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Ausgabe:

1892 Nr. 8

Spalte:

204-205

Autor/Hrsg.:

Finke, Heinrich

Titel/Untertitel:

Ungedruckte Dominikanerbriefe des 13. Jahrhunderts 1892

Rezensent:

Beß, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1892. Nr. 8.

204

wird S. 148 nur fchüchtern geftreift, als handle es (ich
um ein gewagtes Paradoxon: ,hat ja ein feiner Beobachter,
und wahrfcheinlich nicht zu allererft, das Verhältnifs der
omajjidifchen zur abbafidifchen Dynaftie fo charakterifirt,
dafs er das Reich jener ein arabifches, das der letzteren
ein churafanifches nennt'. Als ob dazu feine Beobachtung
gehörte! weifs doch felbft Theophanes, dafs die
XovQCtoctvioi fiavQnyoQoi das omajjidifche Reich geftürzt
und das abbafidifche gegründet haben. Auch die Parallele
zwifchen den Türken und den Chorafaniern S.
150 ff. ift unficher gezogen. Schon vor Mutavakkil haben
die Chalifen fich eine fehr zahlreiche Leibwache gebildet
aus gekauften Slaven, Türken, Berbern u. f. w., um
darin eine Stütze zu finden gegen das Heer und die
Offiziere, d. h. gegen die Chorafanier. Der Refidenz-
wechfel hängt damit zufammen: Bagdad war in der
Hand der Chorafanier, Samarra eine türkifche Garnifon-
ftadt.

In Band 2 kommt Goldziher in fein eigentliches
Fahrwaffer. Er handelt hier von der Entftehung des
Hadith und weift an vielen und fchlagenden Beifpielen
nach, wie der Geift der Zeiten fich darin fpiegelt, wie
die verfchiedenen Generationen daran gearbeitet haben,
wie alle Parteien und Richtungen fich dadurch zu legi-
timiren fuchen, dafs fie fich auf den Stifter des Iflam
berufen und ihre Lofungsworte ihm in den Mund legen.
Natürlich liegt in diefer Sphäre die Gefahr des Tendenz-
witterns nahe. Goldziher weifs zwar recht gut, dafs der
Iflam durchaus nicht auf dem Koran beruht, dafs die
Tradition einen alten und echten Kern hat und dafs fie
auch fchon fehr früh aufgezeichnet ift. Aber er fcheint
mir doch ihren pofitiven Kern zu unterfchätzen und aus
einer an fich gewifs berechtigten Vorficht zu fehr zur
Negation zu neigen. Schon in Band 1 zeigt fich das
gelegentlich, z. B. in dem Zweifel, ob wir einem ,noto-
rifchen Fälfcher' wie Ibn al Kalbi glauben dürften, dafs
er aus dem Archiv der Kirchen in Hira gefchöpft habe
(S. 186), und in der Anficht, dafs die fchwankenden ge-
nealogifchen Nachrichten über die Thaqif lediglich die
verfchiedene Stellung und Stimmung gegen Haggag ben
Jufuf abfpiegeln; noch mehr tritt es in Band 2 hervor,
z. B. S. 100. 102. 117. Das fecit cui prodest ift doch ein
etwas zweifchneidiger kritifcher Grundfatz. Aufserdem
entfteht öfters der falfche Schein, als wäre die Pflege
und Kenntnifs der Gottesgelahrtheit der richtige Mafs-
ftab für den hohen oder niedrigen Stand des Iflam.
Diefer Mafsftab gilt aber erft, feit fich die Religion von
der Politik und dem Handeln in ein ftilleres Gebiet zurückzog
; für die frühere Zeit ift er durchaus abzulehnen.
Man darf die älteften Muflime deshalb nicht für fchlechte
Muflime halten, weil es mit ihrer Kenntnifs von Koran
und Sünna nicht zum beften beftellt war; fonft müfste
man Leute wie Ibn Abbas, Abu Huraira und wie die
anderen Schriftgelehrten heifsen, für die muftergiltigen
Repräfentanten des urfprünglichen Iflam ausgeben. Man
kann fogar die Gefchichte der alten Theokratie fehr gut
verftehen, ohne von der Traditionswiffenfchaft mehr als
eine Ahnung zu haben. Goldziher weifs das natürlich
felber, aber er macht von feinem Wiffen nicht überall
den nöthigen Gebrauch.

