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Ausgabe:

1892 Nr. 8

Spalte:

215-218

Autor/Hrsg.:

Achelis, E. Chr.

Titel/Untertitel:

Christusreden. Predigten. 1. Bd 1892

Rezensent:

Diegel, J. Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 8.

216

rung des Herrn Pfr. Monod auf den Angriff von Prof.
Doumergue (Revue Chretienne Märzheft 1892); unter den
drei Punkten, welche er dort zur Sprache bringt, ift der
letzte, die Zurückweifung der Anklage auf abfoluten
Subjectivismus, von allgemeinem Intereffe.

Blicken wir auf die noch keineswegs ruhende Contro-
verfe zurück, fo wird fich jedem Kenner der Entwickelung
der franzöfifchen Theologie der letzten Jahrzehnte der
Vergleich mit der Anfangs der fünfziger Jahre durch
die Strafsburger Revue hervorgerufenen Bewegung aufdrängen
. Eine der erden Lieferungen diefer Revue brachte
einen Artikel Scherer's, welcher demfelben Gegenftand
gilt, den Pfr. Monod in feiner Schrift behandelt (De l'au-
torite en mattere de foi, im Auguftheft 1850); die in der
Strafsburger Revue angeftrebte Löfung berührt fich in
manchen Punkten mit den Ergebnifsen des Monod'fchen
Verfuchs. Und doch darf behauptet werden, dafs der
Vergleich zum Vortheil der Gegenwart ausfchlagen mufs.
Seit jener Zeit hat die wiffenfchaftliche Theologie des
franz. Proteftantismus manches gelernt und manches ver-
geffen. Die dialektifche Schärfe der Unterfuchungen
Scherer's u. Colani's artete häufig in einfeitigen Intellec-
tualismus aus; die ausgezeichneten Leiftungen des erft-
genannten Theologen leiden an einem Grundmangel, aus
welchem fich die weiter von der Kirche und dem Chriften-
thum fich immer mehr losfagende Entwickelung Scherer's
erklärt: es ift die Mifsachtung der praktifchen Nöthig-
ungen, aus welchen der religiöfe Glaube entfpringt, die
Verkennung der ethifchen Factoren, welche dem vorwiegend
logifch gefchulten Franzofen immer mehr zu
nebenfächlichen Gröfsen herabfanken. Von diefem
Schaden ift in der Schrift des Herrn Monod keine Spur
zu finden; das Pathos, mit welchem er die bei Scherer
zurückgedrängten Intereffen zur Geltung bringt, bildet vielmehr
ein charakteriftifches Merkmal feiner Gedanken.
Nicht auf Ed. Scherer, fondern auf Vinet u. Ch. Secretan
greifen folche Gedanken zurück; wollte man die geiftigen
Väter der in dem Manifeste enthaltenen Ausführungen
nennen, fo müfste man diefe, nicht jenen für den Subjectivismus
' unferes Verf.'s verantwortlich machen. Die
neue freiere Theologie ift fichdiefes Zufammenhanges wohl
bewufst, und findet mit Recht in der Weiterbildung der
Gedanken Vinet's das wirkfamfteSchutzmittel fowohl gegen
die rein verftandesmäfsige Richtung eines hyperkritifchen
Rationalismus, als gegen eine innerlich haltlofe, aus der
Angft geborene Wiederherftellung einer morfch gewordenen
Ueberlieferung. Den zahlreichen, aus der unmittelbaren
Gegenwart in diefem Geift gemachten Verfuchen
(vgl. z. B. R. Hollard, La theologie de la peur et la theologie
de la foi. Paris 1891 — J. F. Astie, Edmond Scherer
et la theologie independante. Laufanne 1891) reiht fich die
Differtation, die wir anzuzeigen die Ehre haben, in würdiger
Weife an.

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

Achelis, Prof. Dr. E.Chr., Christusreden. Predigten. Freiburg
i. B., J. C. B. Mohr, 1890. (VIII, 239 S. gr. 8.)
geb. M. 4.—

Diefe 27 Predigten find aufser den beiden letzten,
welche durch ihre Beziehung auf den Rectoratswechfel
eine befondere Stellung einnehmen, nach der Reihenfolge
ihrer Texte in der Bibel geordnet. Als Texte,
deren 4 dem Alten Teftamente angehören, dienen zum
kleineren Theile ganze alte Perikopen oder einzelne Ab-
fchnitte derfelben, zum gröfseren Theile wurden fie freigewählt
. Da weit mehr kurze als lange Texte zu Grunde
liegen, konnten fie eingehend behandelt werden. Scharffinnige
Textbehandlung mit häufiger gefchickter Hinzuziehung
anderer Schriftftellen, insbefondere geiftreich.es
Combiniren verfchiedenartiger Schriftftellen, bildet einen
grofsen Vorzug diefer Predigten. Die gute Auswahl der

