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Ausgabe:

1892

Spalte:

235-237

Autor/Hrsg.:

Broglie, Emmanuel de

Titel/Untertitel:

La société de l‘abbaye de Saint Germain des Prés au dix-huitième siècle 1892

Rezensent:

Reusch, Franz Heinrich

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Theologilche Literaturzeitung. 1892. Nr. 9.

236

Broglie, Emmanuel de, La societe de l'abbaye de Saint-
Germain des Pres au dix-huitieme siede. Bernard de
Montfaucon et les Bernardins 1715—1750. 2 tomes. Paris,
E. Plön, Nourrit & O, 1891. (XI, 381 u. 336 S. 8.)
Fr. 15. —

DiefesWerk ift eine Fortfetzung des in der Th.L.-Z.
1888, 524 befprochenen über Mabillon. Es ift aber nichts
weniger als eine vollftändige Darfteilung des Lebens und
der fchriftftellerifchen Thätigkeit des grofsen Gelehrten.
In diefer Beziehung bieten die als Anhang zum erften
Male abgedruckten eigenhändigen Notizen Montfaucon's
mehr als das ganze übrige Werk. (Die Notizen find
1739 gefchrieben; am 17. Dec. 1741 hielt M. feinen
letzten Vortrag in der Academie des inscriptions; ein
Fremder fragte ihn bei diefer Gelegenheit, wie alt er fei;
er antwortete: In dreizehn Jahren werde ich hundert
Jahre alt fein; zwei Tage darauf ftarb er in Folge eines
Schlaganfalls, II, 305). Das einzige Werk, welches B.
etwas eingehender befpricht, ift ein nicht theologifches,
die Monuments de la monarchie francaise. Wie der
Titel des Buches andeutet, handelt es nicht blofs von
M., fondern auch von dem Kreife von Gelehrten, deffen
Mittelpunkt er war und den man fcherzweife die Akademie
der Bernardiner nannte, und von der fehr gemifchten
,Gefellfchaft' von Gelehrten, Literaten, Literaturfreunden
und vornehmen Leuten, die in der Abtei St. Germain
verkehrten oder mit Mitgliedern derfelben correfpon-
dirten. Das Buch macht gar nicht den Anfpruch, eine
wiffenfchaftliche Arbeit zu fein; es ift nur eine ausführliche
und gut gefchriebene Causerie. Der Verf. hat allerdings
viel ungedrucktes Material in Händen gehabt, die
maffenhaften Correspondances Benedictines der Parifer
Nationalbibliothek; aber er hat diefe Papiere, wie er
felbft II, 39 fagt, nur oberflächlich und unvollftändig benutzt
, und feine Notizen legen den Wunfeh nahe, dafs
einmal ein Sachkenner diefe für die Kirchen- undLiteratur-
gefchichte viel Werthvolles enthaltenden Aufzeichnungen
ausbeuten möge.

Um das Werk vollftändig zu charakterifiren, mufs
noch hervorgehoben werden, dafs der Verf. gefliffent-
lich allen theologifchen und kirchlichen Fragen aus dem
Wege geht. Den Mittelpunkt der kirchlichen und theologifchen
Bewegung in Frankreich in der erften Hälfte
des 18. Jahrhunderts bildete bekanntlich die Bulle Uni-
genitus. B. aber fagt gleich I, 14. 15: er werde ,von der
Rolle, welche viele Mauriner in diefen traurigen Streitigkeiten
fpielten, nicht reden; das wäre eine wenig unterhaltende
und wenig nützliche Gefchichte; diefe traurigen
Affairen find jetzt, Gott fei Dank, tödtlich langweilig geworden
*. Die vielen gelegentlichen Bemerkungen, die
er gleichwohl darüber macht, zeigen auch, dafs er wirklich
, wie er II, 112 fagt, ,keine Competenz hat, diefen
Gegenftand zu behandeln'.

Das Werk ift alfo viel mehr ein Beitrag zur franzö-
fifchen Culturgefchichte als zur Kirchengefchichte und
theologifchen Literaturgefchichte. Es bringt aber gelegentlich
manches auch für den Theologen Intereffante.
Montfaucon hatte fich der Appellation gegen die Bulle
Unigenitus nicht angefchloffen und fliehte auch feine
Ordensgenoffen davon abzuhalten; aber ein entfehiedener
Gegner der Appellanten war er nicht. Als 1720 Denys
de Sainte-Marthe zum General-Superior der Mauriner
gewählt war, bat er den Cardinal Paolucci, diefem die
päpftliche Beftätigung zu verfchaffen, obfehon er Appellant
fei. Er verkehrte auch fpäter freundfehaftlich nicht
nur mit denjenigen Ordensgenoffen, die Appellanten
waren, fondern auch mit anderen entfehiedenen Anhängern
der Partei, wie mit dem Gefchichtfchreiber Rollin, dem |
gelehrten Abbe- Goujet (B. fchreibt Gouget), und fogar
den Bifchöfen Coislin von Metz und Colbert von Montpellier
. Sainte-Marthe bemühte fich als General-Superior,
die Mauriner zur Anerkennung der Bulle zu bewegen.