Zum Schlufs mögen noch ein paar einzelne Bemerkungen
zu Band 1 Platz finden. I, 31,13fr. mufs es heifsen:
und du haft uns zum Grufs ein früher unbekanntes
Wiffen gebracht und (== nämlich) gefagt'. Abu Nuväs ift
blofs der Nachahmer des Ibn Abi Rabia und des Chalifen
Valid II. (I, 32). Der Name Gebet für galät ift
beffer zu vermeiden und dafür Gottesdienft zu fetzen,
da calät mit du ä nichts zu thun hat, wie G. felber hervorhebt
(I, 33). Das intisäb oder iddi ä vor dem Einzelkampf
und das sdu är im Handgemenge hat nichts
Merkwürdiges an fich; die Einzelkämpfer wollten fich
kennen, und in dem Chaos einer allgemeinen Katzbalgerei
war das Ausrufen der Lofung ganz unentbehrlich

(I, 54. 61). Barägim ift nicht der Plural von burgutu,
fondern von burgumi (I, 67). Das Bündnifs der Afad und
Ghatafan ift alt und feft und wird überall erwähnt (I,
67). Dafs der nord- und füdarabifche Antagonismus in
der Rivalität zwifchen den Koraifch und den Ancär
wurzelt, ift eine Uebertreibuug (I, 95). Die I, 219 angeführte
Parabel ift die evangelifche Parabel von den
Arbeitern im Weinberge, der jedoch eine andere, geift-
reiche Pointe gegeben wird: die Araber find erft in
zwölfter Stunde gekommen, nach Juden und Chriften,
tragen aber doch den Lohn davon, während die Anderen
nichts bekommen, da fie vor der Löhnungsftunde die
Arbeit aufgegeben haben. — Sehr wichtig find verfchiedene
Excurfe, theils kürzere in Fufsnoten (z. B. I, 210
über iranifche Fefte), theils längere in den Beilagen,
z. B. über den arabifchen Todtendienft. Es thut mir
leid, dafs ich im dritten Band meiner Skizzen die letztere
Abhandlung, die fchon vorher franzöfifch erfchienen
war, nicht benutzt habe. Ich hätte viel daraus lernen
können, wie ich denn trotz allem Widerfpruch, den ich
erhoben habe, voll Dank anerkenne, dafs diefe Studien
nicht blofs, als völlig felbftändige und eigenartige
Arbeiten, ihren Namen verdienen, fondern auch reiche
Früchte gezeitigt haben.

Marburg. Wellhaufen.

Finke, Privatdoz. Dr. Heinr., Ungedruckte Dominikanerbriefe

des 13. Jahrhunderts. Paderborn, Schöningh, 1891. (IV,
174 S. gr. 8.) M. 5.-

Wiederum hat uns Heinrich Finke mit einer werthvollen
, gediegenen Quellen-Publication befchenkt. Diesmal
ift es ein Briefbuch des berühmten Dominikaner-
Provinzials Hermann von Minden. Die Handfchrift, jetzt
in der königlichen Bibliothek zu Berlin, gehörte ehemals
dem wichtigen Dominikanerklofter in Soeft. Sie enthält
auch einzelne Urkunden und Einfchaltungen allgemeinen
Inhalts; ihrem Hauptbeftand nach aber ift fie eine Brief-
fammlung der deutfchen Ordensprovinz. Sie zerfällt in
zwei Theile: der erfte umfafst die Correfpondenz der
deutfchen Provinziale von 1264—1286, vorausgehend
fechs Briefe an Albertus Magnus und zwei kleine Corre-
fpondenzen der Ordensgenerale Humbert (aus den Jahren
1257—1262) und Johannes, fowie des Parifer General-
capitels von 1264; der zweite enthält die Correfpondenz
Hermanns von Minden aus den beiden letzten Jahren
feines Provincialates (1287—1289) nebft fpäteren Briefen
von ihm (als Stellvertreter des Provinzials) und von
feinem Nachfolger Dieterich von Freiburg, nicht über das
Jahr 1294 hinausgehend. Den gröfsten Theil diefer
Sammlung hat Hermann felbft gefchrieben; wahrfcheinlich
hat er die ganze Sammlung angelegt. Noch in dem-
felben Jahrhundert wurde ihr ein fehr ausführliches Re-
gifter beigefügt. — Vier für die deutfche Reichsgefchichte
nicht unwichtige Briefe hatte fchon Winckelmann, Acta
imperii inedita, aus diefer Handfchrift edirt, aber mit
fälfcher Datirung. Finke hat auf Grund einer mit gewohnter
Akribie durchgeführten chronologifchen Unter-
fuchung alle hiftorifch wichtigen Briefe der Sammlung
der Zeit nach zufammengeftellt, den gröfsten Theil im
Wortlaut, einzelne, darunter die fchon in der Zcitfchr. f.
Gefch. desOberrheinsN.F. V. gedruckten, nur inRegeften;
andere werden noch hie und da in den Anmerkungen
verwerthet, in welchen fich überhaupt eine Menge werthvoller
Mittheilungen, auch aus noch ungedrucktem
Material, findet. Im Intereffe eines Ueberblicks über
die ganze Sammlung wäre die Mittheilung wenigstens
aller Briefe in Regelten zweckmäfsig gewefen. Das Rech-
nungs- und ftatiftifche Material der Handfchrift ift
fpäterer Verwerthung vorbehalten. — Immerhin füllt
fchon diefe Publication eine bedeutende Lücke in unferer
bisherigen Kenntnifs von der Entwickelung der üomini-