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Ausgabe:

1892 Nr. 10

Spalte:

262-263

Autor/Hrsg.:

Koldewey, Frdr.

Titel/Untertitel:

Geschichte des Schulwesens im Herzogtum Braunschweig 1892

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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2ÖI

Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 10.

262

u. vervollftänd. Aufl. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht's Verl., 1892. (VIII, 211 S. gr. 8.) M. 4.—

Das Buch, das 1864 zum erflen Mal erfchien, hat
an Inhalt wefentlich gewonnen. Mancherlei neue Hilfsmittel
, die der Verfaffer benützen konnte, nennt die
Vorrede, aber gerade die Quelle, die dem Verfaffer über
die wichtigften Fragen im Leben von Hermann Bonnus
ein Licht aufgefteckt, hat er ,mit den kleinen Bereicherungen
und Berichtigungen, welche die erfte Auflage
erfahren, verfchweigen' zu dürfen geglaubt. Er hatte
allerdings einigen Grund dazu, denn die Befprechung,
welche L. Grote der erflen Auflage in der Zeitfchrift
für hift. Theologie 1866 S.435—45° widmete, ift für den
Jenaer Dr. der Theologie äufserft bitter und befchämend.
Aber Spiegel hätte von Willi. Zimmermann lernen können
, der ehrlich bekennt, von Jörg, feinem gehäffigften
Kritiker, am meiften für die Gefchichte des Bauernkriegs
gelernt zu haben. Grote verdanken wir es, dafs
jetzt der Bildungsgang von H. Bonnus nicht mehr jene
eigenthümlichen Sprünge macht, wie in der erflen Auflage.
Es ift jetzt einige Klarheit in den Aufenthalt in Greifswald
und Gottorp gekommen, die Muthmafsungen über
feinen Aufenthalt in Roftock und Dillenburg (Dillingen!)
find gefallen. Unfere Kenntnifs von Bonnus' Schriften hat
durch Grote's Arbeit in diefer 2. Auflage wefentlich gewonnen
. Alles das hat der Verfaffer zu verfchweigen
für angezeigt gehalten. Leider hat er auch die Warnung
Grote's vor Flüchtigkeiten {I.e. S.442) nicht genügend
beachtet, obgleich ihm 24 Jahre zur Neubearbeitung feiner
Doctorfchrift vergönnt waren. Nicht einmal in der
Schreibung der Namen herrfcht Pünktlichkeit. (S. 5 Herrn,
v. demBusfche S. 21 v. d. Bufche, S. 8 Mycillus flatt
Micyllus; S. 13 Bolduan mitZitzlaff, während Hering, Sillem
etc. ihn Boldewan nennen.) Hermann Buscoducensis
foll ,etwas pathetifch gelehrte' Namensform für Hermann
von dem Busfche fein, S. 21, während es fleh dort um
einen Hermann von Herzogenbufch handelt. Jener
Erzbifchof Sigismund, dem Melanchthon feine Bearbeitung
der Chronik Cario's widmet, foll Primas von Deutfchland
gewefen fein. Das ifl nur möglich, weil Spiegel fleh nicht
bemüht hat, den Sitz diefes Mannes feftzuflellen, und flatt
an Magdeburg offenbar an Mainz denkt. (S. 14. 21.) Obgleich
Spiegel jetzt weifs, dafs Bonnus beider dänifchen
Königsfamilie in Gottorp weilte, redet er doch von einem
Aufenthalt desfelben ,in Dänemark, wo es ihm beffer
gefallen habe', als in Greifswald. Dafs Gottorp zu Schleswig
gehört, fcheint Spiegel unbekannt. Wie und wann
Bonnus dazu kam, vor der dänifchen Königin zu Reinfeld
, nicht allzuweit von Lübeck, zu predigen, hielt er
nicht für nötig, näher zu erforfchen. Die gefchichtlichen
Daten aufzulöfen, um fo den Gang der Dinge verftändlich
zu machen, ift eine der nächften Pflichten des Hiftorikers.
Der Verfaffer überhebt fleh diefer Mühe (S. 28. 46. 48.
49. 50. 58 204. 205). Eine bibliographisch genaue Be-
fchreibung der Schriften, ja fclbft ein vollständiges Register
erwartet man vergeblich. Nicht einmal die Frage,
wie Bonnus dazu kommt, feine Farrago in Schwäbifch-
Hall drucken zu laffen, exiftirt für den Verfaffer, während
es merkwürdig ift, dafs gerade Brenz 1543 an Konrad
Heel über die Stellung des Bifchofs von Münfter zur
Reformation berichten kann (Preffel, Anecdota Brentiana
S. 229) Höchft auffallend ift, dafs Spiegel Bugenhagen
zwei Mal nach Lübeck kommen und zwei Mal nach Wittenberg
zurückkehren läfst (S. 30. 32). Davon weifs Zitzlaff,
dem Spiegel folgt, nichts, noch weniger Hering, deffen
Schrift Spiegel nicht zu kennen fcheint. Auch Rinn's
Schrift ,Zum GedächtnifsBugenhagen's', das Licht über
die niederfächfifche Bibel giebt, ift ihm unbekannt. Ueber
Gerh. Hecker S.78 hätte Kolde in feinem Buch über die
Auguftiner den Verfaffer gründlich belehrt. Auffallend
fehlerhaft find die Mittheilungen über den Cifiojanus, z.
B. Priza Satt Prisca, S. 107. Fefte Ergebnifse einer tiefer