In derfelben Richtung wirkte auch der Cardinal Biffy,
der Abt von St. Germain war und der durch die Mauriner
Thuillier, einen bekehrten Appellanten, und Le Seur
eine Histoire de la Constitution Unigenitus en France fchrei-
I ben liefs (II, 260). 1735 gelang es, die Patres von St. Ger-
main zur Unterzeichnung einer Unterwerfungs-Erklärung
zu bringen; die wenigen, welche ftandhaft blieben, wur-
j den in Klöfter in der Provinz zerftreut. L) — Die Abtei
| St. Germain wurde wegen ihrer reichen Einkünfte feit
dem Anfange des 17. Jahrhunderts regelmäfsig irgend
i einem Günftling der Regierung, der gar nicht dem Orden
angehörte, in commendam verliehen. Unter Ludwig XIV.
J war der frühere König von Polen Johann Cafimir Com-
i mendatar-Abt; ihm folgten drei Cardinäle; nach dem
1 Tode des Cardinais Biffy im J. 1737 wurde der Graf von
I Clermont Abt. Er hatte als neunjähriger Knabe die
I Tonfur und vor und nach kirchliche Beneficien mit 198,0x30
Livres Einkommen erhalten, war dann mit päpftlicher
I Dispenfe in die Armee eingetreten und führte einen
Lebenswandel, dafs B. fagt, er fei ficher der letzte Menfch

I auf der Welt gewefen, dem die Regierung die berühm-
tefte und reichfte Abtei von Frankreich hätte verleihen
follen; Barbier fagte von ihm: 77 doit deux millions dans

j Paris et change tous les jours de maitresse. Die Abtei
brachte ihm jährlich 180,000 Livres ein; daneben bezog
er noch 91,000 aus anderen Beneficien. ,Als die Revolution
alle Kirchengüter confiscirte', fagt B. II, 299, ,konnte
man diefe Mafsregel, die alle Rechte verletzte, faft die
natürliche undlogifcheConfequenz des Gebrauches nennen,
den die Regierung feit einem Jahrhundert davon gemacht
hatte'. — Ob B. wohl erkannt hat, wie viel in einem
Satze liegt, den er II, 174 drucken läfst? Er lautet:
,Cardinal Alexander Albani war einer der Befucher der
berühmten Madame de Tencin, während fie fich 1721
bis 24 mit ihrem Bruder in Rom aufhielt, der beauftragt
war, für Dubois den Cardinalshut zu erwirken'. Albani
war der Neffe Clemens' XL, des Vaters der Bulle Uni-
genitus, ,einer der letzten Cardinal-Nepoten, welche die
Gefchichte nennt', wie B. fagt. Dafs Dubois auf Betreiben
des Regenten, des Herzogs von Orleans, 1723 von Inno-
cenz XIII. zum Cardinal ernannt wurde, ift wohl die
feandalöfefte Cardinalspromotion, die im 18. Jahrhundert
ftattgefunden hat. Tencin wurde nach feiner Rückkehr
von Rom, wohin er 1721 als Conclavift des Cardinais
Biffy gegangen war, Erzbifchof von Embrun und hielt
dort 1727 das Concil, auf welchem der Bifchof Soanen,
einer der würdigften Prälaten der damaligen Zeit, wegen
der Oppofition gegen die Bulle abgefetzt wurde; 1739
wurde er felbft Cardinal. Ein ultramontaner Kirchen-
hiftoriker (Picot, Memoires, 3. ed., 2, 20) fagt von ihm:
er habe nicht in gutem Rufe geftanden; man habe von
ihm gefagt, er fei in die Finanzoperation Law's, der bei
ihm katholifch geworden, verwickelt gewefen; jedenfalls
fei feine Schweiler darin verwickelt gewefen, eine frühere
Nonne, qui composa des romans licencieux et fut tres-de-
reglee dans ses moeurs. Ein nicht ultramontaner Kirchen-
hiftoriker(Guettee, Hist. de feglise II, 379) fagt von Tencin:

II etait, depuis longtemps, per du de Deputation; ses mau-
vaises moeurs etaient connues aussi bien que ses liaisons
avec Law.

Montfaucon fagt in feinen eigenhändigen Notizen
(II, 317): Un Jesuite ayant fait un ecrit contre notre edi-
tion de Saint Augustin, fy fis reponse ä Rome par un petit
ecrit: Vindiciae editionis S. Augustini etc., et je fis condam-
ner Iecrit du Jesuite. B. erwähnt diefes in feiner Darftel-
lung gar nicht (vgl. Th. L.-Z. 1890, 573 und meinen Index
2,686), ebenfowenig den Streit, der in Italien über M.'s
Diarium italicum entftand, und den Brief, worin M. einen
römifchen Prälaten bat, das Verbot des Bibelwerkes von

1) Histoire de la Constitution Unigenitus en ce qui regarde la
Congregation de Saint Maur, Utrecht 1736 (von Dom Philippe le Cerf
de la Pievit le).

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