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Ausgabe:

1892 Nr. 8

Spalte:

206-207

Autor/Hrsg.:

Bahrdt, Waldemar

Titel/Untertitel:

Geschichte der Reformation der Stadt Hannover 1892

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 8.

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kaner in Deutfchland während des erften Jahrhunderts
ihres Beftehens aus. Vor allem gewinnen wir hieraus
eine lebendige Anfchauung von den Hindernifsen, mit
welchen der aufftrebende Orden zu kämpfen hatte, —
dem tiefbegründeten Antagonismus des Pfarrclerus, den
auch einige Bifchöfe unterftützten, und der Eiferfucht
der älteren Orden, befonders der Ciftercienfer und Kart-
häufer. Hermann's Provinzialat ift ausgefüllt mit folchen
Kämpfen. Auch die Zwietracht zwifchen dem hl. Franz
und dem hl. Dominicus reicht fchon in diefe Zeit hinein.
Die Minoriten fcheinen fich mehr den beflehenden Gewalten
anzufchliefsen, während die Dominikaner, getragen
von der Gunft gerade des deutfchen Adels, Bolz und zäh
ihre Anfprüche behaupten. Ueber die Disciplin des
Ordens, befonders über die Stellung der Frauenklöfter,
läfst fich aus diefen Briefen ein reiches Bild entwickeln,
das fchon bedeutende Trübungen enthält; wenigftens
vermag ich den Zuftand der Frauenklöfter nicht in einem
fo rofigen Licht zu fehen, wie Finke (S. 46). Merkwürdiger
Weife fcheint die Sammlung für die deutfche
Ketzergefchichte ganz unergiebig zu fein. Dafs die
Dominikaner fich die Befireitung der Ketzer zu ihrer
Hauptaufgabe gemacht hatten, davon bemerkt man in
diefen Briefen geradezu nichts. Streitigkeiten um den
Befitz und Disciplinarangelegenheiten fcheinen jenes
höhere Intereffe für die deutfchen Dominikaner fo lange
verdrängt zu haben, bis fie fich überall confolidirt hatten.
Auch die Dogmengefchichte erhält durch diefe Sammlung
keine Bereicherung. Um fo werthvoller ift die Bereicherung
unferer Kenntnifs einzelner Perfonen; dahin
gehören Rudolf von Habsburg, Ottokar von Böhmen,
Johann von Brandenburg in ihrem Verhältnifs zu dem
Orden, ferner Albertus Magnus und die Provinziale
Ulrich Engelbert und Hermann von Minden. Ueber
die Stellung der Juden in Deutfchland und fpeciell über
ihr Verhältnifs zum Predigerorden verbreitet Nr. 94 neues
Licht. — Finke hat in einer feiner Publication voraus-
gefchickten Einleitung die intereffanteften Daten herausgehoben
und zufammengeftellt, ohne aber den Anfpruch
auf vollfländige und tiefere Verwerthung zu machen.
Voraus geht eine genaue Befchreibung der Handfchrift;
am Schlufs folgt ein ausführliches Namensverzeichnifs
zu den Briefen. — Leider ift in der Einleitung eine Anzahl
finnftörender Druckfehler ftehen geblieben; auch
find die auf die Brieffammlung bezüglichen Citate—wahr-
fcheinlich in Folge fpäterer Umordnung der Briefe —
von Nr. 80 an alle um eine Nummer zu hoch gegriffen.

Marburg i. H. B. Befs.

Kneer, Dr. Aug., Kardinal Zabarella (Franciscus de Zaba-
rellis, Cardinalis Florentinus) 1360—1417. Ein Beitrag
zur Gefchichte des grofsen abendländifchen Schismas.
1. Thl. Differtation. Münfter i/W., [Theifsing], 1891.
(VIII, 63 S. gr. 8.) M. 1. —
Von den drei grofsen Kirchenpolitikern des Kon-
ftanzer Concils haben Ailli und Gerfon auch in neuefter
Zeit ihre Biographen gefunden. Zabarella, der dritte,
ift uns noch eine mehr oder weniger unbekannte Gröfse,
denn die italienifche Monographie Giufeppe Vedora's ift
zu wenig bekannt und zu unkritifch. Eines Mannes
Verftändnifs erfchliefst fich uns aus der Kenntnifs feines
Werdens. Die nothwendige Grundlage dazu giebt in
feltener Beherrfchung des ausgedehnten literarifchen
Materials und auf Grund eigener archivalifcher Forfchun-
gen in italienifchen und deutfchen Archiven ein Schüler
Heinrich Finke's in Münfter. Die zwanzigjährige viel-
feitige Thätigkeit des Paduaners in feiner Vaterftadt
wird uns jetzt eigentlich erft erfchloffen; und nun auf
dem heimifchen Boden erhält der gelehrte Canonift für
uns erft Fleifch und Blut. Wir beginnen zu ahnen, dafs
auch in diefem Italiener diefelbe eigenthümliche Mifch-

