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Ausgabe:

1891

Spalte:

126-130

Autor/Hrsg.:

Hauck, Albert

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte Deutschlands. 2. Thl. Vom Tode des Bonifatius bis ins endende neunte Jahrhundert 1891

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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der fonftigen urchrifliichen Anfchauung (S. 62 — 72).
Paulus felbft war in hohem Grade Pneumatiker (I Kor.
14, 6. 14, 18. II Kor. 12, 2 ff. 12, 12). Und fo beurtheilt
er auch die pneumatifche n Erfcheinungen im wefent-
lichen ebenfo wie die alterte Gemeinde. Ein neues Moment
in der Beurtheilung ift aber bei Paulus der Gefichts-
punkt, dafs die Aeufserungen des Geiftes dienen muffen
noog oiv.oäoinv (S. 72 ff.). Wir fehen alfo, ,dafs Paulus
üch zunächft von der in den Gemeinden verbreiteten Anfchauung
unterfcheidet nicht in der Anerkennung der
einzelnen Geiftesgaben als folcher, fondern in der ethi-
fchen Beurtheilung derfelben' (S. 77). Ein weiterer Unter-
fchied ift der, dafs er vieles als Wirkung des /rvaiiia auf-
fafst, was die populäre Anfchauung nicht in diefer Weife
beurtheilt: Liebe, Freude, Friede u. f. w. Gal. 5, 22 f.
(S. 77 ff.). Es ift mit einem Worte das ganze chriftliche
Leben, was I»' nveviiaxi geführt werden foll. Wie dem
A. T. und dem Judenthume fo ift auch dem Apoftel
Paulus der Geift eine Kraft, övvaiiig. Diefe Kraft ift
mächtiger als alles, was fonft auf Erden zu herrfchen
pflegt. ,Sie ift ftärker als die Sünde: fie überwindet fie;
als das Gefetz: fie bewirkt, was das Gefetz nicht vermochte
; als die Dämonen: fie entreifst den Menfchen
ihrer Herrfchaft' (S. 80). Und diefe Kraft ift nun nach
Paulus die das ganze Chriftenleben dauernd und ftetig
beherrfchende Macht. ,Die Gemeinde hält für pneuma-
tifch das Aufserordentliche im Chriftenleben, Paulus das
Gewöhnliche; jene das Einzelnen Eigenthümliche, Paulus
das Allen Gemeinfame; jene das abrupt Auftretende, er
das Stetige; jene Einzelnes im Chriftenleben, er das
Chriftenleben felbft' (S. 82). Diefe Anfchauung ift bei
Paulus original, aus feiner eigenen Erfahrung gefchöpft.
Er hat fie nicht aus dem Alten Teftamente, obwohl lieh
hier ganz Aehnliches vereinzelt bereits findet (wie man
Wendt zugeben mufs), namentlich Pfalm 51, 13; 143,
IO; woran Paulus aber nirgends anknüpft. Er hat fie
auch nicht aus dem jüdifchen Hellenismus (fo Pf 1 eider er),
denn die Anfchauung der Sapientia Salomonis ift nicht
artverwandt (S. 83 — 88).

Durch den Befitz des Geiftes wird dem Gläubigen
das künftige ewige Leben verbürgt. Aber nicht nur verbürgt
; fondern er hat es fchon gegenwärtig (S. 92 f.).
Doch frägt fich, in welchem Sinne letzteres gemeint ift.
In der Regel wird der Gedanke Pauli dahin verftanden,
dafs er vermöge einer Anticipation den ficheren künftigen
Befitz als fchon gegenwärtig vorhanden auffafst. Gunkel
weift aber mit Recht darauf hin, dafs man damit dem
Gedanken Pauli nicht ganz gerecht wird. Wie er gemeint
ift, fehen wir vielleicht am beften aus Rom. 6,
4 — 8. Hier ift ohne Frage von dem neuen fittlichen
Leben der Gläubigen die Rede. Aber es hat den Auslegern
von jeher Schwierigkeiten gemacht, dafs der Befitz
desfelben als Gegenftand des Glaubens und der Hoffnung
bezeichnet wird (6, 5: tooitaira, 6, 8: 7ciazevoiiav ozi xai
ßvvLjqaoftev avztli). Diefe Schwierigkeit hebt fich wohl am
beften durch die Erwägung, dafs für Paulus im Grunde
das neue fittliche Leben und das Leben im neuen pneu-
matifchen Dafeinszuftande gar nicht verfchiedene Dinge
find, fondern der Begriff Uor) beides zugleich umfaist.
,Daher kann der Apoftel in demfelben Zufammenhang
unter Lcor einmal mehr an das fittliche Leben und dann
mehr an den neuen Dafeinszuftand denken' (S. 93 — 94).
Bei Johannes ift diefer paulinifche Gedanke in den Mittelpunkt
des Syftemes geftellt (S. 97).

Mit der Lehre vom Geiftesbefitz geht die Lehre von
der Lebensgemeinfchaft mit Chrifto parallel (S. 97 — 101).
.Verfchieden find die Ausfagen in beiden nur darin, dafs
ein Uebernatürliches das eine Mal von einer göttlichen
Kraft, das andere Mal von einer diefe Kraft in fich tragenden
göttlichen Perfon abgeleitet wird' (S. 100).