Texte führte nicht nur überhaupt auf religiös wichtige
Themata, fondern fie ermöglichte insbefondere auch,
dafs der Verf. dem entfprechen konnte, was er in der
Vorrede fagt: ,Wie der Apoftel Paulus nichts Anderes
unter den Bewohnern Korinths als Gegenftand feiner
Predigt wiffen wollte, als Jefum Chriftum, den Gekreuzigten
, fo halte auch ich den Herrn Jefus Chriftus, in
welchem alle Fülle der Gnade und Wahrheit befchloffen
ift, für den ausfchliefslichen Inhalt der ev. Predigt.... Der
Sorge, es möchte das weite, grofse Gebiet evangelifcher
Verkündigung dadurch verengt, es möchten hochberechtigte
Dinge dadurch ausgefchloffen werden, möge der
; Inhalt auch diefer Sammlung wehren'.

In der That! Diefe kurzen Predigten (im Durchfchnitte
1 etwa 8 S.) umgeben den mit Entfchiedenheit in den
I Mittelpunkt geftellten Chriftus mit reichem, mannigfalti-
I gern Inhalte. Sie find ganz das Gegentheil von trockener
Lehrhaftigkeit und ruhig ausmalender Breite. Sie er-
weifen fich als Arbeiten eines geiftreichen, fcharffinnigen
] Theologen, der nicht in einer gewöhnlichen Gemeinde,
i fondern unter den Einflüffen der Wiffenfchaft als deren
i eifriger Mitarbeiter an einer Univerfität wirkt. Für ge-
j wohnliche Zuhörer wäre mancher der vielen fchönen
Gedanken zu fein und hoch, zu fehr nur Andeutung,
oder beffer, er wäre ihnen, wenn auch an fich klar, zu
bündig ausgefprochen, fo dafs fie weitere Ausführung,
insbefondere Verdeutlichung durch Beifpiele, fowie ge-
| nauere Hinweifung auf beftimmte Lebensverhältnifse
und Seelenzuftände wünfchen müfsten. Ebenfo im Ver-
i laufe der Predigt etwas mehr einfache Ueberfichtlichkeit.
Gebildeten Zuhörern dagegen pflegt folches nahebringende
Auseinanderlegen des ihnen Bekannten oder
doch leicht Verftändlichen läftig zu fein. Sie werden fich
gerade von der lebhaften, mit eigenthümlich und beftimmt
gefafsten, fcharffinnigen Gedanken rafch vorwärts fchrei-
tenden Öarftellung des Verfaffers mächtig angezogen
fühlen und gern felbft Manches weiter ausführen. Das
mit der erwähnten ausführlichen Anfchaulichkeit nicht
zu verwechfelnde Sich-Bewegen in längft bekannten,
ausgefahrenen Gedankengeleifen läfst auch Dorfgemeinden
unbefriedigt. Gegenüber den vorliegenden Predigten
, welche weit mehr einem englifchen als einem
franzöfifchen Garten gleichen, würde niemals die Klage
eines heffifchen Landmannes laut werden: ,Wenn unfer
Pfarrer zu predigen anfängt, dann weifs gleich die ganze
Gemeinde, wo er hinaus will'.

Bei dem Hören kann übrigens auch dem Verftänd-
nifse des gewöhnlichen Zuhörers der Vortrag trefflich
nachhelfen und der Gefammteindruck wirft auf an und
für fich im Dämmerlichte bleibende Einzelgedanken ein
rafches Licht, ja er hilft manchen diefer letzteren zu
dauernder Wirkung und Einprägung. Der wirklich gei-
ftige Förderung fuchende Lefer aber wird lieber einen
inhaltreichen Satz langfam oder mehrmals vornehmen,
als über ihm Werthlofes flüchtig hinwegeilen.

Der Verf. bietet felbft manche treffliche Hülfe zum
AufTaffen und Behalten der Hauptfache. Die Themata
werden in fehr klarer, bündiger, nicht feiten entfprechend
dem eigenthümlichen Inhalte befonders glücklicher und
fpannender Form angekündigt, z. B.4 über Pfalm 139,23.
24 die Allwiffenheit Gottes ift unfere Seligkeit; 13 über
Joh. 5, 39—40 Chriftus der einige Mafsftab für den Werth
der heiligen Schrift; 23 über 1 Cor. 4, 1—5 die Adventsfreude
des Chriften, dafs Chriftus unfer Richter ift; 5 es
giebt eine Erhörung des Gebetes ; 16 die höchfte Ehre
des betenden Chriften; 19 flehe er betet. Die 4 Predigten
über das Gebet fcheinen mir vortrefflich und gerade
in einer Univerfitätskirche fehr am Platze. Wie die Anrede
überhaupt häufig vorkommt, fo insbefondere geeigneten
Ortes, wie bei dem Beginne und Ende der
Semefter, fehr gut anfaffend an die akademifchen Zuhörer
, z.B. am Anfange der 4. Predigt, am Schluffe der 5.,
am Anfange und Schluffe der 7. und 18. Theil 1 der 8.