ung nationaler und univerfalkirchlicher Intereffen wirkfam
ift, deren Entdeckung uns feine franzöfifchen Zeitge-
noffen erft verftändlich gemacht hat. Aber freilich das
beginnen wir nur zu ahnen, denn Kneer bietet uns nur
ein Mofaik von Details, in dem das verbindende Element
gefchichtlicher Betrachtung fehlt. Es ift der rohe
Unterbau, aber er ift folid und läfst ein treffliches Gebäude
erwarten. Die Differtation giebt fich freilich fchon
als erften Theil einer Biographie, er reicht bis zum Jahre
1411; die ganze kirchenpolitifche Wirkfamkeit des Mannes
ift für den zweiten Theil aufgefpart, deffen Ausarbeitung
übrigens der philofophifchen Facultät in Münfter bereits
vorgelegen zu haben fcheint. Nur anhangsweife erhalten
wir hier fchon eine über Scheuffgen hinausgehende Ana-
lyfe von Zabarella's Tractat über das Schisma. Diefe
Trennung desKirchenpolitifchen von dem Biographifchen
halte ich nicht für glücklich; unter dem kirchenpolitifchen
Gefichtspunkt möchte ich noch einmal das ganze Leben
diefes Mannes durchmuftern. Dabei könnte die Würdigung
von Zabarella's Uebergang von den Carraras zu
der Republik Venedig (S. 34 f.) m. E. anders ausfallen,
wenn fie in weiterem Rahmen verfucht würde. Uebrigens
bin ich begierig in der Fortfetzung den ausführlichen
Beweis für Zabarella's ,nichts weniger als reformfreundliche
Gefinnung' (S. 62) zu erhalten.

Marburg i. H. Bernhard Befs.

Bahrdt, Dr. Waldemar, Geschichte der Reformation der
Stadt Hannover. Hannover, Hahn, 1891. (V, 142 S.
gr. 8.) M. 2. 40.

Prof. v. Kluckhohn in Göttingen hat in den letzten
Jahren verfchiedene feiner Schüler auf die Bearbeitung
der Reformationsgefchichte der einzelnen Theile der
jetzigen Provinz Hannover geleitet: 1887 brachte uns
A. Wrede die treffliche ,Einführung der Reformation im
Lüneburgifchen', 1888 folgte G. Erdmann's .Geschichte
der Kirchen-Reformation in der Stadt Göttingen'; als
dritten in diefer Reihe dürfen wir jetzt W. Bahrdt be-
grüfsen. Auch hier wie in den Arbeiten feiner Vorgänger
ift fleifsige Ausnutzung des archival. Materials,
forgfältige Benutzung der gedruckten Vorarbeiten, über-
fichtliche Dispofition des Stoffes zu loben. Ich hebe
befonders das einleitende Capitel hervor, welches über
die kirchlichen, Schul- und Verfaffungsverhältnifse der
Stadt am Ende des Mittelalters orientirt. Auch hier wie
in der Reformationsgeschichte Göttingens fehlt eine hervorragende
theologifche Perfönlichkeit; Urban Rhegius
greift nur vorübergehend in die Entwicklung der Dinge
ein. Auch hier wie fo oft ift die Einführung der Reformation
eng mit den Bewegungen auf dem Gebiet der
communalen Verfaffung verflochten. Mit dem Erlafs
der Kirchenordnung von 1536 und der Aufnahme Hannovers
in den fchmalkaldifchen Bund fetzt fich diefe
.Reformationsgefchichte' fachgemäfs ihr Ziel.

Aufgefallen ift mir, dafs der Verfaffer über die
Correfpondenz des Georg Scharnekau [ScarabaeusJ mit
den Wittenberger Reformatoren nicht ausreichend unterrichtet
ift (vgl. S. 30, Anm. 4). Nicht nur, dafs wir
wenigftens einen Brief Luther's an ihn noch befitzen
(6. Febr. 1540, vgl. Kolde, Analecta S. 347), fondern es
wäre auch m. E. dem Briefe Melanchthon's an ihn vom
2. Mai 1537 {Corp. Ref. V, 753 f.) Beachtung zu fchenken
gewefen. Vielleicht hat Bahrdt das unterlaffen, weil
Bretfchneider, der ja leider fo oft in der Jahreszahl der
Briefe fehl gegriffen, ihn dem Jahre 1545 zugetheilt hat,
indem er die Concilsnachrichten desfelben aufs Triden-
tinifche Concil bezog. Aber eine nähere Prüfung zeigt,
dafs es fich um Mantua handelt, dafs von dem Beginn
des Handels mit Cordatus die Rede ift, kurz dafs der
Brief nach dem Jahre 1537 zu verweifen ift. Ich bin
überzeugt, dafs der Verf., wenn er Corp. Ref. III 376