In Form eines ,Anhanges' läfst Gunkel zuletzt noch
Bemerkungen folgen über den Ausdruck ,heiliger Geift'
(S. 101 — 104, über ,Geift und Freiheit' 'S. 105 f.), und

über die Frage, ob auch Paulus den Geift als etwas ftoff-
liches gedacht hat (S. 107 — 110). Letztere Frage wird
im Wefentlichen bejaht.

Zu dem im Bisherigen gegebenen Referate habe ich
nur wenige Bemerkungen hinzuzufügen, da ich in allen
Hauptpunkten zuftimmen kann. Das Hauptverdienft der
Arbeit fcheint mir der forgfältig und umfichtig durchgeführte
Nachweis des Unterfchiedes der populären und
der paulinifchen Anfchauung und damit des höheren
Werthes der letzteren zu fein. Nur in wenigen einzelnen
Punkten vermag ich nicht ganz beizuftimmen. Der wich-
tigfte ift der, dafs Gunkel S. 97 — 101 die Lehre vom
Geiftesbefitz und die Lehre von der Lebensgemeinfchaft
mit Chrifto als einander parallel auffafst. Diefe Auf-
faffung wird fchwerlich der paulinifchen Anfchauung gerecht
. Freilich ift fie richtiger als die herkömmliche, dafs
durch die Verleihung des Geiftes die Lebensgemeinfchaft
mit Chrifto hergeftellt werde. Das Richtige ift vielmehr
das umgekehrte: durch die Verbindung mit Chrifto, welcher
felbft co rrveciia ift, empfängt der Gläubige den Geift als
dauernden Befitz. Diefe Betrachtungsweife fcheint mir
nicht nur durch II Kor. 3, 17 — 18, fondern durch alle
einfehlägigen Ausfagen des Apoftels als die paulinifche
erwiefen. Durchweg ift die Conception die, dafs der
Gläubige durch die Verbindung mit Chrifto jene Kraft
empfängt, durch welche die Macht der Sünde in ihm gebrochen
wird, d. h. das nvaifta. Einen Anknüpfungspunkt
hat diefe paulinifche Idee in dem Ausfpruch Johannes
des Täufers, dafs der Meffias iv nvtviiaxi äytia
taufe. Auch hier ift der Meffias als Mittler der Geiftes-
verleihung gedacht. — Nicht richtig dürfte die S. 21 u.
31 ausgefprochene Behauptung fein, dafs I Kor. 14, 37
Tivsvfiazixög fchlechthin — Gloffolale fei. — Die Begeifte-
rung Gunkel's für den Realismus der finnlichen Vorftellung
vom Geift (S. 53) vermag ich nicht zu theilen. Uebrigens
hätte hier darauf hingewiefen werden können, dafs auch
in der griechifchen Philofophie die Anfchauung vom
nveviia nur allmählich die urfprünglich finnliche Vorftellung
abgeftreift hat (vgl. hierüber die lehrreiche Abhandlung
von Siebeck, Ueber die Entwickelung der Lehre vom
Geift, Pneuma, in der Wiffenfchaft des Alterthums [Zeit-
fchr. für Völkerpfychologie Bd. XII, 1880, S. 361 —- 407]).
— Zu viel gefagt ift es wohl (S. 54), dafs die pneuma-
tifchen Erfcheinungen ,einer der wichigften Factoren in
der urchrifliichen Propaganda' gewefen feien.

Ich fchliefse mit dem Wunfche, dem Verf. auf dem
Gebiete biblifch-theologifcher Unterfuchungen noch recht
oft zu begegnen, für welche er durch feine Gabe, fich
in den Geift der Zeiten zu verfenken, befonders befähigt ift.

Kiel. E. Schürer.

Hauck, Prof. Dr. Alb., Kirchengeschichte Deutschlands. 2. Thl.

Leipzig, Hinrichs, 1890. (IV, 757 S. gr. 8.) M. 14. —

Dem in diefer Zeitung (Jahrg. 1887 Sp. 171 — 176)
angezeigten erften Bande der Hauck'fchen Kirchenge-
fchichte Deutfchlands ift nach faft drei und ein halb
Jahren der zweite gefolgt. Nicht fo bald, als die Verlagsbuchhandlung
in Ausficht geftellt hatte; dennoch
fchnell im Verhältnifs zu der Arbeit, welche er vorausfetzt
.

Schon der erfte Band konnte mit gröfster Freude be-
grüfst werden, obwohl für feinen Umfang Rettberg's
berühmte Kirchengefchichte Deutfchlands jedem Nachfolger
die Lorbeeren hoch gehängt hatte. Diefem zweiten
Bande, der vom Tode des Bonifatius bis ins endende
neunte Jahrhundert reicht, hatte Rettberg nur bis 814
noch vorgearbeitet, und die Darfteilung diefes Ab-
fchnittes gehörte zu den m. E. mindert gelungenen und
überdies veraltetften Partien des Rettberg'fchen Buches.
Schon aus diefem Grunde wird man diefen zweiten Band
der Hauck'fchen Kirchengefchichte Deutfchlands noch
dankbarer willkommen heifsen als den erften. Freilich