu angeleitet werden, in den heidnifchen
Religionen nicht blofs die dämonifchen Einflüffe zu
erkennen, welche der Verf. energifch behauptet, fondern
auch die Wahrheitselemente, die er nachweift. Die Frage
kann ich freilich nicht unterdrücken, ob die religions-
philofophifchen Auseinanderfetzungen mit Kant, Schleiermacher
, Hegel, Kaftan oder mit .einer gewiffen neueren
Theologie' nicht doch für den Miffionsunterricht zu hoch
greifen: werden die Miffionare dadurch nicht in die Ver-
fuchung geführt, ein theologifches Urtheil fich herauszunehmen
, zu dem fie ihre Schulung doch nicht befähigt
? Sehr unangenehm fällt in dem Buch eine Menge
von kleinen Ungenauigkeiten, befonders in der Schreibung
von Namen, auf. Wir lefen, zum Theil oft wiederholt
, R.O. Müller fiatt K.O. Müller, Delitfch ftatt Delitzfch,
Tholuk ftatt Tholuck, Welker ftatt Welcker, Dunker ftatt
Duncker, von Hoffmann ftatt Hofmann, Harles ftatt
Harlefs, Humbold ftatt Humboldt, Luthard ftatt Luthardt,
Joh. Lotze ftatt Herrn. Lotze, Phydias ftatt Phidias,

Eurytheus ftatt Euryftheus. Und Kant hat keine ,Religion
innerhalb der Grenzen der menfchlichen Vernunft'
(zweimal) oder ,der praktifchen Vernunft' gefchrieben,
Le Page Renouf keine Vorlefungen ,über Urfprung und
Entwicklung der alten Ägypter'. Auch manche Sätze
find nicht correct durchgeführt.

Giefsen. Max Reifchle.

Achelis, Prof. Dr. E. Chr., Praktische Theologie. 2 Bde.
Freiburg i/B., J. C. B. Mohr. (gr. 8.) ä M. II. —; geb.
ä M. 13. —

Inhalt: I, Einleitung. Die Lehre von der Kirche und ihren
Aemtern. Katechetik. Homiletik. Poimenik. (XX, 549 S.) 1890.—
2. Liturgik, Die Lehre vom Gemeindegottesdienft. Die Lehre von
den freien Vereinen. Kybernetik. (XX, 540 S.) 1891.

Dies Buch ift durch eine Reihe trefflicher Eigen-
fchaften ausgezeichnet. Es beruht nicht minder auf reicher
praktifcher Erfahrung, als auf folider wiffenfchaftlicher
Grundlage. Die Darftellungsweife ift klar, lebendig, warm.
Das Streben nach ftrenger principieller Haltung und die
Berückfichtigung des gefchichtlich Gewordenen und gegenwärtig
Zweckdienlichen ftehen in glücklichem Gleichgewicht
. Der Darlegung der gefchichtlichen Entwicklung
der Thätigkeiten und Formen des kirchlichen Lebens ift
ein breiter Raum gewährt. Nicht nur die ausgiebige Ver-
werthung der beften neueren Arbeiten, auch felbftändige
Detailftudien des Verf.'s machen das Buch in hiftorifcher
Hinficht zu einem reichhaltigen und zuverläffigen Hülfs-
mittel. Aber A. pflegt die hiftorifche Seite der pr. Th.
weder um des blofsen Wiffens willen, noch in archaiftifchem
Intereffe, fondern um durch die Einficht in den Procefs

j des Werdens an dem Gewordenen das bleibend Werth-

j volle von dem Falfchen oder Unzulänglichen zu unter-
fcheiden und die Richtung der nothwendigen Weiterbildung
zu erkennen. Die reformirte und die lutherifche
Eigenthümlichkeit findet in den hiftorifchen Ausführungen

[ gleichmäfsige Berückfichtigung. Durchweg zeigt fich das
Beftreben, das Werthvolle beider zu vereinigen.

A. nimmt mit vollem Bewufstfein die Kirchlichkeit
für fein Buch in Anfpruch, weil er nicht die Tradition
über das als kirchlich Geltende, fondern die genuine re-
formatorifche Anfchauung von der Kirche und ihren Cor-
relaten Evangelium und Glaube zum Leitftern aller Grund-
fätze und Regeln des kirchlichen Handelns macht und
gegen die noch vorhandenen, ja vielfach als fpecififch
kirchlich geltenden Refiduen katholifcher Tradition feine
Stimme erhebt. Gegenüber katholifirenden Velleitäten
in Bezug auf den Kirchen- und Amtsbegriff vertritt er mit
voller Entfchiedenheit die Anfchauungen, dafs die Kirche
primo loco nicht Anftalt, fondern die durch Wort und Sa-
crament hervorgebrachte und an ihnen als vorhanden zu er-

j kennende, beides, fichtbare und unfichtbare Gemeinde der
Heiligen ift, dafs jede Elinzelgemeinde eine Verwirklichung

I der Idee der Kirche ift, dafs in der Einzelgemeinde der
Schwerpunkt der ev. Kirche liegt, dafs die Ausgeftaltung
der Einzelgemeinde zu lebensfähigen und lebendigen Ge-

| meinden der Beitrag ift, welchen die evang. Kirche zur
Löfung der focialen Frage zu geben hat, dafs das Amt

I das Organ des unfichtbaren Wefens der Kirche, der
Mandatar der Gemeinde ift, die am Evangelium ihren
objectiven Grund und ihre objective Norm hat, dafs das
Wort Gottes die fiegreiche Lebensmacht der Kirche ift.
Die Wirkfamkeit der Sacramente hängt ihm daran, dafs
fie eine Geftalt des Wortes Gottes find, das durch feinen
Inhalt den Glauben erzeugt oder ftärkt und fo die Heilsgüter
mittheilt. Das Wort Gottes ift ihm die fich durch
ihren unerfindbaren Inhalt und ihre erlöfende Kraft felbft
beglaubigende Gnadenoffenbarung Gottes in Chriftus, der
in feiner perfönlichen gefchichtlichen Erfcheinung und in
feiner gegenwärtigen Lebendigkeit die Verkörperung und
Verbürgung der freien Gnadenverheifsung Gottes darftellt.