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Ausgabe: | 1891 Nr. 7 |
Spalte: | 177-178 |
Autor/Hrsg.: | Schultz, Herm. |
Titel/Untertitel: | Die evangelische Theologie in ihrem Verhältnisse zu Wissenschaft und Frömmigkeit. Vortrag im wissenschaftlichen Predigerverein zu Hannover 1.10. 1890 1891 |
Rezensent: | Lobstein, Paul |
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Theologifche Literaturzeitung. 1891 Nr. 7.
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Im zweiten Theil (S. 165—204) fucht der Verfaffer
zunächft aus Widerfprüchen, legendarifchen Zügen, unmöglichen
Reden u. f. w. die Ungefchichtlichkeit des
Paulusbildes der Apoftelgefchichte darzuthun (S. 165 —
176, vgl. auch S. 31 f.). Aber auch in dem Bilde der
Acta Pauli (S. 176—192) ift gleich der erfte Zug zu bean-
ftanden, wonach der Heidenapoftel ein jüngerer Zeitge-
noffe der Urapoftel gewefen wäre. Denn wenigftens
zwifchen Jefus und dem Schöpfer des paulinifchen Evangeliums
mufs immerhin ein fo grofser Äbftand angenommen
werden, als nöthig ift, um jenen für diefen zum
Chriftus werden zu laffen (S. 190). Wer diefe Nöthigung
nicht mit empfindet, für den entbehrt ein beträchtlicher
Theil der Argumentationen des Verfaffers feines eigentlichen
Nerves. Das Wenige, was ficher über den älteren
Paulus, den jüngeren Zeitgenoffen der Apoftel, zu wiffen
ift, ergiebt fich aus den Notizen des Reifeberichtes, die
ihn als einen für rci utgi xov '' lrpov (vgl. S. 43. 177. 185.
193. 199) intereffirten Juden, einen, des jüdifchen Kalenders
lieh bedienenden, Glaubensboten von der Art der
übrigen Jünger, aber auf griechifchem Boden wirkfam
zeichnen (S. 192—199); vielleicht ift er fogar ein Vorläufer
des jüngeren Paulus' gewefen (S. 190). So dünn
feine, durch das dreifache Medium der Apoftelgefchichte,
der Acta und des Reifeberichtes gefchaute, Geftalt uns
auch vorkommen mag, unfer Verfaffer verfichert, dafs
diefelbe eine Geftalt ,von Fleifch und Blut', ,ohne allen
Aufputz' fei (S. 195).
An feinen Namen knüpft dann, wie am Schlufs (S.
199—104) gezeigt wird, eine neue und höhere, die eigentlich
chriftliche Phafe der Entwickelung an, "in welche
die Sache Jefu nach endlich erfolgtem Bruch mit dem
Judenthum eingetreten. So entftand der Paulinismus erft
nach Paulus, d. h. erft nachträglich wurden xa usqi xnv
'Jrjaov in einem umfaffenderen Sinne durchgearbeitet (S.
203 f.), fo dafs aus Jefus der Chriftus und Gottesfohn
herauswuchs. Der Patron diefer höheren Chriftologie und
fpeeififeh chriftlichen Gnadenlehre ift der Held der Acta
Pauli, deffen durchaus ungefchichtliches (S. 122 f.) Bild
übrigens noch in keiner Weife beeinflufst fein foll durch
die Paulusbriefe (S. 124). Warten wir alfo ab, was uns
der holländische Kritiker demnächft über die Entftehung
diefer Schriftftücke zu erzählen haben wird. Einftweilen
können wir auf die Befprechung verweifen, welche Eoman
felbft dem Buche feines Collegen im ,Bijblad van de
Hervorvüng1 (1891, S. 24—38) zu theil werden läfst. Zunächft
natürlich Freude und Lob! Dann aber lauter Bedenken
bezüglich des hypothefenhaften Charakters der
ganzen Leiftung! Die Acta Petri können im Verhältnifs
zu den^4t7'rt'/-,fl'w/7ebenfogutals urfprünglichcre, weil naivere
Berichterftattung gelten, und für eine Unterfcheidung des
Paulusbildes in Acta Pauli und in unferer Apoftelgefchichte
mangelt es doch im Grunde an allen Anhaltspunkten u.f.w.
Strafsburg i,E. H. Holtzmann.
Schultz, Herrn., Die evangelische Theologie in ihrem Verhältnisse
zu Wissenschaft und Frömmigkeit. Vortrag, gehalten
im wiffenfchaftl. Predigerverein zu Hannover
1. Üct. 1890. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht's
Verl., 1890. (24 S. gr. 8.) M. —. 60.
Ein geiftvoller, gedankenreicher, nach vielen Seiten
hin anregender Vortrag, welcher nicht den Anfpruch
erhebt, neue Ergebnifse über das behandelte Thema auf-
zuftellen, wohl aber den Dienft leiftet, wichtige, in manchen
Kreifen immer noch nicht zur Geltung gelangte Er-
kenntnifse in klarer Darftcllung und edler Form auszu-
fprechen und zu allgemeiner Anerkennung zu bringen.
