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Ausgabe:

1892 Nr. 8

Spalte:

207-208

Autor/Hrsg.:

Költzsch, Frz.

Titel/Untertitel:

Melanchthons philosophische Ethik. Inaug. -Diss 1892

Rezensent:

Nitzsch, Friedrich August Berthold

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Seite 1

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207 Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 8. 208

und weiter 346 vergleichen will, meiner Datirung Recht
geben wird. Dann wird er aber auch erkennen, dafs
er für feine Darftellung guten Gebrauch von demfelben
hätte machen können. Ich bemerke ferner, dafs die
Briefe Luther's und Melanchthon's, welche der Verfaffer
auf S. 103 befpricht, fchon bei de Wette VI 160 refp.
Corp. Ref. III 214 abgedruckt find. Ebenfo wäre für
die KO. felbft auf Richter, Ev. KOO. I 273 ff. zu verweifen
gewefen. Befonders intereffant ift Amsdorfs Schreiben
an die Stadt Hannover, 6. März 1535, in welchem er den
Druck der von Luther bereits gebilligten KO. hintertreibt
, mit der Motivirung, dafs man es ,bei der Ordnung
Chrifti und feiner lieben Apoftel bleiben laffen
folle'. Bedenkt man, dafs derfelbe 1531 felber der Stadt
Goslar eine KO. gearbeitet hatte, fo kann man den Gedanken
nicht unterdrücken, dafs diefem wunderlichen
Heiligen KOO. nur dann gefielen, wenn er fie felber
verfafst hatte.

Kiel. G. Kawerau.

Koitzsch, Domdiak. Frz., Melanchthons philosophische Ethik.

Inaugural-Differtation. Freiberg, Craz & Gerlach, 1889.
(IV, 135 S. gr. 8.) M. 2. —

In der Ueberzeugung, dafs Melanchthon's Verdienfte
um die Sittenlehre noch nicht die gebührende Beachtung
gefunden hätten und "die feinige auch in der neu-
eften Monographie (der von Herrlinger) nicht richtig
dargeftellt fei, entwickelt der Verf. von Neuem, ja feiner
Meinung nach (S. 52) in gewiffem Sinne zum erften Male
(nach Erledigung der betr. Einleitungs- und Vorfragen)
das Syftem der philofophifchen Ethik des Reformators.
Die ältere und neuere Literatur über den Gegenftand
ift (S. 6 bis 18) ausführlich von ihm angegeben und be-
urtheilt, und nur wenige hierher gehörige Specialabhandlungen
, wie die von Alb. Haenel ,Melanchthon der
Jurift' (in der Zeitfchr. für Rechtsgefch. Bd. VIII), find
unerwähnt geblieben. — Zum Grunde legt der Verf. mit
Recht vorzugsweife die Ethicae doctrinae elementa (zuerft
1550, zuletzt I56berfchienen), welche übrigens im Wefent-
lichen eine neue (6.) Auflage der zuerft fchon 1538 und
dann öfter erfchienenen, 1550 aber vollftändig umgearbeiteten
(philosophiere moralis) Epitome war. Diefe aber
war urfprünglich eine Zufammenfaffung der drei erften
und des fünften Buches der Nikomachifchen Ethik des
Ariftoteles, welche nebft anderen moraliftifchen Abhandlungen
der Alten Mel. in anderen Schriften auch commen-
tirt hat, jedoch nach des Verf.'s Urtheil mit dem Streben,
dem Ariftot. immer felbftändig gegenüberzuftehen (S. 4).
Berückfichtigt oder doch angeführt find von Költzfch
auch zahlreiche fonftige moralphilofophifche, anderweitige
philofophifche, juriftifche und dogmatifche Arbeiten des
Reformators. Sein Bericht über den Inhalt der Ethik
desfelben ift forgfältig, ohne Lücken und im Ganzen an-
fchaulich. Dafs das Werk der fyftematifchen Ordnung,
ja jeder eigentlichen Dispofition entbehre, was meiften-
theils behauptet wird, giebt er nicht zu, weift vielmehr
nach (nachdem er zuvor feftgeftellt hat, dafs es fich hier
wefentlich nicht um eine Pfiichtenlehre, fondern um
Tugendlehre handelt), dafs fich der gefammte Stoff
unter folgendem Schema darfteilt: A. Genefis der
Tugend, B. Bethätigung der Tugend, und zwar der-
geftalt, dafs im erften Haupttheil (Genefis) 1) das fitt-
liche Wiffen, 2) das fittliche Wollen erörtert, als Refultat
von Wiffen und Wollen fodann 3) die Tugend hingeftellt
werde. Im zweiten Haupttheile werde hierauf als Bethätigung
der Tugend 1) die allgemeine Gerechtigkeit,
2) die befondere Gerechtigkeit ins Auge gefafst. Der
Darftellung geht durchweg eine Beurtheilung zur Seite,
und nach diefer erfcheint die relative Selbftändigkeit
Mel.'s in einem glänzenderen Lichte, als nach der herr-
fchenden Meinung, fo jedoch, dafs auch die fchwachen