dringenden Unterfuchung find fehr häufig zu vermiffen,
z.B. über die Disputation Luther's über das Abendmahl
und Bonnus' Theilnahme, S. 20 ff., über Bonnus als erbten
Rector in Lübeck, (,So wollen wir Bonnus als erbten
Rector betrachten', als ob das im Belieben des Hiftori-
kers Sünde). Dafs Lübeck zwei Schulen befafs, ehe
Bugenhagen eine einheitliche fchuf, iS Spiegel entgangen.
Vgl. auch S.29, Vielleicht fchon früher'; S. 58 ,Mögendiefe
Propositioncs aus einer früheren Zeit herSammen'; S. 75
,Möglicherweife verfolgt Bonnus bei der Ueberfetzung
des Chronikon von Cario eine reformatorifche Tendenz'.
Ja nicht einmal die Erklärung des Namen Bonnus iS
geflehert; Spiegel Sicht darin eine Ueberfetzung des
Namens Gude, der Seh in der Nähe von Quakenbrück
finde. Aber erSlich hat Spiegel nicht nachgewiefen,
dafs diefer Name Seh fchon im Anfang des 16. Jahrhunderts
in Quakenbrück flndet. Dafs mancherlei
Schreibfehler bei lateinifchen Worten im 16. Jahrh. vorkamen
, ift unbestreitbar, aber dafs man ein fo bekanntes
Wort wie bonus falfch gefchrieben hätte, ift fchwer
glaublich. Endlich fchreibt der Bifchof Franz von Waldeck,
der in Quakenbrück nicht unbekannt war, den Namen
bald Bonnius, bald Bunnus und Bonnus, während er
doch wohl darüber klar fein konnte, ob der Name eine
Ueberfetzung von Gude fei.*) Die Definition des Unter-
fchiedes von Humanismus und Reformation nach Straufs
S.Ii befriedigt nicht; denn der Humanismus ift eine
wiffenfehaftliche Richtung, die Reformation eine
religiöfe.

Auch in formeller Beziehung hätte fleh der Verfaffer
etwas gröfserer Strenge befleifsigen dürfen, z. B. im
Gebrauch des Doppelpunktes S. 3. 8. 15. ff. ,Nun gut' S. 14.
,Genug'S.30. ,Daneben' S.91. Ueber die Stellung der Reformatoren
z. B. Luther's zum Untertauchen in der Taufe
fcheint Spiegel nicht ganz klar zu fein. Die Bemerkung
über ,die Subtilitäten der Concordienformel' S. 127 hätte
Sch der Verfaffer erfpart, wenn er Sch feine Bemerkung
S. 12 not. vorgehalten hätte: ,Es ift für den Hiftoriker ein
unfruchtbarer Streit, zu unterfuchen, wie Sch jemand
geftellt haben würde zu Erfcheinungen, die erft nach
feinem Tod eintraten'. Auch die Texte in den Anlagen
find nicht kritifch genug durchgearbeitet. Z. B. S. 149
Z. 15 ff. ift der Satz ,dadt me — vorwarndt' offenbar
lückenhaft.

Man hätte es dem Biographen des wackern Bonnus
gönnen mögen, wenn er mit gröfserer Befriedigung auf
die zweite .umgearbeitete' Auflage hätte zurückfehauen
können, als auf die erfte.

Nabern bei Kirchheim u/Teck. G. Boffert.

KoIdewey, Dir. Prof. D. Dr. Frdr., Geschichte des Schulwesens
im Herzogtum Braunschweig von den älteften
Zeiten bis zum Regierungsantritt des Herzogs Wilhelm
im Jahre 1831. Im Ueberblick dargeftellt. Wolfenbüttel
, Zwifsler, 1891. (VIII, 248 S. gr. 8.) M. 3.—
Jedem Braunfchweigifchen Paftor, Candidaten und
für feinen Beruf wirklich begeifterten Lehrer dürfte diefes
ebenfo billige wie treffliche Buch D. Koldewey's eine
hochwillkommene und bald unentbehrliche Gabe fein.
Aber auch alle diejenigen, welche fich im Allgemeinen
für die Gefchichte des deutfehen Schulwefens intereffi-
ren, — auch die Nichtbraunfchweiger, feien angelegent-
lichft auf diefes Werk aufmerkfam gemacht. Nicht nur,
dafs hier ein Meifter das Wort ergriffen hat, der nach
feinen Vorarbeiten wie kein anderer den einfehlägigen
Stoff beherrfcht und in ftaunenswerther Knappheit, vorzüglicher
, überfichtlicher Gruppirung und allgemeinver-
ftändlicher Darfteilung eine ungemein reiche Fülle werth-

*) Ein Sigmund Bonn von Wachenheim findet fich bei Schwenkfeld
, Epiftolare 3, 907.