Höchft dankenswerth find die Streiflichter, welche der
Verf. aus dem Gebiete der Religionsgefchichte auf das
von ihm erörterte Problem fallen läfst, fowie der Nachweis
, dafs eine theologifche Wiffenfchaft nur in prophe-
tifchen Religionen möglich ift, ,d. h. nur da, wo feelen-
beherrfchende Männer aus der inneren Ueberzeugung, eine
Offenbarung der Gottheit für die Menfchen religiös empfangen
zu haben, die Kraft gewinnen, eine Gemeinde
um fich zu fammeln und ihr das eigene religiöfe Leben
als fie beherrfchenden Geift einzuhauchen'. Der Grund-
fatz, von welchem aus die Löfung der aufgeworfenen
Frage erftrebt wird, fafst fich in die Worte zufammen,
S. 14: .Wahre auf die Dinge felbft gerichtete Wiffenfchaft
befteht nur, wo ein Volk rückhaltslos mit der Scholaftik
und ihren schwächlichen Nachbildungen gebrochen hat,
d. h. jede Theologie von fich wirft, welche Gegenftände
des Wiffens wie Glaubensgegenftände in die Glaubenslehre
einreihen und mit den Mafsen des Glaubens mef-
fen, — und welche die Dinge des Glaubens mit den
Mitteln der Wiflenfchaft beurtheilen, befeftigen oder be-
weifen will'. Dafs es eine folche Theologie giebt, eine
Theologie, die ein gutes Gewiffen unter ihren wiffen-
fchaftlichen Schwertern haben kann, erhellt aus dem Däfern
der Kirche der Reformation. Wenn fich demnach
der zweite Theil des Vortrags nothwendig zu einer Rechtfertigung
der evangelifchen Kirche geftaltet, fo ergeht
fich der Redner doch nicht in felbftgefälliger Verherrlichung
der eigenen Kirche im Gegenfatz gegen Rom,
welches fich ein für allemal entfchloffen hat, auf eine
freie, wirklich wiffenfehaftliche Theologie zu verzichten;
vielmehr fcheut er fich nicht, auch den Unfrigen ernfte
Warnungen und Rathfchläge zu ertheilen. Er verur-
theilt eine Forfchung, welche die Offenbarung aus eigener
Kraft als eine niedere Stufe der religiöfen Erkenntnifs
fortbilden und zu philofophifchem Wiffen erheben will
(S. 21); er tritt mit nicht geringerer Entfchloffenheit gegen
den Wahn derjenigen auf, welche den fauern Schweifs hingebender
Arbeit durch frommes Pathos und praktifchen
Eifer erfetzen möchten. Der Geift, welcher den Vortrag
durchweht, ift die befte Bürgfchaft für die Richtigkeit der
hier vorgetragenen Löfung. Ein jedes Wort athmet Vertrauen
auf die Macht und den Sieg der Wahrheit und
ift getragen durch die Zuverficht, ,dafs ein Leben,
welches von oben Heil bringend in die Menfchheit gekommen
ift, von dem Meffer des kritifchen Scharffinns
nicht getroffen werden kann, weil es der unfichtbaren
Welt des Glauben angehört — und dafs es nur immer
göttlicher und wunderbarer erfcheinen wird, je mehr
feine wahre Erfcheinung verftanden wird und je mehr
fich die Hüllen und Schleier menfehlicher Legende und
Ueberlieferung von der leuchtenden Schönheit feines
irdifchen Leibes ablöfen'.
Strafsburg i. E. P. Lobftein.
Die biblischen Wundergeschichten. Vom Verfaffer des Buches:
,Im Kampf um die Weltanfchauung'. 3. u. 4. Aufl.
Freiburg i. Br., J. C. B. Mohr, 1890. (IV, 79 S. 8.)
M. 1. —
Die günftige Aufnahme, welche das Büchlein ,1m
Kampf um die Weltanfchauung' in vielen Kreifen gefunden
, ermuthigte den Verf., den gleichgeftimmten Seelen,
die mit ihm den dort gefchilderten Kampf kämpfen,
wiederum einige Gedanken zur Prüfung vorzulegen. Sie
fchliefsen fich an die in jener Schrift VI, 5 und 6 enthaltenen
Ausführungen über Offenbarung und Wunder,
indem fie die bereits gegebenen Andeutungen begründen
und eine Nutzanwendung derfelben verfuchen wollen.
Vor Allem foll die das Herz mancher Eltern und Lehrer
bewegende Frage erörtert werden: ,Wie foll ich meine
Kinder lehren, damit fie in diefer Sache zur richtigen
Erkenntnifs kommen, ohne am Glauben irre zu werden?'
Zur Beantwortung diefer Frage verfucht der Verf. zunächft
, ,die Sache tiefer aufzufaffen und grundfätzlich zu
behandeln'.— ,Chriftenthum und Wunder' ift die Ueber-
fchrift des erften Capitels (S. I—28). In einem zweiten
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