Seiten und die Abhängigkeit nicht vertufcht werden.
Was die letztere betrifft, fo vertritt K. mit Recht die
Anficht, dafs im Vergleich mit dem Einfluffe des Ariftoteles
auf Mel. der Plato's bisher zu fehr unterfchätzt
worden fei. Ein Moment wird aber von K. felbft unterfchätzt
, nämlich der trotz aller reformatorifchen Kritik
unleugbar vorhandene Einflufs der Scholaftik und der
neuplatonifchen Philofophen, von denen das Mittelalter
beherrfcht war. Der Verf. bedenkt z.B. nicht, dafs auch
dem Thomas Aqu. Ziel des Menfchen — Gott ift,
und er berückfichtigt gar nicht den Porphyrius und den
Boethius, während doch namentlich der letztere für die
Terminologie entfehieden mafsgebend war. Aus diefer
zu geringen Beachtung der Scholaftik und des Boethius
erklärt fich nun eine gewiffe Unficherheit des Verf.'s in der
Beurtheilung der Lehre Mel.'s vom Gewiffen einerfeits,
von der Contingenz andererfeits. Nach der Ueberzeugung
des Ref. hat Mel. gegen die fcholaftifche Lehre vom
Gewiffen in Wahrheit fehr wenig einzuwenden; er verwirft
die Lehre der , TheologP (d. h. des Albertus
Magnus, Thomas Aquin. etc.) vom Gewiffen, derzufolge die
(unfehlbare) Synterefis zwar keine befondere potentia,
aber eine Fertigkeit {Habitus), nämlich angeborene
Kenntnifs des moralifchen Gefetzes ift, die conscienüa hingegen
eine (nicht unfehlbare) Thätigkeitftrcto), nämlich
die der Application des Gefetzes auf einzelne Handlungen
-— diefe Lehre verwirft Mel. nur in fo fern, als er den
Ausdruck avv%rfiiaic, mifsbilligt, mit Berufung auf Paulus,
der den ganzen Procefs (den ganzen ,Syllogismus' ein-
fchliefslich des das Gefetz enthaltenden Oberfatzes) als
Gewiffen bezeichne. Bemerkungen wie die, dafs Mel.
(im Gegenfatz zu den Scholaftikern, von denen gerade
die Synterefis als irrthumslos bezeichnet wird) eine
Schwäche des fittlichen Wiffens einräume (S. 70), hält
Ref. für unrichtig. Unrichtig ift auch (S. 86), dafs con-
tingens bei Mel. das Mögliche bedeute. Contingentia heifst
weder bei den Scholaftikern, noch bei Mel. jemals etwas
anderes, als entweder Zufälligkeit = Nichtnothwendigkeit,
oder Freiheit; Zufälligkeit allerdings nicht im Sinne deffen,
quod casu factum est oder fit, wohl aber im Sinne des
(Leibnitz'fchen) kosmologifchen Beweifes vom Dafein
Gottes, in welchem gegenüber Gott als dem ens necessa-
rium die Welt als nicht nothwendig und in fo fern als
zufällig erfcheint. Trotz folcher kleiner Mängel darf
aber die Arbeit des Verf.'s als im Wefentlichen fehr tüchtig
und verdienftlich bezeichnet werden.

Kiel. F. Nitzfeh.

Troeltsch, Privatdoc. Lic. Ernft, Vernunft und Offenbarung
bei Johann Gerhard und Melanchthon. Unterfuchung zur
Gefchichte der altproteftantifchen Theologie. Göttingen
, Vandenhoeck & Ruprecht's Verl., 1891. (VI,
213 S. gr. 8.) M. 4.50.

Der Verf. geht davon aus, dafs es das Grundproblem
derDogmatik fei, die religiöfe Erkenntnifs irgendwie
mit der zu einer gegebenen Zeit herrfchenden geiftigen
Bildung auszugleichen, um dadurch die Wirkfamkeit der
Religion von Hemmnifsen zu befreien und ihr vollen
Spielraum zu fchaffen. Hieraus folgert er, dafs man,
um das Charakteriftifche einer gefchichtlich vorliegenden
Dogmatik zu erkennen, vor allem die Näthe zu beachten
hat, in denen beides zufammenftöfst und vereinigt wird.
Die orthodoxe Dogmatik unter diefem Gefichtspunkt zu
fchildern und zu würdigen ift die Aufgabe, die er fich
ftellt. Ein Doppeltes unterfcheidet er wieder darin, die
äufserliche Nebeneinanderordnung von Vernunft und
Offenbarung, wie fie in der Lehre vom usus organicus
der Vernunft gegeben ift, und die innere Bezogenheit
der beiden Gröfsen aufeinander, wie fie fich in der natürlichen
Theologie darftellt. Dem erften Theil der Aufgabe
ift der erfte, dem andern der zweite Abfchnitt